LICHTENSTEIN-HOLZELFINGEN. Spektakuläre mittelalterliche Funde wurden auf dem Burgstein bei Holzelfingen gemacht. Sie widersprachen der Überzeugung mancher Forscher, dass auf dem dortigen Felsen nie eine Burg gestanden habe. Erstmals stellte Dr. Michael Kienzle, Mittelalterarchäologe und Leiter des neuen Burgenzentrums der Uni Tübingen sowie des Greifenstein-Projekts, die Funde und Befunde der Öffentlichkeit vor. Auf Einladung des Geschichts- und Heimatvereins Lichtenstein waren vor Kurzem rund 50 Interessierte, darunter viele Mitglieder des stetig wachsenden Projekt-Unterstützerkreises, in den Vortragsraum der VR-Bank Holzelfingen gekommen. Günther Frick, zweiter Vorsitzender des Vereins, begrüßte die Gäste.
Nach den wissenschaftlichen Grabungen am Brudersteig und auf der Burgruine Stahleck war 2022/23 der Burgstein an der Reihe. »Es war lange zweifelhaft, ob dort überhaupt eine Burg stand«, so Kienzle. Die regionale Sagenwelt und auch die historische Quelle des Geschichtsschreibers Martin Crusius aus dem 16. Jahrhundert schildern jedoch genau das. Auch im Württembergischen Lagerbuch von 1454 sind zumindest die Flurnamen Burgstein und Burgholz verzeichnet. Die Grabung der Tübinger Archäologen sollte Klarheit bringen, widmen sich diese doch dem Adelsgeschlecht der Greifensteiner, die am Albtrauf im oberen Echaztal mehrere Burgen besaßen.
1187 taucht erstmals ein Berthold von Greifenstein auf. Nach Spannungen mit der Reichsstadt Reutlingen wurden 1311 die Greifensteiner Burgen zerstört und 1355 die Reste der Herrschaft an Württemberg verkauft. »Im Gelände am Burgstein ließen sich Schuttwälle und Gräben feststellen. Auch das Bodenradar zeigte verdächtige Strukturen, die auf menschliche Bautätigkeit hinwiesen«, erläuterte Kienzle. Konrad Albert Koch habe in den Blättern des Schwäbischen Albvereins 1925 davon berichtet, dass Material vom Burgstein für den Straßenbau abtransportiert worden sei. Er empfahl damals, Ausgrabungen auf dem Plateau durchzuführen, was nun - fast genau 100 Jahre später - geschehen ist.
Kochs Angaben entsprechend fanden sich keine obertägigen Mauerreste mehr, jedoch Mauerfundamente. Mörtelbrocken mit Abdrücken von Blättern, Stroh und Getreideähren zeichneten ein lebendiges Bild vom Anmischen des Bindemittels auf dem Boden. Die zahlreichen Keramikfunde, darunter viele Kochtöpfe, belegten eine Siedlungstätigkeit vom 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts.
Auch kamen Beschlagteile von Truhen, Messer, Spatenbeschläge sowie Hufnägel zum Vorschein, die auf Pferdehaltung hinwiesen. Schindelnägel deuteten auf eine hölzerne Dacheindeckung, wie sie zu dieser frühen Zeit üblich war. Tierknochen fanden sich vor allem vom Schwein, aber auch von Vögeln, Hühnern, Schafen, Ziegen und Hirschen, was für einen Adelssitz spricht. Denn allein dem Adel stand damals die Jagd zu.
Kurz vor Grabungsende kam ein Sensationsfund ans Licht: Es fanden sich Würfel, eine Springer-Schachfigur und vier blütenförmige Spielsteine aus Rothirschgeweih. Die Springerfigur in Form eines stilisierten Pferdes zeigt Löcher, in denen vielleicht eine Mähne angezapft war, sowie Abriebspuren und rote Farbreste. »Im Mittelalter spielte man mit roten und weißen Schachfiguren«, so Kienzle. »Schachspielen zählte zu den ritterlichen Fähigkeiten.«
Noch ungeklärt ist der Name der Adelsfamilie, die die Burg erbaute. Infrage kommen die Herren von Husen oder die edelfreien Herren von Pfullingen, möglicherweise die genetischen oder rechtlichen Vorgänger der Greifensteiner. Aktuell wird ein Buch über die Grabungsergebnisse vorbereitet. 2026 soll am Oberen oder Unteren Greifenstein gegraben werden. Im Juni des kommenden Jahres soll das groß angelegte Mittelalterevent, das 2024 in Pfullingen veranstaltet wurde, wiederholt werden. (GEA)

