Schwieriger Alltag
»Die Zahlen sind eher zu niedrig als zu hoch angesetzt«, vermutet Hartwig von Kutzschenbach. Der Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg ist zugleich Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes für alte Menschen im Landkreis Esslingen und auch persönlich betroffen: Seine Schwiegereltern haben eine demenzielle Erkrankung. In einem äußerst lebendigen Vortrag klärte Kutzschenbach zunächst über die langsam fortschreitende Erkrankung des Gehirns auf: »Der Mensch verändert sich so, wie ich es nicht kenne.« Das mache den Alltag schwierig, verursache Stress. Der Pflegende müsse sich ständig anpassen. Zudem könne sich der Erkrankte nicht mehr zeitlich und räumlich orientieren. Personen würden nicht mehr erkannt. »Alltägliche Situationen und Gegenstände erhalten allmählich eine andere Bedeutung.« Der Erkrankte lebe zunehmend in seiner eigenen Welt. Gefühle, Musik, behutsamer Körperkontakt – all das werde erlebt und sei wichtig.Die Motivation zu pflegen habe viele Gründe, oft sei es ein Versprechen. Dass dieses unter ganz anderen Voraussetzungen geschah, dass ein Heimaufenthalt in einer Gruppe von Menschen sich oft sehr positiv auf den Kranken auswirken kann und den Pflegenden hilft, gesund zu bleiben – all das gab von Kutzschenbach zu bedenken, ohne die Entscheidung für Pflege zu Hause oder im Heim vorwegnehmen zu wollen.
Neben dem »Angebundensein«, dem Zurückstellen eigener Zukunftspläne, der Überforderung machen vor allem Einsamkeit und Hilflosigkeit den Pflegenden zu schaffen. Weil das Verhalten der Erkrankten oft nicht mehr angepasst ist und so in der Öffentlichkeit nicht als angemessen empfunden wird, ziehen die Pflegenden sich und ihren Angehörigen zurück. Von Kutzschenbach ermutigt die Betroffenen, auf andere zuzugehen, Kontakte zu knüpfen und sich in Selbsthilfe-Gruppen Unterstützung zu holen.
Situation belastet
Anschließend interviewte Heimleiterin Christine Klein zwei Angehörige von an Demenz Erkrankten. Otto Keppeler ist froh, seine seit vielen Jahren an Demenz leidende Frau vor gut einem Jahr ins Heim gebracht zu haben: »Ich konnte ihr zu Hause nicht das bieten, was das Heim bietet.« Auch die Schwiegermutter von Inge Lutz ist seit mehr als zehn Jahren an Demenz erkrankt. Noch schaffe sie die Pflege zu Hause mit Unterstützung von ambulanten Pflegekräften und von ihrem Mann. Der Preis sei aber der »Verzicht auf ein eigenes Leben«. Zwischendurch gab es immer wieder Fragen an den Vorsitzenden der Alzheimer Stiftung, die zeigten, wie sehr etliche der Besucher durch ähnliche Situationen belastet sind.Nicole Hartmann wies darauf hin, dass die Alzheimer Gesellschaft es sich zum Ziel gesetzt habe, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, das Thema zu enttabuisieren und den Kranken und Pflegenden die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
Die Bilder der Hamburger Fotografin Claudia Thoelen geben Einblicke in das Leben von vier Ehepaaren, von denen je ein Partner erkrankt ist. Der »graue Alltag« werde von Tag zu Tag gelebt. In Erinnerung aber blieben die »blauen Momente«, die schönen Augenblicke.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Reinhard Gradmann von der Samariter-Stiftung, Geschäftsführer der Stiftung »Zeit für Menschen«. Für die musikalische Umrahmung sorgte der Gitarrist Julian Kehrer. Zu sehen ist die Ausstellung im Foyer des Samariterstifts noch bis zum 8. Februar. (GEA)