PFULLINGEN. Beim Thema Misteln ist man ja immer versucht, einen romantischen Touch – Liebespaar – Kuss – Heirat – und so weiter ins Spiel zu bringen. Hört sich gut an und klappte auch noch, als der Halbschmarotzer eher selten in der Region zu finden war, die grünen Bälle mit den weißen Samen nur an wenigen Bäumen hingen. Doch seit den 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts breitet sich die Mistel teilweise explosionsartig aus und gefährdet die Streuobstbestände auch in der Region. Traude Koch und Sven Hagmaier vom Obst- und Gartenbauverein Pfullingen (OGV) haben ihr den Kampf angesagt. Unterstützt werden sie dabei von der Stadt Pfullingen, dem Landkreis Reutlingen, dem Büro Pustal und der Naturschutzstiftung.
Pfullingen wird von Streuobstwiesen geprägt. Auf mehr als elf Prozent der Fläche stehen Obstbäume. 10 der insgesamt 340 Hektar hat die Aktivgruppe um Koch und Hagmaier im Frühjahr etwas genauer in Augenschein genommen. Auf dieser Pilotfläche sind 87 Bäume befallen. 19 Bäume davon sind sogenannte Superspreader, vor einem davon steht Traude Koch. Der Apfelbaum hat keine Blätter mehr. Der Schmarotzer hat ganze Arbeit geleistet, seine Wurzel, die in den Ast eindringt, saugt dem Baum Nährstoffe und Wasser ab. Das geht lange gut, zumindest so lange, wie sich der Befall in Grenzen hält. Doch der nimmt stetig zu: Die Klimaerwärmung begünstigt die Mistel und die für die Verteilung der Samen verantwortlichen Vogelarten; Sommerhitze und Trockenstress schwächen die Wirtsbäume zusätzlich. Die gute Nährstoffversorgung und Bodenbelastung mit Schwermetallen begünstigen die Besiedlung von Bäumen mit Misteln, schreibt der Nabu, um auch noch anzufügen: »Darüber hinaus begünstigt ohne Frage die Verringerung der Pflegeintensität die Ausbreitung der Mistel.«
Und genau da setzt das Mistelprojekt an. Koch und Hagmaier, die beide auch im Pfullinger Gemeinderat sitzen, wollen die Grundstücksbesitzer dafür gewinnen, sich um ihre Wiesen und Bäume zu kümmern und sie dabei unterstützen. Dafür muss man die Misteln erstmal sehen. Und das geht am besten im Winter und Frühjahr, wenn die Bäume kein Laub mehr haben, sticht ihr Grün hervor. Aber was tun? Die Äste müssen etwa 20 bis 30 Zentimeter von ihrem Ausbruch entfernt abgeschnitten oder die Keimlinge schon vorher entfernt werden. Alle zwei bis drei Jahre sollte so eine Baumpflege stattfinden.
Misteln sind nicht geschützt
Das hartnäckige Gerücht, Misteln stünden unter besonderem Schutz, ist übrigens falsch. Sie dürfen geschnitten werden und sollten es auch, betonen die beiden. Dabei müsse keiner Angst haben, die Misteln, die einigen Vögeln auch als Nahrungsquelle dienen, auszurotten. »Es gibt genug«, betont Hagmaier. Deshalb sollte jede Mistel, die in den Streuobstwiesen gesichtet wird, entfernt werden.
Zumindest die Besitzer der Flurstücke in den Pilotflächen wissen inzwischen Bescheid. Die hat die Stadtverwaltung angeschrieben, informiert und gebeten, etwas gegen den Befall zu unternehmen. Einige haben sich beim Mistelprojekt gemeldet, andere haben schon zur Säge gegriffen. Apropos Säge. Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb hat die Anschaffung von Geräten für die Pflege der Obstbaumwiesen gefördert. Diese können bei der Karl Marx GmbH in der Daimlerstraße für kleines Geld ausgeliehen werden, erklärt Traude Koch.
Schnittkurs im November
Für alle, die nicht wissen, wie sie den Misteln zu Leibe rücken können, bietet der OGV Anfang November einen speziellen Schnittkurs (siehe Infobox) an. Unterstützt werden alle, die sich in den Pilotflächen um den Befall kümmern, auch mit einem Abholservice. Alle drei bis vier hundert Meter können die Flurstücke demnächst ihre entfernten Misteln samt Ästen ablegen. Sie werden dann von der Stadt eingesammelt.
Schnittkurs für Misteln
Das kooperative Pfullinger Mistelprojekt bietet einen speziellen Schnittkurs an. Dieser findet statt am Freitag, 7. November, und beginnt um 14.30 Uhr. Der Treffpunkt ist am Parkplatz unterhalb des Waldcafés. Der Kurs richtet sich an alle, die ihre Obstbäume selbst von Misteln befreien wollen. Nach einer Einführung in den Lebenszyklus der Mistel anhand von Anschauungsmaterial werden die Techniken für die Mistelentfernung gezeigt. Kreisobstbauberater Simon Walch und Fachwartin Inge Hartmann führen den Kurs durch, Traude Koch und weitere Mitglieder des OGV sind als Ansprechpersonen dabei, die Stadt unterstützt die Veranstaltung ebenfalls. Die Teilnehmenden sollen feste Schuhe anziehen und einen Becher mitbringen. Der Kurs ist kostenlos, um eine Spende wird gebeten. (GEA)
Ursprünglich hatte die Aktivgruppe weit mehr als die Kartierung der Pilotflächen vorgenommen. Doch es habe sich gezeigt: »Das schaffen wir nicht«, so Traude Koch, der Aufwand sei ehrenamtlich nicht zu leisten. Nach Ende des Pilotprojekts werde es auf jeden Fall weitergehen, »aber wie genau, das wissen wir noch nicht«. Denn das Herz von Traude Koch und Sven Hagmaier hängen an den Streuobstwiesen, wer sie erhalten will, der muss auch das Mistelproblem ernst nehmen: Wer sie auf seinen eigenen Bäumen nicht bekämpfe, der gefährde letztlich auch die Bäume im Grundstück nebenan. (GEA)

