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Warum eine Pfullingerin im KZ Dachau getötet wurde

Die Pfullingerin Frida Schwille wurde am 30. November 1944 im Konzentrationslager Dachau erschossen. Der Vorwurf: Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Doch das stimmt nicht.

Der Eingang zum Konzentrationslager Dachau. Hier wurde die Pfullingerin Frida Schwille hingerichtet.
Der Eingang zum Konzentrationslager Dachau. Hier wurde die Pfullingerin Frida Schwille hingerichtet. Foto: Matthias Schrader/dpa
Der Eingang zum Konzentrationslager Dachau. Hier wurde die Pfullingerin Frida Schwille hingerichtet.
Foto: Matthias Schrader/dpa

PFULLINGEN. Die Geschichte der Pfullingerin Frida Schwille klingt wie ein verworrener und dramatischer Krimi. An einem Tag im Juni 1944 wurde die damals 34-Jährige an ihrem Arbeitsplatz von der Gestapo Stuttgart verhaftet und nach fünfeinhalb Monaten Haft, Verhör und Folter am 30. November desselben Jahres im Konzentrationslager Dachau erschossen. Der Vorwurf damals: Widerstand gegen den Nationalsozialismus. »Heute wissen wir, dass Frida Schwille unschuldig war«, erklärt Waltraud Pustal, Vorsitzende des Geschichtsvereins Pfullingen. Welche »unglücklichen Aneinanderreihungen von Ereignissen« zu Schwilles Tod führten, versucht Pustal zu rekonstruieren.

»Das Wissen um Frida Schwille ist noch sehr jung«, erklärt Pustal. »Über die Jahre hinweg sind immer wieder neue Erkenntnisse ans Licht geraten, die die Tragik ihrer Geschichte verdeutlichen.« Aufgrund von Informationen aus verschiedenen Archiven sei es kein Wunder gewesen, dass alle zunächst dachten, Schwille sei im Widerstand gegen die Nazis aktiv gewesen. Seit die Protokolle der Spruchkammer Stuttgart (siehe Infobox) öffentlich einsehbar sind, änderte sich jedoch dieses Bild.

Leiterin der Milchsammelstelle

Aber von vorn: Am 9. September 1910 kam Frida Schwille in Pfullingen zur Welt. Ihre Eltern waren Bauern und lebten ein einfaches Leben in ihrem Haus in der Klosterstraße. Die fünfköpfige Familie trat aus der Evangelischen Landeskirche aus und einer biblischen Gemeinde, die sich damals Grefe-Hanowell-Sekte nannte, bei. Nach dem Tod ihrer Eltern im Jahre 1933 übernahm Frida Schwille die landwirtschaftliche Arbeit und wurde später zur Leiterin der Milchsammelstelle in Pfullingen. Heute steht dort das Friedrich-Schiller-Gymnasium. »Auf den ersten Blick scheint diese junge Frau ein recht normales und nicht sehr aufregendes Leben gehabt zu haben«, sagt Pustal. »Für das weitere Verständnis müssen wir uns jedoch auch dem Werdegang ihres Bruders Friedrich widmen.«

Frida Schwille ist am 9. September 1910 in Pfullingen zur Welt gekommen. Sie war Bäuerin und später Leiterin der Milchsammelstel
Frida Schwille ist am 9. September 1910 in Pfullingen zur Welt gekommen. Sie war Bäuerin und später Leiterin der Milchsammelstelle in der Echazstadt. Foto: Foto: PR
Frida Schwille ist am 9. September 1910 in Pfullingen zur Welt gekommen. Sie war Bäuerin und später Leiterin der Milchsammelstelle in der Echazstadt.
Foto: Foto: PR

Friedrich Schwille wurde am 12. Mai 1907 geboren. Seit 1927 war er als Wanderprediger der Grefe-Hanowell-Sekte im Dienst und arbeitete ab 1940 im Stahlwerk in Aue. »Im Sommer 1941 wurde er zum Wehrdienst einberufen und verweigerte«, sagt Pustal. Daraufhin wurde er verhaftet und trotz der richterlichen Anerkenntnis, dass er aus Menschenfreundlichkeit und nicht aus staatsfeindlicher Gesinnung handelte, zum Tode verurteilt. Drei Monate saß Friedrich Schwille in einer Todeszelle. In den Briefen, die er seiner Schwester Frida sandte, wurde deutlich, wie schlimm und kräftezehrend diese Zeit für ihn war.

Starke Geschwisterliebe

»Die Geschwister haben sich regelmäßig sehr ehrliche und dramatische Briefe geschrieben«, erklärt Pustal. »Wer diese liest, der erkennt, wie stark und groß die geschwisterliche Liebe zueinander war. Diese Tatsache ist auch sehr wichtig für den weiteren Verlauf der Geschichte.« Friedrich Schwilles Todesurteil wurde dann überraschend aufgehoben, im Februar 1942 wurde er an die Ostfront versetzt.

Währenddessen lebte Frida Schwille ihr Leben weiter in Pfullingen. Arbeitete, sorgte sich um die Familie und richtete regelmäßig Treffen der Grefe-Hanowell-Sekte in ihrem Haus aus. »An dieser Stelle ist vielleicht wichtig zu erwähnen, dass die Religionsgemeinschaft von den Nationalsozialisten verboten wurde und die Treffen im Hause Schwille trotzdem stattfanden«, erklärt Pustal. Frida korrespondierte weiterhin mit ihrem Bruder, bis sie eines Tages nichts mehr von ihm hörte.

Fremder vor Frida Schwilles Tür

»Heute wissen wir, dass Friedrich 1943 in russische Kriegsgefangenschaft kam und dort vermutlich auch gestorben ist«, sagt Pustal. Seiner Familie und vor allem Frida war dies jedoch nicht bekannt. Als dann im Jahr 1944 plötzlich ein Mann vor ihrer Tür stand und behauptete, Grüße von ihrem Bruder Friedrich überbringen zu wollen, nahm sie den Fremden direkt auf und beherbergte ihn. »Ich finde, dass hier wirklich deutlich wird, wie hilfsbereit diese junge Frau war«, betont Pustal. Der Mann namens Eugen Nesper gab sich als Kriegskamerad aus, der mit einem Flugzeug aus Russland gekommen und mit einem Fallschirm auf der Schwäbischen Alb abgesprungen sein sollte. Frida schrieb etliche Briefe an ihren Bruder, die sie Nesper mitgeben wollte.

Einige Tage nach dem Abschied des angeblichen Kriegskameraden wurde Frida Schwille an der Milchsammelstelle von der Gestapo Stuttgart festgenommen und ins Gefängnis nach Stuttgart gefahren. »Heute wissen wir, dass Eugen Nesper ein russischer Agent war«, erklärt Pustal. Nesper wurde schnell enttarnt und von der Gestapo gefangen genommen. Er bot den Gestapo-Verantwortlichen im Gegenzug zu seiner Freilassung seine Arbeit an. Sie stimmten zu und so war Nesper als Spitzel für sie unterwegs.

Doppelagent verrät Frida Schwille

In Protokollen aus der Spruchkammer Stuttgart sind Verhöre mit Gestapo-Mitarbeitern aufgezeichnet und verschriftlicht, die dies bestätigen. Im Zuge seiner Arbeit verriet Nesper alle, die er für antifaschistische Widerstandskämpfer hielt, neben diversen Mitgliedern der Stuttgarter Widerstandsgruppe Schlotterbeck auch einige Mitglieder der verbotenen Religionsgemeinschaft in der Echazstadt - darunter auch Frida Schwille. »Die Geschichte um den Doppelagenten ist einfach unglaublich. Und dann spielt sie auch noch in Pfullingen«, stellt die Vorsitzendes des Geschichtsvereins fest. Frida und einige ihrer Freundinnen wurden im Gestapo-Gefängnis verhört, gequält und in Straf- und Arbeitslager geschickt - doch sie hatten dadurch gelegentlich Kontakt zueinander.

Die Freundinnen werden noch im Jahr 1944 wieder freigelassen, doch Frida musste bleiben. In den Briefen, die sie hinterher über ihre Erlebnisse schreiben, wird deutlich, wie schlimm die Gefängniszeit gewesen sein musste, und dass Frida ahnte, nicht mehr freizukommen. Warum, das weiß keiner. »Frida Schwille hatte das Pech, in die Hände der Gestapo-Kommissare Alfred Hagenlocher und Otto Kessler zu geraten«, erklärt Pustal.

Widerstandsgruppe Schlotterbeck

Die beiden Gestapo-Männer setzten alles daran, neun vermeintliche Mitglieder der Stuttgarter Widerstandsgruppe Schlotterbeck zu exekutieren. Da Eugen Nesper häufig Kontakt zu Frida hatte, geriet sie vermutlich mit auf die Liste von Hagenlocher und Kessler. »Fälschlicherweise wurde sie daher mit der Widerstandsgruppe Schlotterbeck in Verbindung gebracht, obwohl sie nie miteinander Kontakt hatten«, sagt Pustal. Am 30. November 1944 war es dann so weit: Die beiden Gestapo-Männer ließen die Gefangenen ins Konzentrationslager nach Dachau bringen, wo sie schließlich erschossen und im Krematorium verbrannt wurden. In den Archivakten des KZs steht, dass zehn Menschen an diesem Tag hingerichtet wurden, darunter auch Frida Schwille.

»Dabei war sie unschuldig, genau wie die anderen Gefangenen im Übrigen. Weder die Religionsgemeinschaft noch Schwille selbst leisteten jemals aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus«, sagt Pustal. Den Kontakt zum Doppelagenten Nesper habe sie nur »wegen ihrer Liebe zu ihrem Bruder« gehabt. Auch in den Protokollen der Spruchkammer Stuttgart wird nicht deutlich, warum die Pfullingerin mit den Schlotterbecks in Verbindung gebracht wurde. »Diese junge Frau war hilfsbereit, sorgte sich um ihren Bruder und geriet in einen Fall, der nichts mit ihr zu tun hatte. Nesper hat sie vermutlich verraten, um seine eigene Haut zu retten. Frida Schwille war unschuldig.« (GEA)

Spruchkammer

Spruchkammern waren gerichtsähnliche Institutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Entnazifizierung in Deutschland eingesetzte wurden. In Spruchkammerverfahren wurden Kriegsverbrecher und solche Menschen, die für Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit verantwortlich waren, verhört. Anders als in einem Gerichtsverfahren konnten in Spruchkammern jedoch keine Urteile gefällt werden und es galt auch keine Unschuldsvermutung. Die Spruchkammer musste demnach keine Schuld beweisen, vielmehr musste der Betroffene seine Schuld mittels verschiedener Beweise entkräften. Alle volljährigen Deutschen mussten dafür einen Fragebogen ausfüllen, in dem unter anderem die Mitgliedschaft in der NSDAP erfragt wurde. Falschangaben wurden unter Strafe gestellt. Wer Mitglied der NSDAP oder von NS-Organisationen war, musste sich vor den Spruchkammern rechtfertigen, was rund 3,6 Millionen Deutsche betraf. Aufgrund zahlreicher Amnestien und Verzicht auf Klageerhebung wurden schließlich rund 950.000 Fälle verhandelt. Die Protokolle aus den Spruchkammerverfahren waren lange Zeit öffentlich nicht einsehbar. (GEA)