GOMADINGEN. Einer fehlt noch - dazu noch einer, über den sich Bürgermeister Klemens Betz zugegebenermaßen mehr ärgert als freut: der Biber, der sich im Lautertal wohlfühlt und breit gemacht hat. Was man der Landschaft auch ansieht. Ansonsten aber ist das, was die Gemeinde Gomadingen vor ein paar Jahren als Nachlass vermacht bekommen hat, so umfangreich, dass es nur wenige Lücken geben dürfte: Die Sammlung des verstorbenen Ur-Gomadingers Mathias Schiller umfasst gut 100 präparierte Tiere, die auf der Alb heimisch sind.
Derzeit wird die Sammlung in einer Dachkammer im Gomadinger Rathaus aufbewahrt - was allerdings nur ein vorübergehender Zustand sein soll. Denn gemeinsam mit einem weiteren Konvolut an Ausstellungsstücken rund ums bäuerliche Leben auf der Alb soll sie in ein bis zwei Jahren umziehen und damit auch öffentlich sichtbar werden: Die alte Mühle, die die Gemeinde in Eigenregie saniert hat, steht derzeit noch leer, das soll aber nicht ewig so bleiben. Die Räume des riesigen Gebäudes sollen unter anderem auch für museale Zwecke genutzt werden. Die beiden Sammlungen - die Tiere und die landwirtschaftlichen Gegenstände aus früheren Zeiten - passen da gut hinein.
»Ausgestopfte« Tiere sind vielleicht nicht jedermanns Sache. Auch Theo Strasser ist einer von denen, die Tiere lieber lebendig als tot sehen. Trotzdem hat er dem Bürgermeister geholfen, die Sammlung zu sortieren: An den Präparaten hängen jetzt gelbe Zettel, auf denen die Namen der Tierarten stehen. Strasser muss da nicht lange nachdenken, nachschlagen oder googeln, sowas schüttelt er aus dem Ärmel. Den Mann, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, nennen sie im Ort nur den »Vogel-Theo«. Und das hat gute Gründe. Die Natur und der Wald sind nicht nur Strassers zweites Wohn-, sondern oft auch sein zweites Schlafzimmer.
Tierfotografen fragen nach Tipps
Strasser ist ein Typ, ein Original, einer, für den man auch mal eine Ausnahme macht: »Er hat die offizielle Erlaubnis, die gesamte Gemeinde-Flur zu befahren«, sagt der Bürgermeister. So einen Freischein kriegt nicht jeder vom Rathaus geschweige denn vom Landratsamt. Theo Strasser hat ihn, weil die Verwaltungsleute wissen, was sie am Vogel-Theo haben - einen Ansprechpartner, der die Wälder hier so gut kennt wie kaum ein anderer und auch für Leute, die in und mit der Natur arbeiten, mal einen Tipp hat, für die Mannschaft vom Bauhof zum Beispiel.
Wann immer es geht, ist Theo Strasser draußen unterwegs - nicht erst, seit er in Rente ist. Seine Urlaube hat er mehrfach in den USA und in Kanada verbracht, in die Alpen zog und zieht es ihn noch immer häufig. Aber auch die Alb ist ihm genug. Er weiß, wo welche Vögel brüten, wo man Dachse beim Aufziehen ihrer Jungen beobachten kann und wo die ältesten Bäume stehen. Tierfotografen und -filmer beneiden ihn darum, manche bitten ihn um Tipps. Manchmal erhört Strasser sie, manchmal auch nicht. Kapital schlägt er aus seinem Wissen nie, Fotos macht er höchst selten - ihm reicht es, die Natur zu beobachten, darin geht er vollkommen auf. Er kennt die Stimmen der Tiere und hat jahrelang auch Vogelstimmen-Wanderungen in aller Herrgottsfrühe für den Schwäbischen Albverein angeboten.
Nächte unter freiem Himmel
Das i-Tüpfelchen sind die Nächte: Strasser schläft gerne draußen, unter freiem Himmel, ohne Zelt. In den Nächten, in denen es besonders viele Sternschnuppen zu sehen gibt, sowieso, »da ist ein Feuerwerk ein Scheiß dagegen«. Für den Bürgermeister wäre das nichts, »ich hätte da Angst«, sagt Betz. Angst? Die hat Strasser nicht - und wenn, dann eher vor Menschen als vor Tieren. Zwielichtige Gestalten mit unlauteren Absichten sind unter Zweibeinern jedenfalls dichter gesät als unter Vierbeinern. Und der Wolf, der sich ja schon auf der Alb rumtreibt? Strasser ist bisher noch keinem begegnet.
Geboren wurde er als Sohn eines Österreichers und einer Schwäbin, erst mit 28 Jahren hat er die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Aufgewachsen ist er in einfachen Verhältnissen in Unterhausen. Schon als Kind, sagt er, hat er sich für die Natur begeistert. Was er über Tiere und Pflanzen weiß, hat er sich selbst angelesen und beigebracht. Für den Besuch einer höheren Schule oder gar ein Studium hat das Geld gefehlt. Strasser hat, wie sein Vater, Maler gelernt und in diesem Beruf gearbeitet. Unglücklich gemacht hat ihn das nicht.
1966 zog er auf die die Alb nach Gomadingen, wo er eine Familie gründete. Seine Begeisterung für die Natur hat er seinen Kindern vererbt. Sohn Bernd hat es als Baumkletterer nicht nur zu einem nicht alltäglichen Berufsleben, sondern auch zu neun Weltmeistertiteln in seinem Metier gebracht. Dass man Bäumen bisweilen mit Sägen auf die Rinde rückt, versteht Theo Strasser nur bedingt. Die Natur, findet er, sollte man am besten doch sich selbst überlassen: »Ich habe mit dem Bernd auch schon geschimpft, dass er nicht so viel wegschneiden soll.« (GEA)