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Streitgespräch über den Fleischkonsum: »Wir haben uns nicht zerfleischt«

»Lass uns reden«: Mit dieser Serie will der GEA Menschen unterschiedlicher Meinung zum Diskutieren bringen. Dieses Mal zum Thema Fleischkonsum. Gabi Widmaier (61) lebt seit Langem vegetarisch, weil sie nicht will, dass Tiere für sie sterben. Dieter Schmidt (77) hat eine andere Perspektive. Für ihn ist Fleisch vor allem eines: Genuss

Vegetarierin Gabi Widmaier und Fleischgenießer Dieter Schmidt haben nahe der Eninger Weide über das Thema Fleischkonsum gesproch
Vegetarierin Gabi Widmaier und Fleischgenießer Dieter Schmidt haben nahe der Eninger Weide über das Thema Fleischkonsum gesprochen Foto: Markus Niethammer
Vegetarierin Gabi Widmaier und Fleischgenießer Dieter Schmidt haben nahe der Eninger Weide über das Thema Fleischkonsum gesprochen
Foto: Markus Niethammer
ENINGEN. Fleisch schmeckt. Vorausgesetzt es ist gut zubereitet. Da sind sich Gabi Widmaier und Dieter Schmidt einig. Und das, obwohl sich hier ein überzeugter Fleischesser und eine langjährige Vegetarierin gegenübersitzen. Die 61-jährige Gabi Widmaier aus Betzingen lebt seit knapp zehn Jahren konsequent vegetarisch, für Dieter Schmidt (77) aus Wannweil kommt ein Leben ohne Fleisch nicht infrage. An diesem Montagabend treffen an einem Feldrand zwischen Eninger Weide, Schafhaus und Oberem Lindenhof zwei unterschiedliche Perspektiven zum Thema Fleischkonsum aufeinander. Dieter Schmidt sieht hier vor allem Genuss – Gabi Widmaier das Leid und den Tod der Tiere.

Widmaier und Schmidt haben sich beide auf den Aufruf zum vierten Teil der Serie »Lass uns reden« beim GEA gemeldet. Mit dieser Serie sollen Menschen unterschiedlicher Meinung miteinander ins Gespräch gebracht werden. Damit soll eine Basis für den Dialog zwischen GEA-Lesern geschaffen werden. In den vergangenen Folgen wurde bereits über die Maßnahmen gegen das Coronavirus, den Klimawandel und den Ausbau von Windkraft diskutiert.

Ein emotionales Thema

Das Thema Fleisch erhitzt nicht erst seit den jüngsten Vorkommnissen in der Großschlachtindustrie die Gemüter. Ob, wie viel und was für Fleisch man essen sollte, wird im Bekanntenkreis, in der Firmenkantine, am familiären Esstisch – nicht selten sehr emotional – diskutiert. Beim Thema Fleisch wird es zudem oftmals persönlich.

Was nehmen Sie aus diesem Gespräch mit?  Politikredakteurin Karin Kiefhaber hält Dieter Schmidts Fazit mit der Kamera fest.
Was nehmen Sie aus diesem Gespräch mit? Politikredakteurin Karin Kiefhaber hält Dieter Schmidts Fazit mit der Kamera fest. Foto: Markus Niethammer
Was nehmen Sie aus diesem Gespräch mit? Politikredakteurin Karin Kiefhaber hält Dieter Schmidts Fazit mit der Kamera fest.
Foto: Markus Niethammer

»Die Vegetarier und Veganer wollen uns doch bloß fertigmachen!«, schimpft ein GEA-Leser einige Tage zuvor am Telefon. Auch er hat sich auf den »Lass uns reden«-Aufruf gemeldet und die fünf Fragen per Mail beantwortet. Er findet nicht, dass man auf Fleisch verzichten sollte. Einem andersdenkenden Gesprächspartner will er sich allerdings nicht stellen. Zu groß sei die angestaute Wut gegenüber »diesen Vegetariern und Veganern«, wie er sagt. Seine Befürchtung: ein aggressives, missionarisches Gegenüber und die Bedenken, selbst während des Gesprächs zu impulsiv zu reagieren. Ein Beispiel dafür, was passiert, wenn sich die Fronten zu sehr verhärten. Dann entstehen Ressentiments. Dann findet aus Angst vor dem Streit kein Dialog mehr statt. Verheerend für eine Demokratie. Gabi Widmaier und Dieter Schmidt hingegen wollten es wagen. Auch wenn sie nicht wussten, was da für ein Gesprächspartner auf sie warten wird. Weder Schmidt noch Widmaier wollen missionieren oder umerziehen. Sie wollen einfach mal hören, was die andere Seite so zu sagen hat. Während des Gesprächs wird schnell klar: Hier sitzen sich – trotz unterschiedlicher Ansichten – keine Gegner, sondern Gesprächspartner gegenüber.

Gespräch statt Bekehrung

»Ich bin nicht so militant, dass ich andere bekehren will«, macht Gabi Widmaier gleich zu Beginn des Gesprächs klar. Dieter Schmidt atmet auf. »Auch ich werde regelmäßig von Veganern angegangen, weil ich ›nur‹ Vegetarierin bin«, erzählt Widmaier weiter. Wenn Gesprächspartner unsachlich und persönlich würden, findet sie das nicht in Ordnung. »Man hat das Gefühl, da geht es irgendwann gar nicht mehr um die Sache, sondern nur noch darum recht zu haben«, sagt sie. Dem kann Dieter Schmidt nur zustimmen. Auch er ist der Meinung, jeder sollte über seine Ernährung selber entscheiden dürfen, ohne dafür an den Pranger gestellt zu werden. »Man darf diskutieren, aber nicht verurteilen«, so der 77-Jährige.

Gründe dafür, weshalb Menschen auf Fleisch verzichten, gibt es viele. Fürs Klima, für die eigene Gesundheit – oder wie bei Gabi Widmaier – für das Wohlergehen der Tiere. Denn eigentlich mag Gabi Widmaier Fleisch. »Es macht mich wirklich an«, gesteht sie ihrem Gegenüber. Aus Verantwortungsgefühl für die Tiere verzichte sie aber trotzdem. »Ich möchte einfach nicht, dass wegen mir ein Tier stirbt«.

»Das Tierwohl steht bei mir nicht so im Vordergrund«, räumt Dieter Schmidt ein. Ihm geht es vor allem um die Gesundheit des Menschen. Und da gehört für ihn Fleisch als Teil einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung mit dazu. Dazu ist Dieter Schmidt Pragmatiker. Als ehemaliger Bergsteiger sieht er in Fleisch einen reichhaltigen Energie- und Kalorienlieferanten, der gut in den Rucksack passt. Das lässt Widmaier nicht gelten. »Es gibt auch Vollkornbrot und Käse«, sagt sie. Damit könne man auch genau so gut wandern gehen.

»Man sollte den Fleischverzehr nicht übertreiben«, findet auch Schmidt. Für ihn sei Fleisch aber auch nicht dazu da, um satt zu machen, sondern für den Genuss. Das war nicht immer so. »Ich bin Teil einer Generation, in der viel Fleisch selbstverständlich war«, so Schmidt. »Das haben wir als Kinder mitgekriegt und sind als Erwachsene da reingewachsen«. Er und andere seiner Generation würden erst jetzt langsam damit beginnen, ihren Fleischkonsum kritisch zu hinterfragen. »Da ist auch die junge Generation der Treiber«, sagt er und denkt dabei an zahlreiche Diskussionen mit der eigenen jüngeren Verwandtschaft.

Konkret heißt ein bewusster Umgang mit dem Thema für ihn: Fleisch gibt es nicht jeden Tag und "was wir seit knapp zehn Jahren eisern machen: Wir kaufen nur bei lokalen Metzgern ein." Von der Massenproduktion in der Fleischindustrie würde auch er gerne weg. Er findet auch, dass Fleisch unbedingt teurer werden muss. Gabi Widmaier ist skeptisch, ob das große Veränderungen bewirken wird. "Ich glaube nicht, dass das den Fleischkonsum reduzieren wird", entgegnet sie Schmidt. "Das ist wie mit dem Rauchen – die Leute werden einfach mehr bezahlen", vermutet sie. Das sieht Schmidt anders: "Wenn Fleisch teurer wird, werden sich viele diesen Fleischkonsum einfach nicht mehr leisten können". Er selbst könne sich vorstellen den eigenen Fleischkonsum noch weiter zu reduzieren. "Ganz verzichten möchte ich aber nicht", sagt er. Könnten denn Fleischersatzprodukte eine gute Alternative sein? Widmaier erzählt, dass sie ihrem Partner – einem Fleischesser – einmal ein vegetarisches paniertes Schnitzel untergeschoben habe. "Er hat es nicht bemerkt", sagt sie grinsend. Dieter Schmidt verzieht das Gesicht. Fleischersatzprodukte seien nichts für ihn. "Da bin ich vielleicht altmodisch. Aber da bemogelt man sich doch selber." Dieter Schmidt möchte "ehrlich essen". Und vor allem möchte er wissen, was drin ist. Wenn für diese Produkte dann noch lange Transportwege in Kauf genommen würden, sei das auch nicht besser." "Für die Tiere schon", sagt Widmaier. "Aber ja, es kommt auf das einzelne Produkt an."

Fleischverzicht versus Genuss

Widmaier und Schmidt tauschen sich knapp 45 Minuten lang aus – ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Fleischgenuss oder Fleischverzicht – Widmaier und Schmidt akzeptieren die Entscheidung der Gegenseite. »Sie werden aus mir keinen Vegetarier machen und ich aus Ihnen keine Fleischesserin«, bilanziert Schmidt. Und das ist für beide in Ordnung.

Dass der Austausch derart reibungslos verlaufen würde, hatten beide nicht erwartet. »Heute Morgen dachte ich kurz: Oh je, das gibt bestimmt eine böse Diskussion und verhärtete Fronten«, erzählt Widmaier nach dem Gespräch. Aber: »Wir haben uns nicht gegenseitig zerfleischt.« Die 61-Jährige wirkt erleichtert. Auch Dieter Schmidt freut sich darüber, wie die Diskussion gelaufen ist: »Ich bin ganz begeistert, dass wir über solche kontroversen Themen so offen und in aller Ruhe diskutieren konnten«, sagt er. Ganz ohne missionarischen Eifer oder moralische Vorverurteilungen.

Am Ende bleibt für Gabi Widmaier Fleisch – trotz Gelüsten – keine Option. Aus Verantwortung gegenüber den Tieren wird sie weiter darauf verzichten. Dieter Schmidt kann sich vorstellen seinen Fleischkonsum noch weiter herunterzufahren. Komplett verzichten will er aber nicht. Dass dafür dann ein Tier sein Leben lässt, akzeptiert er notgedrungen: »Ein lebendiges Tier können wir halt nicht essen.« (GEA)