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Warum Kultur für diesen Pfullinger so wichtig ist

Der Pfulbentalk ist eng mit Sieger Maier verbunden. Der Pfullinger erzählt, warum Kultur für ihn und die Stadt so wichtig ist.

Die Füße im Wasser der Echaz: Sieger Maier an einem seiner Lieblingsorte.
Die Füße im Wasser der Echaz: Sieger Maier an einem seiner Lieblingsorte. Foto: Uwe Sautter
Die Füße im Wasser der Echaz: Sieger Maier an einem seiner Lieblingsorte.
Foto: Uwe Sautter

PFULLINGEN. »Ich setz' mich in die Echaz bei der Schlossbrücke.« Sieger Maier muss nicht lange überlegen, an welcher Stelle er sich für ein Gespräch »Locker vom Hocker« ablichten lassen will. Die Echaz, sagt der 65-Jährige, der schon seit Jahren das Kulturleben in Pfullingen mit prägt, gehört einfach dazu. Und die Schlossbrücke? Die ist für den 65-Jährigen der Beleg dafür, dass sich in der Echazstadt doch etwas ändern kann. Denn sie ist seit dem 1. September für Motorfahrzeuge gesperrt. Eine seit Langem fällige Entscheidung, findet er, die letztlich auch der Sicherheit der Schulkinder geschuldet sei.

Es gibt viele schöne Plätze in der Echazstadt - und manche kann man noch schöner machen. Etwa, wenn man an das Geländer der Schlossbrücke ein Seil samt Brett bindet, damit die Enkelkinder an einem heißen Sommertag mit den Füßen in der Echaz schaukeln können. Sieger Maier macht sowas. Es ist die Verbindung von Kreativität und Handwerk, die, so glaubt Maier, er auch seinem Opa - »der war ein Bastler«- verdankt, obwohl er sich an ihn nicht mehr erinnert. Jedenfalls soll der ziemlich kreativ gewesen sein. Aufgewachsen ist Sieger Maier in Eningen, zuerst mitten im Ort, in der Schulzengasse, später sind seine Eltern mit den drei Kindern ins neue Viertel auf die Wenge umgezogen. Sein Vater wollte Gärtner werden, ist dann aber bei der Maschinenfabrik Finck gelandet, bei der später auch Sieger Maier Mechaniker lernt. Seine Mutter ist Näherin, kümmert sich aber, wie in dieser Zeit üblich, um die Familie. »Ein ganz normales Arbeiterhaus«, sagt Maier.

Eine Frage der Gerechtigkeit

»Lernen ist und war nicht meine Sache«, erklärt der 65-Jährige. Er geht in die Hauptschule und »schwimmt da so mit«. Mit der Lehre kommt auch der Abschied aus dem Elternhaus, die WG in Reutlingen. Wobei er den Auszug nicht als Rebellion gegen die Eltern sieht: »Ich wollte raus und sehen, was in der Welt passiert.« Nicht nur Erfreuliches. Maier engagiert sich in der Gewerkschaft und im Betriebsrat, macht sich für eine Jugendvertretung stark, das kommt nicht bei allen gut an. Am Ende eines Prozesses vor dem Landesarbeitsgericht steht die Kündigung. »Ich wollte wissen, ob man Recht auch durchsetzen kann«, sagt er, warum er den Prozess in Kauf nahm und ergänzt: »Das war damals nicht bedrohlich.« Ähnlich wie heute waren Facharbeiter gesucht. Aber für ihn stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit in der Gesellschaft seither noch deutlicher. Damals, sagt er, war der Maßstab deutlich kleiner, »heute ist er ganz weit«.

Ob im Haus seiner Eltern viel über Politik geredet wurde, darin erinnert er sich nicht mehr. Er weiß nur, »dass sie gegen Nazis waren.« Dass dann nach seinem Umzug von Reutlingen nach Pfullingen ausgerechnet Wilhelm Kinkelin sein Vermieter war, ist auch für ihn ein komischer Zufall. Damals, 1984, war die Nazi-Vergangenheit des ehemaligen SS-Mannes und Leiter des Amts »Blutpflege und Rassenkultur« im Reichsamt für Agrarpolitik noch kein großes Thema. Jedenfalls hat Maier mit dem begrenzten Blick auf die Welt und die Realität nichts am Hut: »Die Vielfältigkeit ist ein Wert an sich, es ist Verpflichtung der Kultur daran zu arbeiten«, sagt Maier, der gerade mit anderen das »Fest der Kulturen« für Pfullingen organisiert hat.

Gründungsmitglied von i'kuh

Dass Maier kein Pfullinger ist, kann man fast nicht glauben, so wie er in der Kulturszene vernetzt ist. Verbunden ist er vor allem mit i'Kuh, der Initiative für ein Kulturhaus, die mit Witz, Kreativität, Engagement und Beharrlichkeit, ihr Ziel verfolgte. Maier, heute stellvertretender Vorsitzender von i'kuh, war schon bei der Gründung 1995 dabei: "Ich war kurz davor dazugestoßen." Warum? "Das war eine lustige Truppe", die sich einmischen wollte und die, das ist Maier wichtig, sich nicht als Konkurrenz zum bisherigen Kulturangebot in der Stadt sah. "Wir haben nie gesagt, dass das, was da war, falsch ist." Es sei keine Kritik gewesen, sondern die Idee, wie man mehr daraus machen kann", ergänzt Maier.

Klar, sagt er, die Pfullinger haben im Landkreis vielfältige Möglichkeiten, Kultur zu konsumieren. Lebensnotwendig wäre etwa ein Kulturhaus nicht. Aber es mache schon etwas aus, wenn das, was geboten wird, »aus meiner Stadt heraus kommt«, das schaffe Identität, Gemeinsamkeit, ist er sich sicher. Die Kultur gibt es jetzt um die Ecke im neuen Kulturhaus, »dort trifft man Leute, die man sonst in der Stadt nicht getroffen hätte, man kommt aus seiner Blase raus.« Und warum macht er jetzt - nach so langer Zeit, das Kulturhaus ist da, das Ziel erreicht - einfach weiter? »Mir ist klar, dass wir viel gefordert haben«, sagt er. Deshalb fühlt er sich verantwortlich. Das Kulturhaus soll laufen, seinen Zweck erfüllen, sich für die Pfullinger auszahlen, dafür arbeitet er. Erst recht, seit er in Rente ist: »Ich weiß gar nicht, wie ich das früher geschafft habe.«

Der Sofa gehört der Stadt

Zu dem, was er geschafft hat, gehört auch der Pfulbentalk. Seit 2012 organisiert Maier die Gesprächsrunde. Zweimal im Jahr sitzen auf dem großen roten Sofa, das jetzt auch im Kulturhaus steht, interessante Gäste, reden übers Zwilling sein, den Klimawandel, den Wohnungsbau oder über ihre Musik. »Auf andere Leute zuzugehen, liegt mir, sie mitzuziehen und zu begeistern«, sagt er. Das hilft ihm bei der Auswahl der Gäste für den Talk. Da ist er kritisch, »das muss ja was werden. Das Sofa gehört ja nicht mir, sondern der Stadt«, fügt er an. Dass es klappt, dafür liest er viel, vor allem auch Sachbücher. Er muss wissen, was sich in der Welt abspielt. »Ich will Antworten bekommen.« Und da taucht auch das Thema Gerechtigkeit wieder auf, »das hat auch etwas mit der Stadt zu tun«.

Eine Kandidatur für den Gemeinderat war nie Thema für Maier. So fest einbinden lassen wollte er sich nicht. Er schätzt seine Unabhängigkeit. Politik hat er trotzdem gemacht, fürs Kulturhaus, für die Menschen. Wichtig sei es, alle demokratischen Parteien an einen Tisch zu bekommen: »Das hat, glaube ich, gut geklappt.« Es überrascht nicht, dass die Lieblingsmusik des Freigeistes Jazz ist. Dazu passt auch Maiers ehrliche Antwort, auf die Frage, ob er ein Teamspieler ist? »Ich bin mir im Klaren, dass es nur im Team geht«, räumt er noch kurzem Zögern ein. (GEA)