KREIS REUTLINGEN. Die Vorwürfe wiegen schwer. Ein Musiklehrer aus dem Kreis Reutlingen muss sich seit Mittwoch vor dem Schöffengericht des Reutlinger Amtsgerichts verantworten. Staatsanwältin Franziska Hipp wirft ihm sexuelle Belästigung und sexuellen Missbrauch von Kindern vor. Der Angeklagte schwieg zu einem Teil der Anklagepunkte und stritt eine Schuld ab. Da eine wichtige Zeugin nicht vor Gericht erscheinen konnte, wird das Verfahren im April fortgesetzt. Im Mittelpunkt des ersten Prozesstages standen die Aussagen der Mütter der beiden betroffenen Mädchen.
Die Anklageschrift ist deutlich. Demnach soll der Mann während des Einzelunterrichts die Mädchen belästigt und angefasst haben, während sie gemeinsam am Schluss der Unterrichtsstunde Musikvideos geschaut haben. Die Staatsanwältin wirft ihm vor, sich dann etwa hinter die Mädchen auf den Klavierhocker gesetzt, ihnen den Rücken, den Bauch gestreichelt und zumindest ein Mädchen auch unter der Kleidung im Brustbereich angefasst zu haben. Die Mädchen waren zum Tatzeitpunkt vermutlich sieben beziehungsweise elf Jahre alt.
Kuss eingefordert
Zur Anzeige kam es, als die Mädchen zu Hause von den Vorfällen berichteten, erzählten die beiden Mütter. Demnach ist eines der Mädchen, nachdem der Vertrag mit dem Mann auf ihren Wunsch beendigt worden war, Anfang 2023 wieder zu dem Musiklehrer gegangen, um einmalig gemeinsam zu musizieren. Bei dieser Gelegenheit schenkte ihr dieser ein silbernes Fußkettchen. Beim Besuch vergaß das Mädchen ein Notenbuch für die Schule, als sie tags darauf dieses abholen wollte, forderte der Mann laut Anklageschrift einen Kuss für die Herausgabe, den das Kind verweigerte. Der Angeklagte gab ihr gleichwohl einen auf die Wange, obwohl sie das nicht wollte, sich jedoch nicht zu wehren traute. Diesen Kuss räumte der Mann ein. Allerdings habe er damit keine sexuelle Absicht verbunden, das sei rein aus freundschaftlicher Verbundenheit geschehen. »Ich habe im Überschwang einen Fehler gemacht und finde es im Nachhinein sehr unprofessionell.«
»Heute sind alle Leute komisch«, mit diesen Worten habe ihre Tochter ihrem Ex-Partner erzählt, dass der Musiklehrer für die Herausgabe des Notenbuchs, einen Kuss gewollt habe, so die Mutter. Bei den Eltern schrillten sofort die Alarmglocken und sie suchten sich Hilfe - unter anderem beim Verein Wirbelwind. »Ich war geschockt, von dem, was da alles herauskam«, berichtete die Mutter von der Vernehmung ihres Kindes bei der Polizei. »Wir hatten schlaflose Nächte«, erzählte sie von den Folgen. Ihre Tochter habe viel geweint, habe Alpträume, fühle sich bis heute von Männern bedroht und sei auch in psychologischer Behandlung gewesen. Laufen Lieder im Radio, die ihre Tochter zusammen mit dem Angeklagten gespielt habe, müsse sie diese ausschalten.
Unter die Bekleidung gefasst
»Wir haben halt rumgebubelt«, sagte der Angeklagte zu den »Kitzelspielen« mit beiden Mädchen und dass er den Eindruck gehabt habe, dass diese allen Beteiligten Freude gemacht hätten. Davon konnte die Mutter des zweiten Mädchens nicht berichten. Deren Tochter lernte seit 2020 Klavierspielen bei dem Angeklagten. »Auch bei ihr suchte der Angeschuldigte schon lange immer wieder die körperliche Nähe, insbesondere im Zusammenhang mit den letzten 10 bis 20 Minuten des Unterrichts«, so die Staatsanwältin. Während dann You-Tube-Videos liefen, habe sich der Angeklagte neben oder hinter das Mädchen gesetzt und gestellt und sie am Rücken gestreichelt. Zumindest in sechs Fällen zwischen Dezember 2022 und Ende Januar 2023 habe er das Kind dann an Rücken, Bauch und Brust sowohl über als auch unter der Bekleidung angefasst.
Im Gerichtssaal
Richter: Eberhard Hausch. Schöffen: Dr. Utz Wagner, Lukas Bertsch. Staatsanwältin: Franziska Hipp. Rechtsanwalt: Urs-Gunther Heck. Nebenklägerin: Sandra Ebert. (GEA)
Ihre Mutter hatte Anzeige erstattet, als ihre Tochter weinend am Telefon erklärt hatte, nicht mehr in den Klavierunterricht zu wollen und wenig später dann berichtete, warum nicht. Dabei habe sie auch erzählt, dass sie versucht habe, den Übergriffen auszuweichen. »Er habe nichts Schlimmes im Sinn gehabt«, das habe er auch den Eltern des jüngeren Mädchens geschrieben, erklärte der Angeklagte auf eine Nachfrage der Nebenklägerin Sandra Ebert, ob er Kontakt nach der Anzeige zu den Familien gehabt habe. Eine psychologische Beratung habe er zwar in Erwägung gezogen, aber dann doch nicht in Anspruch genommen. Er sei zwar in Behandlung gewesen, aber aufgrund von Depressionen in Folge der Ermittlungen. Im Zuge derer, so der Vorsitzende des Schöffengerichts Eberhard Hausch, sei auch Material gefunden worden, das zumindest den Verdacht gegenüber dem Mann erhärtete. »Ich habe immer gebrauchte Hardware zugekauft, vielleicht habe ich mal vergessen, eine Festplatte zu löschen«, erklärte der Angeklagte dazu.
Vernehmung der Mädchen nicht ausgeschlossen
Da die entscheidende Zeugin, die die beiden Mädchen vernommen hatte, den Gerichtstermin nicht wahrnehmen konnte, wurde der Prozess letztlich vertagt. Dass im weiteren Verlauf auch die beiden Mädchen vernommen werden, will Richter Hausch zwar verhindern, ob's möglich ist, kann er aber noch nicht sagen. Bevor er die Verhandlung schloss, erklärte er in Richtung des Angeklagten, dass dieser mit dem Verzicht auf ein Geständnis, auch keine mildere Strafe bei einer Verurteilung erwarten dürfe. (GEA)