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Vierzig Jahre Kreistag: Pfullingens ehemaliger Bürgermeister blickt zurück

Immer engagiert für die Stadt und ihre Bürger: Mit Rudolf Heß verlässt ein kluger und engagierter Kommunalpolitiker den Kreistag und weitere Gremien. Ein Gespräch zum Abschied.

Rudolf Heß am Tor zum Privaten.
Rudolf Heß am Tor zum Privaten. Foto: Sautter
Rudolf Heß am Tor zum Privaten.
Foto: Sautter

PFULLINGEN. Mit 34 Jahren Bürgermeister in Pfullingen, zog Rudolf Heß mit 36 Jahren für die Freien Wähler in den Kreistag ein. Dass er sich auch dort eingebracht hat, ist für den engagierten Kommunalpolitiker eine Selbstverständlichkeit. Daran lässt der inzwischen 76-Jährige keinen Zweifel. Für eine neue Amtsperiode kandierte er nach 40 Jahren nicht mehr.

GEA: Warum gehört ein Bürgermeister in den Kreistag?

Rudolf Heß: Ein Bürgermeister der Stadt Pfullingen muss in den Kreistag, allein wegen der Größe der Stadt und der Aufgaben, die zu erledigen sind. Und einige Dinge kann die Stadt nicht selbst bereitstellen, wie Kliniken und Berufsschulen. Da mitzusprechen, zu beraten, wie es dort weitergeht, war mir wichtig. Und es ging mir um die Stadt, um ihre Reputation. Das Ansehen ist durch die Mitgliedschaft im Kreistag gestiegen. Außerdem glaube ich auch, die Bürger der Stadt haben es erwartet, dass ihr Bürgermeister dort dabei ist.

Wissen die Bürger, was im Kreistag passiert?

Heß: Im Einzelnen glaube ich nicht. Aber sie wissen, dass ihr Bürgermeister dabei ist, wenn etwa Entscheidungen zu den Kliniken oder der Regionalstadtbahn anstehen. Sie bekommen mit, wo letztlich entschieden wird, und erkennen, dass die Pfullinger Interessen vertreten werden.

Ist Kreistag mehr Politik oder kommunalpolitisches Handwerk?

Heß: Es ist beides. Es werden politische Entscheidungen getroffen oder es müssen politische Entscheidungen von höherer Ebene kompetent umgesetzt werden. Ein Beispiel ist das Asylrecht. Die Flüchtlinge kommen in den Kreisen an und werden auf die Gemeinden verteilt und dann beginnt unsere Verpflichtung, für Unterkunft zu sorgen, sie zu integrieren und zu schauen, dass das gesellschaftliche Miteinander funktioniert. Dazu gehört handwerkliches, politisches Können.

Wie groß ist der Handlungsspielraum des Kreistags?

Heß: Die Gestaltungsmöglichkeiten des Gemeinderats sind größer als im Kreistag. Im Letzteren gibt es mehr Fraktionsdenken, sind die Entscheidungen mehr politisch ausgeprägt. Der Kreistag ist das größere und damit auch zwangsweise das etwas politischere Gremium.

Ist Kreistag mehr Last oder Lust?

Heß: Es macht Spaß, wenn Sie etwas bewegen können. Eine Last ist es, wenn Sie im Kreistag sitzen und jeder sich noch zu Wort meldet und inhaltlich das Gleiche sagt wie sein Vorgänger, während daheim der Kittel brennt, weil der Schreibtisch voll ist und die Bürger Fortschritte und Antworten erwarten. Und du sitzt im Kreistag und musst dir das anhören. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass es in den Kliniken stimmt, da gab es und gibt es viel zu optimieren. Und dann ist der Verkehr ein zentrales Thema. Ich habe zum Beispiel stark am Flughafenbus Expresso mitgewirkt. Es war immer mein Ziel, dass man von Pfullingen aus in die weite Welt starten kann. Jetzt steigt man in Pfullingen in den Bus ein, fährt auf den Flugplatz und landet in Acapulco. Das macht Lust.

Braucht es den Kreistag überhaupt?

Heß: Das war für mich auch immer eine Überlegung. Wir haben den Kreistag und den Regionalverband. Wollen wir die größere Region oder die Kreisebene? Die Entscheidung darüber ist gefallen. Wir bauen in Reutlingen ein neues Landratsamt und in Mössingen ein Haus der Regionen. Ich halte das auch für richtig. Der Kreistag ist näher dran an den Menschen, aber man muss auch die regionale Entwicklung im Auge haben. Ein Bürgermeister muss deshalb auch im Regionalverband mitwirken.

Europa, Berlin, Stuttgart, Regierungsbezirk, Regionalverband, Kreistag, Gemeinderat, Bürger. Ist es nicht zwangsläufig, dass diese vielen Ebenen Bürokratie produzieren?

Heß: Es ist die Sache des Bürgermeisters, zu verdeutlichen, warum man diese Einrichtungen braucht und zu erklären, was sie machen. Demokratie muss verständlich, die getroffenen Entscheidungen nachvollziehbar sein. Und zum Thema Bürokratie hab’ ich eine Idee, denn die lähmt die Gesellschaft. Denn zuerst haben wir Bedenkenträger, dann Verhinderer und letztlich Nachhineinbetrachter, etwa die Gerichte. Wir müssten am 31. Dezember alles außer Kraft setzen und am 1. Januar nur das wiederbeleben, was wir wirklich brauchen. Dazu müsste ein Gremium gebildet werden, in dem die Wirtschaft dabei ist, das Land und die kommunale Seite, die sollte zuletzt das Sagen haben, da sie am nächsten bei den Menschen ist. Eine stücklesweise Entbürokratisierung funktioniert nicht. Man müsste einfach mal drangehen, mit Leuten, die das wollen und auch können.

Hat sich die Arbeit im Gremium verändert?

Heß: Ich fang’ mal mit dem Banalen an. Früher ist man mit Anzug und Krawatte gekommen, heute ist das anders. Aber es zeigte, welche Bedeutung man dem Gremium zumaß. Und dann hat die Digitalisierung viel verändert. Die Sitzungsdauer ist vergleichbar geblieben, das Kerngeschäft auch, natürlich dominiert heute etwa das Asylthema.

Manchmal wundert man sich schon, bei jeder Haushaltssitzung in den Kommunen wird über die Kreisumlage geschimpft, viele Bürgermeister haben die Höhe der Umlage aber mitentschieden. Wo liegt der Fehler?

Heß: Was in den Kommunen ankommt, ist ja schon eine abgespeckte Umlage, die letztlich auf dem Ergebnis einer Diskussion beruht, mit dem Tenor: Was braucht der Kreis, um seine Aufgaben zu erfüllen? Und da spielen bei einigen auch ideologische Faktoren eine Rolle: Die einen wollen nicht bei sozialen Themen kürzen, die anderen nicht im Umwelt- oder im Kulturbereich. Mein Grundsatz lautete immer: Kreis nur dann, wenn Stadt nicht kann, also Subsidiarität. Das Kernproblem der Kreisumlage ist eben, dass es eine Umlage ist. Das bedeutet, der Kreis beschließt einen Hebesatz und den müssen die Kommunen in ihrem Etat berücksichtigen. Müsste der Kreis dagegen einen Steuerbescheid für alle Bürger ausstellen, dann würden die Bürger nachfragen: »Ist das wirklich notwendig?« Das hat eine andere Wirkung, als wenn Sie in der Zeitung lesen, der Hebesatz beträgt so viele Prozent.

Zur Person

Rudolf Heß wuchs in Rietheim auf und leitete das Hauptamt in Münsingen, als er im Oktober 1982 als jüngster Kandidat zum Pfullinger Bürgermeister gewählt wurde. Er lenkte die Geschicke der Stadt 32 Jahre lang. Daneben bekleidete er viele weitere Ämter, sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen, unter anderem saß er vierzig Jahre im Kreistag. Mit seinem Abschied aus diesem Gremium ist der Rückzug ins Private fast abgeschlossen. Heß ist verheiratet, hat zwei Kinder und drei Enkelkinder. (us)

Fällt Ihnen der Abschied schwer?

Heß: Nein, denn alles hat ja bekanntlich seine Zeit. Zum einen darf man das Alter nicht vergessen und ich konnte mich auch zeitlich darauf einstellen. Jetzt bin ich aus dem Kreistag raus, aus dem Regionalverband und dem Verwaltungsrat der Kreissparkasse ebenfalls. Mit dabei bin ich noch im Stiftungsrat der Samariterstiftung. Das ist eine interessante Aufgabe, da wird etwa darüber entschieden, ob man ein Pflegeheim baut oder nicht, oder welche Gebühren man erhebt. Angesichts der Kosten und des Arbeitskräftemangels ist das ein großer Spagat. Ich habe mich immer gerne für die Belange der Menschen eingesetzt. (GEA)