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Waldumgang in Engstingen

Windkraftstandorte und Kernzonen: Der Gemeinderat Engstingen befasste sich beim Waldumgang mit sehr konkreten Themen.

Baustellen-Besichtigung bei den Nachbarn: Auf Gomadinger Gemarkung sind bereits Fundamente für Windräder zu sehen.
Baustellen-Besichtigung bei den Nachbarn: Auf Gomadinger Gemarkung sind bereits Fundamente für Windräder zu sehen. Foto: Marion Schrade
Baustellen-Besichtigung bei den Nachbarn: Auf Gomadinger Gemarkung sind bereits Fundamente für Windräder zu sehen.
Foto: Marion Schrade

ENGSTINGEN. Wie wirken sich bestimmte Themen, die im Gemeinderat besprochen werden, auf den Wald aus? Diese Frage stellten Bürgermeister Mario Storz, Forstamtsleiter Franz-Josef Risse und Revierförster Andreas Hipp in den Mittelpunkt des Waldumgangs des Engstinger Gemeinderats. Anstatt um allgemeine Klima-Entwicklungen, Festmeter, Haushaltszahlen und Brennholzpreise ging es an drei verschiedenen Orten um ganz konkrete, aktuelle Projekte: Die Ausweisung von Kernzonen im Zuge der Aufnahme der Gemeinde ins Biosphärengebiet, Windkraftstandorte und die Beteiligung am Bundesprogramm Klimaangepasstes Waldmanagement.

Erste Station: Pfaffenwald und Greut, wo die Bannwälder für die Biosphäre ausgewiesen werden. Um die geforderten, möglichst zusammenhängenden 50 Hektar überhaupt bieten zu können, musste die Kommune den Bundesforst um Hilfe bitten. Rund 28 Hektar sind Gemeindewald, der Rest gehört dem Staat. Das wird von der Biosphärenverwaltung so akzeptiert, auch wenn's ursprünglich nicht so gedacht war. Andere Kommunen haben ähnliche Probleme, das Interesse, sie in die Gebietskulisse zu integrieren, ist groß genug, um dafür Kompromisse einzugehen.

Das gilt für beide Seiten, wie Bürgermeister und Förster durchblicken ließen. Denn die Stilllegung von Waldflächen bedeutet, auf die Holzernte und damit auch auf Einnahmen zu verzichten. 50 Hektar sind gar nicht wenig, insgesamt hat Engstingen rund 900 Hektar Wald. Ganz wertlos wird die Kernzone aber nicht, wie Risse betonte: Dafür gibt's Ökopunkte, die bei Baumaßnahmen als Ausgleich notwendig sind und auch gehandelt werden. Vier Punkte bekommt Engstingen pro Quadratmeter Bannwald, derzeit liegt der Marktpreis bei vier Euro pro Punkt.

Zweifel am Bannwaldkonzept

Der Bürgermeister glaubt daran, dass die Vorteile des Biosphären-Beitritts die Nachteile unterm Strich überwiegen: »Wir haben mehr Fördermöglichkeiten, außerdem hoffen wir auf den Abglanz der positiv besetzten Marke.« Auch Risse bewertet die Marketing-Effekte als Gewinn, was die Waldwirtschaft angeht, ist er eher skeptisch: »Wir sind Förster, keine Stillleger.« Aus seiner Sicht ist es fraglich, ob die Biosphären-Idee der »Urwälder von morgen« das richtige Konzept für die Alb ist: »Hier gibt es kaum einen Quadratmeter Wald, der sich ohne den Menschen entwickelt hat. Ohne den Menschen wäre der Wald viel artenärmer.«

Risse verwies auf Stilllegungen in Osteuropa, die 50 bis 100 Jahre zurückliegen: »Die Erfahrung zeigt, dass die Artenvielfalt nicht gestiegen, sondern gesunken ist.« Steigen indes wird die Anzahl der Individuen bestimmter Arten, vor allem denjenigen, die Totholz lieben: Schmetterlinge und andere Insekten, Schnecken und Pilze. Ein Gutes hat das Projekt für ihn: Es dient der Forschung, in ein paar Jahrzehnten wird man sicher wissen, wohin die Reise für den Alb-Wald ohne Menschen geht.

Die Stärkeren setzen sich durch, andere gehen verloren. Im rumänischen Nationalpark Semenic, machte Risse ein Beispiel, »gibt es nur noch eine Baumart: die Buche.« So ähnlich könnte es auf der Alb kommen. Das Rotwild vernascht gerne junge Bäume, zum Beispiel Ahorn, die es deshalb gar nicht erst schaffen, groß und stark zu werden. Die Jagd ist deshalb ein Thema, das auch beim Engstinger Waldumgang angesprochen wurde. Darf man oder darf man nicht? Bisher gilt: Erlaubt ist in Kernzonen nur noch die Drück-, nicht aber die Einzeljagd. Dass es so bleibt, ist aber nicht sicher. »Die Verhandlungen mit dem Naturschutz laufen«, berichtete Risse, möglich also, dass sich hier was Grundlegendes ändert. »Wir sind jedenfalls Befürworter der Jagd«, verdeutlichte er die Position des Forsts.

Die Fichten kommen raus

So ganz ohne den Menschen sollen und können sich die Engstinger Urwälder von morgen übrigens nicht entwickeln, wie die Förster im Pfaffenwald klarmachten. Andreas Hipp sprach von einem »schönen Laubmischwald mit Fichtenanteil«, letzterer soll - wie fast überall - geringer werden. Warum? Erstens, weil die auf der Alb als »naturfremd« geltende Fichte mit dem Klimawandel schlechter klarkommt als andere Arten. Und zweitens, weil sie - insbesondere im Pfaffenwald - einen Risikofaktor mitbringt: den Borkenkäfer.

Befällt er hier Bäume, greift die Plage rasend schnell auf die benachbarten Privatwälder über. Um das zu verhindern, sollen die Fichten dezimiert werden. Der »zeitlich befristete Umbau«, so Risse, sei trotz Betretungs- und Bewirtschaftungsverbot im Bannwald im Sinne der Biosphärengebietsverwaltung, die höhere Forstbehörde in Freiburg und die höhere Naturschutzbehörde im Regierungspräsidium haben ihr Einvernehmen signalisiert. Ein Thema, das in anderen Gemeinden für Redebedarf sorgt, ist in Engstingen keins: Durch den künftigen Urwald von morgen führen keine Wege, über deren künftige Nutzung man sich streiten könnte.

Stand heute ist die Einzeljagd in den Kernzonen des Biosphärengebiets nicht erlaubt. Das könnte sich aber ändern, die Verhandlun
Stand heute ist die Einzeljagd in den Kernzonen des Biosphärengebiets nicht erlaubt. Das könnte sich aber ändern, die Verhandlungen dazu laufen. Foto: Marion Schrade
Stand heute ist die Einzeljagd in den Kernzonen des Biosphärengebiets nicht erlaubt. Das könnte sich aber ändern, die Verhandlungen dazu laufen.
Foto: Marion Schrade

Warum im Wald, wenn es woanders doch viel leichter ginge? Diese Frage drängt sich bei der Suche nach Windkraftstandorten und den dazugehörigen Diskussionen immer wieder auf. Schließlich müssen für die Windräder und vor allem für deren Bau Flächen gerodet werden, von denen später auch nur ein Teil wieder an die Natur zurückfällt, wie Revierförster Andreas Hipp beim zweiten großen Ziel der Exkursion erläuterte. Auf dem Schönbergle bei Kleinengstingen soll eines von insgesamt drei Windrädern an drei Standorten errichtet werden. Die anderen beiden sollen im Neubuch und auf dem Hau stehen, insgesamt, so Hipp, werden 3,4 Hektar verbraucht.

Wie es auf der Baustelle aussehen könnte, wurde beim Abstecher auf die Nachbargemarkung deutlich: Im Staatswald auf Gomadinger Terrain - die Engstinger Anlage auf dem Schönbergle schließt sich hier an - sind schon fertige Fundamente zu sehen. In die Tiefe gegraben wird erstaunlich wenig, die Fundamente sind gerade mal so tief wie ein Schwimmbecken. Dafür sind die Schotterpisten für die Baufahrzeuge ziemlich breit, und zumindest ein Teil davon wird bleiben: »Solange die Windräder stehen, muss ein Kran aufgestellt werden können«, schilderte Hipp die Rahmenbedingungen.

Wald vor Äckern und Wiesen?

Dass für die Eingriffe in die Natur Ausgleichsmaßnahmen gemacht werden müssen, freut jeden Förster grundsätzlich, über das Wo und Wie kann man geteilter Meinung sein, wie im Falle Gomadingen. Dort war neben der Baugrube bereits eine Gruppe von Pflänzchen in Wuchshüllen zu sehen. »Sträucher für die Haselmaus«, wusste Hipp, »naturschutzrechtlich muss das sein, ob die Pflanzen so davon kommen und ob sich die Maus darüber freut, wird sich zeigen.« Sein Chef gab ihm Recht: »Das muss gemacht werden, die Bürokratie will es so, die Sinnhaftigkeit darf bezweifelt werden.«

Es mag der Eindruck entstehen, dass bei der Standortsuche der Wald den landwirtschaftlichen Flächen vorgezogen werden könnte. Das sei aber eher Zufall als Absicht, erläuterten Hipp und Storz. Im Wald gibt es mehr zusammenhängende Flächen, bei denen die Besitzverhältnisse eher unkompliziert sind - ganz im Gegensatz zu den landwirtschaftlichen Flächen, die diversen Eigentümern gehören. Letzteres erschwert üblicherweise die Verhandlungen für Investoren, so Hipp und Storz, die auf eine Ausnahme verwiesen: Bei Magolsheim entsteht ein großer Park auf grünen Wiesen und Äckern.

Dass es in Engstingen der Kommunalwald geworden ist, hat, wie Storz betonte, auch Vorteile: Von den Pachteinnahmen profitieren nicht ein paar Wenige, sondern viele, »das Geld kommt der Allgemeinheit zugute, das erhöht die Akzeptanz«. Für letztere musste Storz durchaus kämpfen, es kam zum Bürgerentscheid, bei dem sich 69,42 Prozent derer, die abstimmten, für die Verpachtung kommunaler Flächen an einen Investor aussprachen.

Habitatbäume bringen Geld

Der letzte Vor-Ort-Besuch galt dem Klimaangepassten Waldmanagement. Das Bundesprojekt setzt die Gemeinde unter anderen im Unteren Neubuch unweit des Kleinengstinger Sportplatzes um. Auch hier geht es darum, Flächen stillzulegen, und zwar fünf Prozent des gesamten Waldes für die Dauer von 20 Jahren - allerdings mit einem entscheidenden Vorteil gegenüber der Kernzone fürs Biosphärengebiet: Hier wird keine zusammenhängende Fläche gefordert, es darf gestückelt und summiert werden. Auch ein Betretungsverbot gibt es hier, im Gegensatz zum Bannwald, nicht.

Dafür hatte der Revierförster ordentlich Geschäft. Er musste 4.365 Habitatbäume ausweisen, die nicht gefällt werden dürfen und anderen Arten als Lebensraum dienen sollen. Der Lohn, den die Gemeinde dafür erhält: Rund 77.000 Euro Fördergelder vom Bund jährlich - über zehn Jahre hinweg. Vom elften bis zum 20. Jahr gibt's dann noch 1.700 Euro jährlich. Kein Extra-Geld, aber einen dicken Applaus von den Gemeinde- und Ortschaftsräten bekamen die Vertreter des Forsts: Mit Biosphäre und Windkraft haben sie zusätzlich zu ihren eigentlichen Aufgaben zwei große Themen auf der Agenda. (GEA)