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Aktuell Gemeindereform

Wie es zu Lichtensteins Zwangsgeburt vor 50 Jahren kam

Vor 50 Jahren war die Geburtsstunde der Gemeinde Lichtenstein. Zwei Bürgermeister erinnern sich an den schwierigen Start.

Holzelfingens Ortsvorsteher Jürgen Richter, Bürgermeister Ernst Braun und Honaus Ortsvorsteher Dieter Winkler (von links) unter
Holzelfingens Ortsvorsteher Jürgen Richter, Bürgermeister Ernst Braun und Honaus Ortsvorsteher Dieter Winkler (von links) unter dem Wappen der neuen Gemeinde. Foto: wa
Holzelfingens Ortsvorsteher Jürgen Richter, Bürgermeister Ernst Braun und Honaus Ortsvorsteher Dieter Winkler (von links) unter dem Wappen der neuen Gemeinde.
Foto: wa

LICHTENSTEIN. Am Anfang stand die Idee, die Verwaltung schlanker, effizienter zu machen und die Gemeinden in ihrer Leistungsfähigkeit dem Wandel der Gesellschaft anzupassen. Das steckte, kurz gefasst, hinter der Gemeindereform, die das Land Baden-Württemberg 1974 gegen den Widerstand vieler seiner Bürger durchdrückte. Am Ende hatte das Land statt 3.379 nur noch 1.111 selbstständige Gemeinden. Eine davon ist Lichtenstein, die am 1. Januar 50 Jahre alt geworden ist. Noch heute sind bei einigen aus den eingemeindeten Orten Honau und Holzelfingen die Wunden des erzwungenen »freiwilligen Zusammenschlusses« nicht verheilt. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Gemeinde, die heute aber für viele auch eine Selbstverständlichkeit ist.

Als Dieter Winkler 1970 als Honauer Bürgermeister vereidigt wurde, deutete der damalige Reutlinger Landrat Gerhard Müller schon an, dass es mit der Selbstständigkeit der Gemeinde bald ein Ende haben könnte, erinnert sich der heute 84-Jährige. Ein Gedanke, der damals in Honau nur auf wenig Gegenliebe stieß. »Wir hatten ja alles«, erklärt Winkler. Welche Gemeinde mit 1.200 Einwohnern habe damals ein Freibad ihr Eigen nennen können? Das gibt es bis heute. Und der eine oder andere erinnert sich noch, dass sich fast 80 Prozent der Honauer in einer Bürgerbefragung gegen den Zusammenschluss mit Unterhausen ausgesprochen hatten.

Höhere Steuern befürchtet

Nicht anders in Holzelfingen, dort waren es mehr als 80 Prozent aller Abstimmungsteilnehmer, die keinesfalls mit denen im Tal unter ein Verwaltungsdach kommen wollten. Ein Ergebnis, das in vielen andern Kommunen im Land nicht anders ausfiel, die Landesregierung aber nicht scherte. Noch Anfang 1974 hatte der Honauer Gemeinderat an die Regierung in Stuttgart appelliert, ein demokratisches Land könne, die Stimmen der überwiegenden Mehrheit nicht ignorieren. Sie hielt an ihrem Vorhaben fest. Was einen Fuhrunternehmer aus dem Ort, wie der GEA damals berichtete, dazu trieb, die Honauer aufzufordern, keine Steuern mehr zu bezahlen. Zuvor hatte Karl Eberhardt, zu diesem Zeitpunkt Winklers Stellvertreter und späterer Honauer Ortsvorsteher, das Schreckgespenst von höheren Steuern und Abgaben an die Wand gemalt und auf die finanzielle Lage Unterhausens verwiesen. Er fuhr damals ganz schwere Geschütze auf und sprach gar von einem Dolchstoß für Honau.

Bei der Geburtstagsfeier 1975 in der Lichtensteinhalle traten die vereinigten Posaunen- und die vereinigten Bläserchöre aus den
Bei der Geburtstagsfeier 1975 in der Lichtensteinhalle traten die vereinigten Posaunen- und die vereinigten Bläserchöre aus den Ortsteilen der neuen Gemeinde Lichtenstein auf. Foto: wa
Bei der Geburtstagsfeier 1975 in der Lichtensteinhalle traten die vereinigten Posaunen- und die vereinigten Bläserchöre aus den Ortsteilen der neuen Gemeinde Lichtenstein auf.
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Jürgen Richter (80) war ebenfalls 1970 gewählt worden, und zwar von den Holzelfingern zum damals jüngsten Bürgermeister im Land. Er erinnert sich noch gut an die Abstimmung im Landtag, da habe die CDU die Abgeordneten im Rollstuhl in den Plenarsaal geschoben, um sicherzugehen, dass das Gesetz beschlossen wird. Und er hat noch ein Gespräch mit einem Referenten im damaligen Innenministerium im Gedächtnis. »Der war völlig überrascht von der Tatsache, dass Holzelfingen und Unterhausen nicht direkt nebeneinander liegen, sondern viele Höhenmeter dazwischen sind.« Das sei keine Anekdote, sondern die Wahrheit, erklärt der spätere Ordnungsamtsleiter Lichtensteins, der 1981 in der Gemeinde Auenwald zum Bürgermeister gewählt wurde, wo er bis heute lebt.

Die geografische Lage habe wesentlich dazu beigetragen, dass auch der Holzelfinger Gemeinderat einstimmig die Eingemeindung »als nicht sinnvoll« ansah. Eher wollte man sich mit Engstingen zusammentun. Aus Richters Sicht hat damals auch Unterhausens Bürgermeister Ernst Braun auf den Zusammenschluss mit Honau und Holzelfingen gesetzt. Warum? Weil Braun die Befürchtungen gehegt habe, sonst eventuell mit Pfullingen eine Einheit bilden zu müssen, ist sich Richter sicher.

Gemeindereform - warum?

Ausgangspunkt für die damalige grundlegende Verwaltungsreform des Landes war die Erkenntnis, dass sich die Strukturen von Gesellschaft und Wirtschaft in den Jahrzehnten zuvor auf vielfältige Weise verändert hatten, während diejenigen der öffentlichen Verwaltung unverändert geblieben waren. Früher, so sagte es der damalige Innenminister Walter Krause, sei die Gemeindeverwaltung in erster Linie eine Ordnungsverwaltung gewesen. Ihre Aufgaben umfassten vor allem die Funktionen Meldebehörde, Standesamt, Ortspolizeibehörde und Feuerwehr. Die moderne Gemeinde zeichne sich aber durch ihr Angebot unter anderem an Schulen, öffentlichen Büchereien, Sportanlagen und Kindergärten aus, also durch Leistungen, die den gestiegenen Ansprüchen der Menschen gerecht werden. Viele Gemeinden konnten jedoch mit diesen neuen Herausforderungen nicht Schritt halten. Die Reform hatte deshalb das Ziel, die Leistungsfähigkeit und Verwaltungskraft der Gemeinden zu stärken. Vor allem sollten durch die Reform größere Einheiten geschaffen werden, von denen man sich mehr Effektivität und Effizienz versprach. Quelle: Statistische Landesamt Baden Württemberg. (us)

Den Holzelfinger ging es nicht viel anders als den Honauern: Unterhausen konnte ihnen nicht viel bieten, was sie nicht schon selber hatten. Beispiele gefällig? Die Grundschule in Holzelfingen hatte sogar ein eigenes Lehrschwimmbecken. Eine Sensation auf der wasserarmen Alb, erklärt Richter, für das sich damals auch die überregionalen Medien interessierten. Und mit dem neugebauten Feuerwehrhaus sei der Ort Vorbild für viele anderen Kommunen seiner Größe gewesen. Auch Unterhausen habe kein Magazin gehabt.

Geld spielte eine große Rolle

Letztendlich haben die Gemeinden, wie so viele andere im Land, dann doch »freiwillig« mitgemacht. Das Geld spielte dabei eine große Rolle. Davon bot das Land all den Kommunen reichlich, die ohne Zwang zusammengingen. Gemeinden, die sich freiwillig zusammenschlossen, sollten bei der Berechnung der sogenannten Schlüsselzuweisungen einen 20-prozentigen Zuschlag auf die Einwohnerzahl erhalten. Für eine Kommune mit beispielsweise einer Einwohnerzahl von 1.000 bedeutete dies, dass sie Schlüsselzuweisungen für 1.200 Einwohnerinnen und Einwohner erhielt. Dieser Sonderzuschuss wurde fünf Jahre lang in vollem Umfang gewährt, danach wurde er schrittweise abgebaut. »Finsternis wird nicht über Honau hereinbrechen«, hatte Unterhausens Bürgermeister Ernst Braun bei einer Veranstaltung über den Eingliederungsvertrag den Bürgern versichert. Und ein bisschen ließen sich diese ja die Eingliederung auch versilbern. Denn Honau hatte seinerzeit keine Turnhalle, heute schon. Die Echazhalle wurde mit Geld gebaut, mit dem das Land die Freiwilligkeit förderte und die Eingliederung etwas erleichterte.

Der Zusammenschluss sollte einen neuen Namen bekommen, Holzelfingen und Honau durften beim Namen mitbestimmen. »Lichtenstein« hielt Winkler damals für akzeptabel, wie er im Januar 1974 bei einer Bürgerversammlung erklärte, weil der Begriff allen drei Beteiligten etwas zu sagen hatte. Den neuen Namen hatte dann Unterhausens Bürgermeister Ernst Braun in seinem Grußwort zum Zusammenschluss aufgegriffen, das am 2. Januar 1975 im GEA veröffentlicht worden war. Darin begrüßte er die »neu hinzugekommenen Bürger« in der Gemeinde Lichtenstein. »Ich weiß, dass dieser Schritt in die Einheit mit Unterhausen nicht allen leichtgefallen ist, weil sie an dem Gewachsenen hängen und mit der bisherigen Gemeinde eng verbunden waren. Aber auch Unterhausen hat durch die Aufgabe seines Namens und Wappens zugunsten des Zusammenschlusses Opfer gebracht. Es hat dies getan, um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und um auch nach außen hin seine Bereitschaft zur Gemeinsamkeit zu bekunden«, heißt es darin weiter.

Fest geplant

Bei einer Feierstunde am 22. Januar 1975 war die Lichtensteinhalle proppenvoll und die Bürger der neuen Gemeinde unter sich. Einzig der damalige Landrat Gerhard Müller mit Gattin begleitete die Feier, so war's im GEA zu lesen. Dem damaligen Berichterstatter zufolge wählte Bürgermeister Braun zur Begrüßung ungewöhnliche Worte, nämlich ein Zitat von Georg Christoph Lichtenberg: »Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es gut werden soll.«

25 Jahre später, als die Gemeinde den Zusammenschluss groß feierte, waren zumindest einige der schärfsten Kritiker verstummt. Der Honauer Karl Eberhardt etwa wollte von einem Dolchstoß nichts mehr wissen. »Im Grunde genommen haben wir keine Nachteile«, sagte er damals dem GEA und verwies dabei unter anderem auf die teure Sanierung des Honauer Freibads. Die hätte sich ein selbstständiges Honau sicher nicht leisten können.

Dass es gut geworden ist, darüber wird heute weniger geredet als vor 25 Jahren und die Eingemeindung ist längst ein Fakt, Normalität. Gefeiert wird das 50-Jährige auch nicht mehr so groß wie 1999. Zwar plant die Gemeinde ein Fest, wann dieses stattfindet und wie groß es ausfallen wird, ist aber noch nicht bekannt. (GEA)