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Stadtbahn schlägt im Pfullinger Rat nochmal hohe Wellen

Der Pfullinger Gemeinderat beschäftigte sich dreieinhalb Stunden lang mit der Regional-Stadtbahn. Trassenentscheidung fällt am 18. November.

Noch ist offen, ob die Regional-Stadtbahn durch die  Klosterstraße fahren wird.
Noch ist offen, ob die Regional-Stadtbahn durch die Klosterstraße fahren wird. Foto: Quelle: LGL, Visualisierung: optify GmbH
Noch ist offen, ob die Regional-Stadtbahn durch die Klosterstraße fahren wird.
Foto: Quelle: LGL, Visualisierung: optify GmbH

PFULLINGEN. »Wir wählen hier nicht das geringste Übel für unsere Stadt, wir wählen die für Pfullingen bessere Trasse.« Bürgermeister Stefan Wörner eröffnete die gut dreieinhalbstündige Debatte um die Trassenentscheidung für die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb (RSBNA) mit einem Appell: »Lassen wir heute die Emotionen hinter uns, lassen wir ein letztes Mal Argumente sprechen.« Die kann das Gremium jetzt sacken lassen, denn am Dienstagabend gab’s noch keine Abstimmung darüber, wo künftig die Stadtbahn langfahren wird. Am 18. November wird das Gremium entscheiden, ob die Tram-Trains voraussichtlich ab Mitte der 30-Jahre durch die Innenstadt oder auf der alten Bahntrasse fahren.

Eine Frage, die in den vergangenen Monaten viele Pfullinger beschäftigt hat und teilweise heiß und nicht immer über der Gürtellinie diskutiert wurde. Insofern war die Rede des Bürgermeisters auch darauf ausgerichtet, die Wogen zu glätten. Aber er stellte auch klar, was seiner Meinung nach die Realität und damit die Basis für die Aussprache sein muss: »Selbst wenn man gegen die Bahn ist, muss man als gewählter Repräsentant unserer Stadt anerkennen, dass die Entscheidung darüber, ob Pfullingen eine Bahn bekommt, bereits getroffen ist und es in 14 Tagen nur noch darum geht, über die für Pfullingen vorteilhaftere Trasse zu entscheiden.« Und er betonte ebenfalls, dass die Grundsatzentscheidung nicht über Pfullingen hinweggetroffen wurde und verwies auf entsprechende Gemeinderatsbeschlüsse.

Wörner sieht Stadtbahn als Chance

Keine Zweifel ließ Wörner erneut daran, dass er die RSBNA als große Chance für Pfullingen sieht: »Wir benötigen zukünftig leistungsfähige, großräumige und verlässliche öffentliche Verkehrssysteme.« Nur so könne man die Mobilitätswende positiv begleiten und einem Verkehrsinfarkt entgegenwirken. Klar machte er auch, die zukünftigen Verkehrssysteme müssten in der Lage sein, zu den Hauptzeiten eine große Menge an Pendlern und Schülern zu befördern. Das könnten etwa autonome Busse, die eher auf eine geringe Anzahl an Insassen ausgerichtet wären, nicht leisten. Letztere seien dann gefragt, wenn es um den Zubringerverkehr zu einem Hauptverkehrsmittel gehe.

Wer anerkenne, dass die Entscheidung für die Bahn schon gefallen sei, der müsse auch die Vorstellung loslassen, dass man mit einer Entscheidung für eine Trasse, dieses massive Bauprojekt vor den Pfullingern verstecken oder kleinhalten könne. »Auf der alten Bahntrasse fallen hunderte Bäume, alle fünf Brücken müssen abgerissen werden und teilweise größer und massiv neugebaut werden.« Entlang der Eisenbahnstraße werde quasi eine neue Ebene eingezogen, »damit die Bahn im Mittelgeschoß fahren kann, während Radfahrer und Fußgänger unten unterwegs sind - ein gravierender Eingriff in das angrenzende Wohnumfeld, den Grünstreifen und die Natur«.

Gravierende Beeinträchtigungen

Ebenso massiv müsse auch gebaut werden, wenn die RSBNA durch die Innenstadt fahre. Der Verkehr und die Anwohner werden durch die Bautätigkeit gravierende Beeinträchtigungen erleben. Der Raum für die Autofahrer wird kleiner. Parkflächen und Bäume werden wegfallen. »Es wird an uns liegen, dass sinnvoll zu kompensieren«, so Wörner.

Aus all dem zieht der Bürgermeister den Schluss. »Es gibt keine Trasse, die weniger gravierend gebaut werden kann.« Deshalb könne das letztlich kein Entscheidungsgrund sein. »Es muss also hier um den Nutzen der Bahn im Betrieb gehen und zwar ganz besonders um den Nutzen für unser Pfullingen.« Den sieht der Bürgermeister, daraus macht er keinen Hehl, bei der Innenstadttrasse: »Die Stadtbahn soll dort halten, wo sich die Menschen bewegen.« Und die Haltestellen der Trasse durch die Innenstadt lägen in der Nähe aller wichtigen Ziel, vom Gewerbegebiet über die Innenstadt, den Schulen bis zum Freibad und den Pfullinger Hallen. Positive Begleiterscheinung der Innenstadttrasse ist für Wörner, »dass wir die Leitungssanierungen entlang der Hauptstraße miterledigen können«. Auch könnten die Hauptstraßenränder endlich aufgewertet und der Straßenraum anwohnerfreundlich gestaltet werden.

Jugendgemeinderat für die Innenstadttrasse

Nicht zuletzt verwies der Bürgermeister darauf, dass sich der Innenstadt-Einzelhandel und der Jugendgemeinderat (JGR) für die Innenstadttrasse aussprechen. Caleb Maier, Vorsitzender des JGR, nannte in der Sitzung die Gründe, warum das Gremium und viele Jugendliche, mit denen sie gesprochen hatten, die Innenstadttrasse favorisieren. Das wichtigste Argument sei die Nähe zu den beiden großen Schulen. Das gebe Sicherheit. Apropos Sicherheit: Die steige ebenfalls durch die Stadtlage, besonders in den Abendstunden. Beleuchtete Haltestellen, soziale Kontrolle durch Passanten und die Nähe zu Geschäften und öffentlichen Orten »geben jungen Menschen ein besonderes Sicherheitsgefühl«. Ein weiterer zentraler Punkt ist für die Jugend der Radweg auf der alten Bahntrasse. »Dieser Weg ist nicht nur eine beliebte Freizeitstrecke, sondern vor allem ein wichtiger Bestandteil der alltäglichen Mobilität der Jugendlichen«, um sicher zur Schule, zum Training, zur Musikschule oder zu Freunden zu kommen, betonte Maier.

Mit dem Bau der Stadtbahn auf der alten Bahntrasse ginge ein sicherer Verkehrsraum für Radfahrer verloren und das in einer Zeit, in der die Stadt eigentlich mehr sichere Radweg schaffen sollte. Der JGR-Vorsitzender verspricht sich von der Innenstadttrasse auch eine Belebung des Zentrums: Dieses sei der »verbindende Punkt unserer Stadt und sollte deshalb auch der Mittelpunkt des öffentlichen Nahverkehrs sein«. Sein Fazit: »Die Innenstadttrasse ist kein Nice-to-have, sondern ein entscheidender Schritt in Richtung einer modernen nachhaltigen und jugendfreundlichen Stadtentwicklung.« Die Regional-Stadtbahn sei ein Projekt, »das vor allem für unsere Zukunft gebaut wird«. Deshalb würde es den Jugendgemeinderat freuen, wenn die Räte die Sicht der jungen Generation bei ihrer Entscheidung berücksichtigten.

Relevante Fragen beantwortet

Der UWV-Vorsitzende Stephan Wörner sieht die Stadtbahn nicht als notwendiges Übel, sondern als Chance für Pfullingen. Er findet sie gut, versteht aber auch die Bedenken. In den vergangenen Wochen habe man viel gehört, gleichwohl seien noch Fragen offen, aber die entscheidungsrelevanten seien in der Zwischenzeit beantwortet. »Jetzt ist es Zeit, dass wir vorankommen.« Für den UWV-Vertreter hat in der Gesamtbetrachtung die alte Bahntrasse die Nase vorn. Seine Kritik an der Innenstadtrasse: Die Oberleitungen in der Innenstadt erschwerten den Einsatz der Feuerwehr, es würden Parkplätze wegfallen und er befürchtet, dass es in der Innenstadt dann eng zugeht.

Für Martin Fink (UWV) sind nach wie vor noch zu viele Fragen offen, um eine Entscheidung zu fällen. Für ihn ist noch nicht geklärt, wer am Ende was zahlen muss. Was für ihn letztlich aber auch keine Rolle spielt. Denn schließlich werde das gesamte Projekt so oder so von den Steuerzahlern finanziert, deshalb sei es egal, aus welcher Kasse das Geld fließe. Er verwies auf die angespannte Haushaltslage der Stadt und des Kreises. Risiken sieht Fink im Neubau der Brücken entlang der alten Bahntrasse und deren Gründung im Kalktuff. Er frage sich, ob die eh schon langen Bauzeiten eingehalten werden können, angesichts zu erwartender archäologischer Voruntersuchungen und er wollte wissen, ob daran gedacht ist, den Einzelhandel in der Innenstadt während der Bauarbeiten zu unterstützen. Außerdem hat er Zweifel an der Zuverlässigkeit der RSBNA und damit auch daran, ob die Menschen tatsächlich umsteigen.

GAL setzt auf die Stadtbahn

Die GAL setzt schon seit mehr als 20 Jahren auf die Regional-Stadtbahn, betonte Dr. Antje Schöler: »Ein Umstieg auf den ÖPNV wird dann möglich, wenn er von den Menschen auch erreicht wird.« Mit der Innenstadttrasse lägen die Haltestellen genau an den richtigen Stellen, erklärte sie weiter. Diese Streckenführung weise auch das größte Fahrgastpotenzial aus und die Vernetzung mit weiteren Verkehrsträgern sei ebenfalls leichter möglich. Wie die Stadtverwaltung sieht sie die Chance zur Neugestaltung entlang der ehemaligen Bundesstraße. »Wir sind überzeugt: Pfullingens Erscheinungsbild sowie die Aufenthalts- und Wohnqualität wird an der Marktstraße, Großen Heerstraße und Klosterstraße durch die Stadtbahn besser als bisher - und nicht schlechter.« Antje Schöler betonte auch, dass ein leistungsfähiger ÖPNV eine Grundvoraussetzung dafür sei, um die Vorteile des autonomen Fahrens nutzen zu können. Ihre Fraktionskollegin Anke Burgemeister verwies auf die Bedeutung der alten Bahntrasse als Fuß- und Radweg. Sie hätte sich gewünscht, dass der JGR mit hätte abstimmen dürfen, weil die RSBNA für die zukünftigen Generationen gebaut werde.

»Stand heute ist die Planungsgrundlage dünn«, findet Thomas Mürdter (SPD), der sich mehr Erläuterungen zur alten Bahntrasse vom Chef des Zweckverbands Regional-Stadtbahn, Professor Dr. Tobias Bernecker, gewünscht hätte. Der habe sein Gewicht zu sehr auf die Innenstadttrasse gelegt. Er glaube nicht, dass dessen Rechnung in Bezug auf die Parkplätze aufgehe. Bernecker hatte zum Wegfall von 140 Parkplätzen bei Bau der Innenstadttrasse auf das Mobilitätskonzept verwiesen, dass eine Stellplatzreserve von rund 350 Plätzen für die Innenstadt ausweist. Mürfter will auch nicht glauben, dass die Bäume, die gefällt werden müssen, alle nachgepflanzt werden. »Da ist dann ein Mast oder eine Oberleitung im Weg.« Mürdter sieht das nur als Absichtserklärung.

Ein Jahrhundertprojekt

Die Stadtbahn ist für Timo Plankenhorn (CDU) ein Jahrhundertprojekt, das Pfullingen maßgeblich verändern wird, »aber nicht zwingend zum Negativen«. Man müsse sich die Frage stellen: »Wollen wir weiter klein, klein oder wollen wir uns an die Großstadt anknüpfen?« In der Vergangenheit sei viel diskutiert worden über die Nachteile beider Trassen. Man müsse sich aber die Vorteile anschauen. Die sieht er bei der Innenstadttrasse darin, dass die Haltestellen bei den Menschen sind, mit deren Bau könnten Synergieeffekte für die Stadtentwicklung genutzt werden. Er verwies auch auf die Stellungnahmen des Jugendgemeinderats und des GHV Pfullingen. 

Britta Wayand (FWV) blieb beim grundsätzlichen »Nein« ihrer Fraktion zur Regional-Stadtbahn. Sie fragte sich, ob das Geld nicht besser in Bildung und Gesundheit gesteckt würde. Die Planungsgrundlagen hät sie für zu alt und Oberleitungen nicht mehr für zeitgemäß. Ein Bussystem könnte attraktiver sein. Und sie glaubt, dass eine Weiterführung der Trasse Richtung Lichtenstein/Engstingen nicht sicher sei. Aber da man sich ja entscheiden müsse, setzt die FWV-Vorsitzende persönlich auf die alte Bahntrasse.

Keine riskannte Entscheidung

Für Felix Mayer (CDU) stellt sich nicht die Frage, ob die Regional-Stadtbahn mehr bringt, sondern wo. Er fragte: »Warum funktioniert die Stadtbahn in anderen Städten und soll es jetzt in Pfullingen nicht tun?« Die Innenstadttrasse ist für ihn keine riskante Entscheidung, sondern die vernünftigere. »Wir müssen die Innenstadt nicht nur für diejenigen gestalten, die zwei Autos in der Garage haben,« forderte er.

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Walter Fromm (SPD) ist sich sicher: »Die Bahn bringt für Pfullingen nichts.« Die RSBNA verbinde die Region und dafür solle sie gebaut werden. Das heißt für ihn, sie muss schnell durch Pfullingen durch und der innerstädtische Verkehr mit Bussen abgedeckt werden. Hannes Mollenkopf (FWV) merkte mit Blick darauf, dass die Entscheidung vielen schwerfalle, an, dass es am Ende wichtig sei, die Gräben wieder zu schließen, die die Diskussion aufgerissen habe. Sein Fraktionskollege Klaus-Jürgen Michalik befürchtet, dass Geschäfte aufgeben, wenn die Innenstadttrasse kommt.

Pragmatische Lösung gesucht

Gerd Mollenkopf (CDU) findet, dass er wenig Fakten in der Hand hat. Für ihn bleibt die Entscheidung schwierig. »65 Prozent der Pfullinger wollen die Stadtbahn nicht«, 95 Prozent der Bevölkerung seien mit der Lebensqualität in der Echazstadt zufrieden, zählte er auf. Von der Innenstadttrasse seien 380 Haushalte betroffen, an der alten Bahntrasse 280. Die Gleise durch die Innenstadt lassen eine städtebauliche Entwicklung nicht zu, findet er. Eine Nordic-Tropy werde es dann dort nicht mehr geben. »Ich hoffe wir finden eine pragmatische Lösung.«

Bürgermeister Wörner schloss den knapp dreieinhalbstündigen Austausch, mit den Worten: »Wir werden am 18. November sehen, wo die Mehrheit liegt.« Jeder müsse für sich entscheiden, was er für richtig hält. (GEA)

Zehn Antworten

Professor Dr. Tobias Bernecker, Geschäftsführer des Zweckverbands Regional-Stadtbahn, beantwortete zehn Fragen, die im Verlaufe der Diskussionen aufgekommen waren:

- Bauzeit: 14-20 Monate im zentralen Abschnitt, 35-50 Monate insgesamt inkl. Bauvorleistung.
- Tiefbau und Leitungen: Gleisbau greift deutlich weniger tief in die Struktur der Straße ein als der Kanalbau.
- Begrünung und Bäume: Ersatzkonzept für entfallende Bäume in beiden Varianten und Schutz prägender Bäume in beiden Varianten möglich.
- Lieferverkehr: Ausweisung von Ladebereichen etwa alle 200 Meter. Nutzung von Seitenstraßen möglich.
- Unfallwahrscheinlichkeit: Die Stadtbahn ist das sicherste innerstädtische Verkehrsmittel.
- Radverkehr: Umsetzung der Radroutenplanung aus dem Mobilitätskonzept möglich und erforderlich, kein Radschnellweg auf dem Bahndamm in der Variante alte Bahntrasse.
- Müllabfuhr: Ausreichende »Zeitlücken« zwischen den Bahnen und Abstimmung der Einsatzzeiten zwischen den Betrieben.
- Rettungsdienste: Drehleitereinsatz auch mit Oberleitungen möglich, planfeststellungsrelevant.
- Parken: Wegfall von rund 140 Stellplätzen entlang der Innenstadttrasse – die meisten derzeit ausgewiesenen Stellplätze liegen aber nicht entlang der Trasse. Mobilitätskonzept weist ausreichend Stellplatzreserven aus (rund 350).
- Schall: Die Grenzwerte der 16. BImSchV für eine »wesentlich geänderte Straße« sind einzuhalten und damit Grundlage der weiteren Planung. (us)