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Pfullinger Jahnhaus-Wirte hören auf

Ein halbes Leben Gastgeber: Die Pfullinger Jahnhaus-Wirte Karin und Horst Speidel hören zum Jahresende auf. Was bleibt? Ein unglaublich arbeitsreiches Leben über 38 Jahre und eine Sehnsucht.

Sie hören bald auf im Jahnhaus: Horst und Karin Speidel treten kürzer,  unterstützen aber ihren Nachfolger im Jahnhaus noch eine
Sie hören bald auf im Jahnhaus: Horst und Karin Speidel treten kürzer, unterstützen aber ihren Nachfolger im Jahnhaus noch eine Weile. Foto: Dieter Reisner
Sie hören bald auf im Jahnhaus: Horst und Karin Speidel treten kürzer, unterstützen aber ihren Nachfolger im Jahnhaus noch eine Weile.
Foto: Dieter Reisner

PFULLINGEN. Ein gutes Stück Schwaben geht so: gemischter Braten, Spätzle, Kartoffelsalat und Soße. Mehr braucht es nicht, um die Seele einen doppelten Salto schlagen zu lassen. So einen Braten stellt Horst Speidel seinen Gästen immer wieder auf den Tisch. Jüngst beglückte der Koch und Wirt der Gaststätte Jahnhaus damit einen Stammkunden, der sonst nur Schnitzel liebt.

Der Gast war so begeistert von diesem schwäbischen Stück Glück, dass er den Leckerbissen anderen engagiert weiter empfahl. Ruckzuck war der komplette Braten verkauft. So sieht gute Wirtshauskultur aus - die es so bald nicht mehr geben wird. Horst und Karin Speidel hören im Pfullinger Jahnhaus auf. Nach 38 Jahren.

Resteessen und Fassleertrinken

Am 26. Dezember endet die Ära Speidel. Dann, nach dem normalen Tagesprogramm am zweiten Weihnachtsfeiertag, sind die Sportler des VfL Pfullingen sowie langjährige Stammgäste und Freunde eingeladen: Zum Resteessen (von dem es reichlich geben wird) und Fassleertrinken - bis zum Abwinken. Dann werden viele Gäste mit Wehmut den beiden nachwinken, dann wird die eine oder andere Träne fließen, vor allem wegen der herzlichen Art der beiden.

Einmal mehr tritt eine Wirtsfamilie der alten Schule von der Bühne und mit ihr auch die gute einfache schwäbische Küche. Fast vier Jahrzehnte Wirt im Jahnhaus, der Vereinsgaststätte des VfL Pfullingen, zu sein, das ist ein echtes Pfund. Seit April 1986 stehen beide ihren Mann und ihre Frau am Herd, hinter dem Tresen, organisieren, kochen, kredenzen und verwöhnen unzählige Gäste in der Wirtschaft, dem Nebenraum, auf der Terrasse oder im Saal. 200 Menschen passen allein dort hinein.

Bis zu 300 Gäste bewirtet

Wenn’s proppenvoll ist, bewirten und bekochen die beiden mit ihrem Team bis zu 300 Leute mit unterschiedlichsten Wünschen: Im Saal steigt eine Hochzeit, im Nebenraum ein runder Geburtstag, und in der Wirtschaft stärken sich die Sportler nach dem Kick oder schauen Fußball. »Man muss das Festliche und den Sport zusammenbringen können«, verrät Karin Speidel ein Geheimnis. Ein Kunststück, das sie offensichtlich perfekt beherrscht. Denn über die Jahrzehnte hinweg kamen die Gäste ja immer wieder. Das Beste Zeugnis für Wirte überhaupt.

Horst Speidel steht jetzt noch mit 73 Jahren am Herd. Karin Speidel wird nächstes Jahr 65 und läuft und lächelt. Es geht nicht mehr alles so einfach wie früher, sagen sie. Aber das Wirteherz der beiden pocht noch am rechten Fleck. Wäre die körperliche Anstrengung nicht, wer weiß, wie lang sie noch schaffen würden.

Fast 60 Jahre Koch

Fast vier Jahrzehnte haben sie im Jahnhaus ihren Gästen eine gute Zeit mit leckeren Speisen in angenehmer Atmosphäre verschafft. Dazu kommen noch die Jahre davor: Horst Speidel hat 1964 seine Kochlehre begonnen. »Da gab es auch schon mal eine Backpfeife«, erinnert er sich. Wer so lang den Gästen dient, braucht mehr als eine gute Einstellung.

Horst Speidel deutet es mit Zeigefinger und Daumen an, was gefragt ist. »Man braucht Fingerspitzengefühl«, sagen sie beide unisono. Jeder auf seine Art: Karin Speidel im Service mit den Gästen, Horst Speidel bei den Speisen. Karin Speidel weiß, wie sie mit den Menschen - sotte und sotte - umzugehen hat. Ihr Motto lautet: »Ich freu’ mich über jeden, der zur Tür hereinkommt.« Und sie ergänzt: »Ich werd' das alles vermissen.« Es klingt ein wenig melancholisch.

Freundschaften sind entstanden

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge höre sie auf. »Die Gäste werden mir fehlen«. Damit meint sie die Menschen, zu denen sie und ihr Mann in all den Jahren ein besonderes Verhältnis aufgebaut haben. Das sind ziemlich viele. Daraus haben sich Freundschaften entwickelt. Sie haben gemeinsame Urlaube unternommen oder Ausflüge gemacht, Geburtstage zusammen gefeiert. Aber, sagt Horst Speidel, »manches Mal mussten wir auch schweren Herzens absagen.« Weil das G’schäft vorging.

Nun ist also Schluss, aber nicht so ganz. Denn ihren Nachfolger lassen sie nicht im Regen stehen. »Es wird ein sanfter Übergang.« Aber die Hauptverantwortung sind sie los. Der neue Wirt Hellas Kyriakos ist kein Unbekannter: Horst Speidel hat ihn empfohlen.

Zeit für Enkel und Radfahren

»Er schafft bei uns schon eine Weile mit, kommt sonntags und will von mir die schwäbische Küche kennenlernen«, erzählt er. Einen besseren Lehrer gibt es wohl kaum. Wie lang der Übergang dauert, das können beide noch nicht sagen. Jetzt treten sie erst einmal kürzer und genießen es, Zeit zu haben: mit ihren Enkeln, fürs Wandern oder Radfahren, oder auch mal dafür, selbst essen zu gehen. Wenn sie allerdings Schwäbisches wollen, müssen sie eine Weile suchen. Denn mit ihnen geht auch ein gutes Stück Wirtshauskultur. (GEA)