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Sonntags benoggln ist in Pfullingen Pflicht

Es gilt als Nationalspiel der Schwaben, ist bei vielen mittlerweile aber in Vergessenheit geraten. In der Kreissparkasse Pfullingen und in einem Freundeskreis kommen aber immer noch regelmäßig Benoggl-Karten auf den Tisch. Was den Reiz des Spiels ausmacht.

Foto: Bernd Ruof
Foto: Bernd Ruof

PFULLINGEN. Den »doppelten Heinz« gibt es nur in der Pfullinger Kreissparkasse (KSK), wenn dort Schlag 13 Uhr in der Mittagspause ein Kartenspiel herausgeholt und 45 Minuten gespielt wird. Sonntagabends im »Magicpool« im Gewerbegebiet dauert das Kartenspielen deutlich länger. Beide Male sitzen Jung und Alt zusammen. Was aber wird gespielt?

In Zeiten, in denen bei der Jugend das Mobilfunktelefon mit der Hand verwachsen scheint, mutet es fast schon atavistisch an, Dreier- oder Vierer-Gruppen zusammen am Tisch sitzen zu sehen, das Handy liegt daneben, in den Händen halten alle Spielkarten, die ungewöhnliche Namen tragen wie Sau, Zehner, König, Ober oder Unter und deren Farben mit Eichel, Schippen, Kreuz oder Schellen bezeichnet werden. Ein rechter Schwabe weiß natürlich längst worum es geht: Die Rede ist vom – bei vielen mittlerweile in Vergessenheit geratenen – Binokel, oder auf gut Schwäbisch: Benoggl.

Die Mitarbeiter der Pfullinger Kreissparkasse zelebrieren den schwäbischen Klassiker in der Mittagspause, fünf Tage die Woche.
Die Mitarbeiter der Pfullinger Kreissparkasse zelebrieren den schwäbischen Klassiker in der Mittagspause, fünf Tage die Woche. Foto: Bernd Ruof
Die Mitarbeiter der Pfullinger Kreissparkasse zelebrieren den schwäbischen Klassiker in der Mittagspause, fünf Tage die Woche.
Foto: Bernd Ruof

Das Kartenspiel wurde aus dem französischen Bézique entwickelt. Vermutlich ist das Binokel-Spiel aufgrund der ehedem engen französisch-württembergischen Beziehungen vor allem in Württemberg das Nationalspiel der Schwaben geworden. Der Name jedoch kommt aus dem Italienischen: »Bin oculi« bedeutet »zwei Augen«, weil ja alle Karten doppelt vertreten sind.

Angehörige der älteren Generation, bei denen der Fernseher früher, wenn überhaupt einer im Haus war, nur ein Programm hatte, kennen das Kartenspiel gut. Dafür versammelte sich bisweilen die ganze Familie, manchmal auch die Verwandtschaft, um den Tisch.

Und tatsächlich hat das Binokeln generationenübergreifend überlebt, hat allen technischen Innovationen wie Computer, Gameboy oder Handy getrotzt und findet im schwäbischen Kernland seine Anhänger. Selbst der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann gesteht, dass er ab und zu zum Entspannen mit Freunden binokelt.

Profi Martin Mayer beim Mischen.
Profi Martin Mayer beim Mischen. Foto: Bernd Ruof
Profi Martin Mayer beim Mischen.
Foto: Bernd Ruof

Zum Mitmachen gehört ein Kartenspiel mit 48 Karten, wobei in der Regel mit 40 Karten – also ohne die »Sieben« – gespielt wird. Während im Familien- und Freundeskreis oft um Geld gespielt wird – »en a Kässle nai« – legt Pfullingens KSK-Filialleiter Bernd Schwab Wert auf die Feststellung, dass es im Kollegenkreis rein um Ruhm und Ehre gehe. »Unsere Kunden müssen keine Angst um ihr Geld haben«, sagt er lachend.

Das Regelblatt auf dem Tisch

Drei Dreier sind an diesem Tag möglich, das heißt jeder spielt für sich. In einer Viererrunde bilden dagegen immer die zwei sich gegenübersitzenden Spieler ein Team. Gespielt wird nach den gängigen Binokel-Regeln. Ein handgeschriebenes Regelblatt liegt auf dem Tisch, anhand dessen sich auch die Neuen informieren können, was nach dem Reizen alles gemeldet werden kann: etwa eine Familie mit Ass, Zehner, König, Ober, Unter, die 100 Augen zählt (im Binokel spricht man von Augen, nicht von Punkten). Wird die Farbe zum Trumpf ernannt, sind es sogar 150 Augen: Das Meldbild, das dem Spiel seinen Namen gegeben hat, ist der Binokel (Schippen Dame und Bollen Bube gibt 40 Augen, in doppelter Ausführung spricht man vom 300er).

Außerdem gibt es die Meldbilder je vier Könige (80)/Damen (60), Asse (100) und Buben (20) – jeweils von unterschiedlicher Farbe. König und Ober ergeben ein Paar (a Bärle) mit 20 Augen, 40 bei Trumpf und dann die Sonderregel, die es nur in der Pfullinger Kreissparkasse gibt: den doppelten Ingo mit zwei Herz Buben (20), als Trumpf 40 Augen. Ingo Heinz, Berater bei der KSK, erklärt sich für dieses spezielle Meldbild unschuldig: »Das haben die Kollegen während meines Urlaubs eingeführt.«

Seit 18 Jahren jeden Sonntag: Die Pfullinger Freundesrunde beim Binokeln.
Seit 18 Jahren jeden Sonntag: Die Pfullinger Freundesrunde beim Binokeln. Foto: Bernd Ruof
Seit 18 Jahren jeden Sonntag: Die Pfullinger Freundesrunde beim Binokeln.
Foto: Bernd Ruof

Gegeben wird rechts herum: »So, wia mer an’d Bagga naaschleid.« In die Mitte kommt der Dabb – vier Karten. Trumpf muss der Spieler, der am höchsten gereizt hat, vor dem Aufnehmen des Dabb ansagen. Dann kommen von ihm und den jeweiligen Gegenspielern die Meldungen.

Der Spieler, der das Reizen gewonnen hat, muss dann mit seinen gemeldeten Augen und den Augen aus der Zahl der Stiche den Reizwert übertreffen. Und ganz wichtig: wieder vier Karten in den Dabb legen. Schon komplette Dramen haben sich abgespielt, wenn der Spieler zu viele, zu wenige oder gar keine Karten gedrückt hat. Dann ist das Spiel verloren. Der doppelte Reizwert wird vom Punktestand abgezogen.

Gewonnen hat am Ende wer zuerst 1.000 Punkte erreicht. Da der tägliche Geschäftsfluss bei der Kreissparkasse in der Echazstadt bei dieser Variante stark leiden würde, ist die Spielzeit dort auf 45 Minuten limitiert, gewonnen hat, wer zu diesem Zeitpunkt vorne liegt.

Jannik Taigel schreibt die Augen auf.
Jannik Taigel schreibt die Augen auf. Foto: Bernd Ruof
Jannik Taigel schreibt die Augen auf.
Foto: Bernd Ruof

Bernd Schwab schätzt das Binokeln, das bei den Kollegen in der Kreissparkasse seit vielen Jahren die Mittagspause verkürzt, als einen Zeitvertreib, der den Zusammenhalt stärkt, auch zwischen den Abteilungen, bei dem Auszubildende mit eingebunden werden, Frauen und Männer mit- und gegeneinander antreten. »Es ist gut fürs Betriebsklima«, sagt Firmenkundenberater Stefan Münch. »Eine türkische Kollegin wollte ebenfalls gerne mitmachen und belegte beim jüngsten Betriebssportturnier der KSK den zweiten Platz«, berichtet Ingo Heinz. Gespielt wurde sogar während der Corona-Krise, da allerdings online vom jeweiligen Arbeitsplatz aus.

Mit Oma und Opa gespielt

Die größten Triumphe bei Turnieren oder in den werktäglichen Runden werden zwar nicht veröffentlicht, landen aber am Schwarzen Brett der KSK – wie jüngst ein 3.000er Durchmarsch – aufgelegt ohne Dabb, wie Bernd Schwab erzählt. »Allzu oft haben wir so was nicht auf der Hand«, betont er.

Viele kennen das Binokeln von daheim, haben mit Oma und Opa gebenogglt oder gegaigelt. Stefan Münch gehört dem Binokel-Verein in Aichelau an. Dort gab es sogar ein 24-Stunden-Turnier. »Gewonnen hat der, der zuletzt noch am Tisch saß«, witzelt Mitspieler Dirk Walker.

Binokel-König bei der KSK ist – zumindest nach Ansicht seiner Kollegen – Ingo Heinz, der mit Martin Mayer und der Freundestruppe aus dem Pfullinger Magicpool schon die eine oder andere Runde Binokel gespielt hat.

Der Dabb wird aufgenommen.
Der Dabb wird aufgenommen. Foto: Bernd Ruof
Der Dabb wird aufgenommen.
Foto: Bernd Ruof

Deren Tradition geht noch weiter zurück als die der Kreissparkasse. Alexander Banzhaf und Martin Mayer haben früher zusammen Volleyball gespielt und mit dem Binokeln angefangen, das ist über 18 Jahre her. Nach und nach gesellten sich weitere Volleyballer dazu, die Idee entstand, nach dem Volleyball noch Karten zu spielen: Ein harter Kern bildete sich heraus, darunter Carolina Struik, Marco Späth, Jannik Taigel. »Anfangs saßen wir am Katzentisch, haben zugeschaut und gelernt«, erzählt Jennifer Hornik lachend, die mit Julian Hoch und Robin Weißschuh später dazugekommen ist.

Zwischen sechs und zehn Spielerinnen und Spieler treffen sich jeden Sonntagabend »und das ist eisernes Gesetz«, sagt Martin Mayer. »In der Regel 51 Mal im Jahr, selbst über die Feiertage halten wir das durch«, ergänzt Alexander Banzhaf. Sie kennen die Pfullinger Gastronomie mittlerweile zur Genüge, denn vor dem Magicpool wurde zunächst in der Marktschenke und dann im Vereinsheim des Trachtenvereins Echaztaler gespielt.

Strategie gefragt

Es geht natürlich ums Gewinnen, aber verbissen wird nicht gespielt, eher gefrotzelt und nebenher geschwätzt, was in der Woche so alles passiert ist. »Es ist der Spaß am gemeinsamen Spielen und anders als beim Rommé ist durchaus Strategie gefragt – nicht zuletzt, wenn man zu zweit spielt«, erklärt Carolina Strunk, die als Physiotherapeutin arbeitet. »Jannik Taigel, ist unser Glückspilz«, erklärt Maschinenbauingenieur Alexander Banzhaf. Der Student sieht eher sein taktisch-strategisches Spiel als Grund für seine Erfolge im Binokel.

Dem Phänomen Binokel auf den Grund gegangen, bleiben einige elementare Erkenntnisse dieses urschwäbischen Spiels:

Es ist nicht hektisch, sodass immer Zeit für einen Schluck Wein oder Bier bleibt.Der Spieler, der am meisten jammert, hat oft das beste Blatt auf der Hand.Ein guter Dabb hilft einem manchmal aus der Patsche. Ein schlechter Dabb zerstört einem alle Hoffnungen.Glück und Können sich die Waage halten und so meist für Gerechtigkeit sorgen. (ber)

Die Sonntagsbinokler, die vom Jüngsten bis zum Ältesten einen Altersdurchschnitt von 21 Jahren aufweisen, treffen sich auch sonst – im Sommer wird gemeinsam gegrillt, im Januar steht Sternpaschen auf dem Programm, da bleiben die Binokel-Karten aber in der Tasche – dann wird klassisch gewürfelt. (GEA)