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Aktuell Pflege

Wie eine Engstinger Sozialstation um Personal kämpft

Zwei türkische Pflegekräfte sind bereits gut angekommen, vier von den Philippinen sollen folgen - die Sozialstation St. Martin reagiert auf den Fachkräftemangel in der Altenpflege.

Angesichts deutlich höherer Kosten für die Pflege sollen zusätzliche Entlastungen für Pflegebedürftige, aber auch höhere Beiträg
Angesichts deutlich höherer Kosten für die Pflege sollen zusätzliche Entlastungen für Pflegebedürftige, aber auch höhere Beiträge kommen. Foto: Oliver Berg
Angesichts deutlich höherer Kosten für die Pflege sollen zusätzliche Entlastungen für Pflegebedürftige, aber auch höhere Beiträge kommen.
Foto: Oliver Berg

ENGSTINGEN. Der Bedarf an Pflegekräften steigt, die Deutschen werden älter und geburtenstarke Jahrgänge kommen in ein Alter, in dem Unterstützung gefragt ist. Das Angebot kann nur schwer mithalten, hier herrscht der gegenläufige Trend: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in den Ruhestand, weniger Kräfte treten ins Berufsleben ein. Die Sozialstation St. Martin in Engstingen ist von dieser Entwicklung ebenfalls betroffen, bei der Rekrutierung von Pflegekräften blickt Geschäftsführer Klaus Stuhlmüller auch über die EU-Grenzen hinaus.

Vor einem Jahr ist Özlem Balaman in Engstingen angekommen, im Juli Mehmed Acay, beide aus der Türkei. Balaman hat dort 25 Jahre in einem Krankenhaus gearbeitet, Acay war sieben Jahre »Krankenschwester«, wie er schmunzelnd erklärt. Vor dem Wechsel nach Deutschland stand die Bürokratie. Es dauert, bis die nötigen Unterlagen zusammen sind. Kernstück ist der »Defizitbescheid«, er bestätigt, dass die Fachkraft aus dem Ausland eine gleichwertige Qualifikation hat wie ihre Kollegen hierzulande.

Der Geschäftsführer von St. Martin Klaus Stuhlmüller und  Bereichsleiterin Engstingen Katrin Tilk mit den Neuzgängen im Team  Me
Der Geschäftsführer von St. Martin Klaus Stuhlmüller und Bereichsleiterin Engstingen Katrin Tilk mit den Neuzgängen im Team Mehmed Acay und Özlem Balaman sowie Karl Baumann, Bereichsleiter Undingen (von links). Foto: Steffen Wurster
Der Geschäftsführer von St. Martin Klaus Stuhlmüller und Bereichsleiterin Engstingen Katrin Tilk mit den Neuzgängen im Team Mehmed Acay und Özlem Balaman sowie Karl Baumann, Bereichsleiter Undingen (von links).
Foto: Steffen Wurster

Dazu kommt der obligatorische Sprachkurs, bereits in der Türkei. Wenn dann ein Arbeitgeber gefunden ist und einen Vertrag anbietet, kann die Aufenthaltsgenehmigung kommen. Wie lange es letztlich währt, hänge oft vom zuständigen Konsulat ab, hat Klaus Stuhlmüller gelernt, für St. Martin und die Planung könne das schwierig sein.

Ausgebildete Krankenpfleger in der Türkei

Özlem Balaman hat über einen Verein in der Türkei von der Möglichkeit, in Deutschland zu arbeiten, erfahren. Pflege ist für sie etwas Neues, auch wenn die Basis als Krankenpflegerin gelegt war. »Altenpflege wird in der Türkei vor allem von den Familien übernommen«, erzählt die blonde Frau. Bei der Wohnungssuche hat die sie Sozialstation unterstützt, durch die deutsche Führerscheinprüfung musste sie selbst durch. »So viele Schilder«, lacht sie, das sei in der Türkei anders. Aber sie sei eine gute Fahrerin, erklärt sie selbstbewusst. Katrin Tilk, Bereichsleiter des Teams Nord, bestätigt das mit leichtem Schaudern über Balamans sportlichen Fahrstil. Mehmed Acay profitiert vom Lernvorsprung seiner Kollegin, sie sei eine gute Mentorin, wisse, was man lernen muss, und helfe ihm, Fehler zu vermeiden.

In Deutschland angekommen, ging es sofort mit der Arbeit los, unterstützt von den erfahrenen Pflegekräften. Eingesetzt werden die Neuzugänge in der Grund- und Behandlungspflege, draußen bei ihren Klienten: Die Sozialstation sieht ihre Aufgabe ja darin, älteren Menschen lange ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Zu den Aufgabenbereichen gehören etwa Körperpflege oder Verbände wechseln, aber auch Blutdruck messen und Medikamente verabreichen. Teil der Besuche ist auch ein kritischer Blick auf den Pflegebedürftigen, ob noch alles in Ordnung ist. Bei ihren Kunden kommen die beiden gut an, versichert Chef Stuhlmüller, das größte Problem sei das Älbler-Schwäbisch. »Besonders bei den älteren Engstingern«, lacht Acay, »ich denke halt noch türkisch.« Aber die Patienten hätten Geduld. Özlem Balaman ist jetzt auf kleinen Touren alleine unterwegs, Mehmed Acay fährt noch mit.

Pauken neben der Arbeit

Parallel zur Arbeit muss weiter gebüffelt werden. Sechs Monate lang jeden Tag Schule, erzählt Balaman, vormittags - kameraüberwacht - online, mittags im Selbststudium, da ist viel Selbstdisziplin gefragt. Wochenend- und Abenddienste machen es möglich, unter der Woche die Schulbank zu drücken, Freizeit ist in der Einlernphase aber knapp. Am Ende des Anerkennungskurses steht die Eignungsprüfung im Fach Pflege, mit denselben Standards wie für deutsche Fachkräfte, erklärt Stuhlmüller: »Uns ist es wichtig, dass die Ausbildung gut ist und die beiden sich als vollwertige Fachkräfte einbringen können.«

Ein Auslandsurlaub ist es für die beiden also ganz sicher nicht. Balaman hat das Abenteuer gereizt, mal etwas anderes zu sehen, mit 45 Jahren noch einmal einen Neuanfang zu wagen. Europa zu bereisen steht ganz oben auf ihrer Wunschlist, und »Engstingen liegt ja mitten in Europa«. Acay wollte auch weg von zu Hause, wo er bei der Familie gelebt hat, mit der Mutter, Geschwistern »und vielen Cousins«. In der eigenen Wohnung in Engstingen sei es ruhiger, lacht er. Das Gehalt ist auch nicht schlecht, St. Martin bezahlt Tarif, 3.600 Euro pro Monat plus Zulagen für Schichtdienste sind drin. Und auf der Alb sei das Leben günstiger als in einer Großstadt, bei der Miete angefangen. Außerdem gebe es mehr Aufstiegsmöglichkeiten als in der Türkei, meint Balaman.

Verstärkung von den Philippinen

Mit diesen Pfunden kann die Sozialstation wuchern, vier philippinische Fachkräfte sind bereits in Deutschland und sollen im Oktober bei St. Martin einsteigen. »Pflege ist ein Mangelberuf«, sagt Stuhlmüller, er sucht auf verschiedenen Wegen nach Pflegern. Begonnen bei der Ausbildung im Haus, bei der Unterstützung von Wechselwilligen in Pflegeberufe oder durch das Programm »WeGebAU - Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen«. Das Werben um ausländische Fachkräfte ist ein weiterer Baustein. (GEA)