PFULLINGEN. Am Ende des Festaktes standen alle geladenen Gäste. Minutenlang beklatschten sie die deutsch-französische Freundschaft zwischen Pfullingen und Passy, die seit vier Jahrzehnten besteht und die sie an diesem Abend und den folgenden Tagen gemeinsam mit den Bürgern feierten. Der Geist, der diese Verbindung prägt, wehte durch den großen Saal des Pfullinger Kulturhauses: Es herrschte eine Leichtigkeit, die man nicht einstudieren kann. Die Schlagworte »gelebte Freundschaft«, »gelebter politischer Wille«, »gelebter europäischer Gedanke des Miteinander« waren immer wieder zu hören sowie von der »Freude an der Freundschaft«, vorgetragen mit viel gegenseitigen Respekt, Mitmenschlichkeit und Humor.
Davon zeugten nicht nur die Reden der beiden Bürgermeister Stefan Wörner für Pfullingen und Raphaël Castéra aufseiten von Passy oder die fröhlichen Ansprachen mit vielen Geschenken der beiden Vorsitzenden der Partnerschaftskomitees, Martin Braun und Catherine Parcevaux-Fivel.
170 geladene Gäste im Kulturhaus
Parcevaux-Fivel kommt seit 40 Jahren nach Pfullingen und ihre Augen glänzen, wenn sie an die Vergangenheit denkt und die Gegenwart betrachtet. »Wir leben Zusammensein«, fasste es die 54-Jährige einfach und prägend zusammen und meinte damit genau diese zwischenmenschlichen Verbindungen, die niemand planen und vorgeben kann. Dieses Zusammensein besiegelten die Bürgermeister am Freitagabend auch auf dem Papier. Freundschaft braucht keine Unterschrift, sie braucht Herz und Engagement. Dass das vorhanden ist, spürte jeder der 170 geladenen Gäste im neuen Pfullinger Versammlungszimmer mit dem Ausblick auf den zauberhaften Klostergarten.

Mit ihren Namen unterzeichneten sie das Vermächtnis, weiter an dieser Verbindung zu arbeiten. »Wir in Pfullingen werden auch in den nächsten 40 Jahren diese Partnerschaft mutig und engagiert angehen«, sagte ein gut gelaunter Wörner, der in den vier Jahren seiner bisherigen Amtszeit erlebt habe, »wie vielfältig diese Beziehung ist, geprägt von Musik, den Trachten und der Feuerwehr, und auch durch viele private Freundschaften, die entstanden sind«. »Es ist ein deutliches Zeichen, wenn 160 Freunde diesen runden Geburtstag besuchen.« Immerhin bedeutet das eine Anreise von acht bis zehn Stunden aus dem Zentralmassiv mit Blick auf den Mont Blanc.
Pulsierendes Herz mitten in Europa
Den hat der Bürgermeister aus Passy jeden Tag. Castéra betonte ebenfalls die großartige Freundschaft und die Freude hier zu sein. »Nach dem Grauen des Krieges ist eine Zeit des Humanismus entstanden. Unsere Verbindung beweist, dass Annäherung möglich ist und so ein pulsierendes Herz mitten in Europa entsteht – geprägt von den Bürgern, die den politischen Willen täglich umsetzen.« Der Franzose erinnerte an die Anfänge im Oktober 1985, als sich Pfullingen und Passy verpflichteten, sich gegenseitig ihr Leben zu zeigen, um sich besser zu verstehen. »Ich war damals zehn Jahre alt und hätte mir nicht träumen lassen, einmal die vierzigjährige Verbindung zu feiern.« Castéra mahnte aber auch vor dem aufstrebenden Nationalismus und ordnete die Freundschaft als einen wichtigen Gegenpol dazu ein.

So sieht es auch Gisela Götz. Sie war es, die mit ihrer Brieffreundin Beatrice den Grundstein für alles Weitere legte. Vor 69 Jahren. Ihr Gatte Theo Götz, Landtagsabgeordneter, Sportkreisvorsitzender, Schulleiter und vieles mehr, hat die Zeichen der Zeit erkannt und daraus mit dem Französischlehrer Dieter Baumann das begründet, was am Wochenende viele hunderte Menschen in der Neuen Mitte gefeiert haben. Nach den stehenden Ovationen beim Festakt erhob sich Götz und sprach zu den Anwesenden. Sie erinnerte an diejenigen engagierten Menschen, die diese Feier nicht mehr miterleben können und erntete viel Beifall. Auf die Frage, wie es ihr geht, antwortet sie einfach: »Das ist Glück.« Und was würde ihr Mann sagen? »Er wäre glücklich.«
Flachmann für Wörner
Die Partnerschaftskomitee-Vorsitzenden Catherine Parcevaux und Martin Braun bekräftigten in ihren Reden den Willen zur weiteren Zusammenarbeit und verteilten auch Hochprozentiges. Etwa einen Flachmann an Wörner. Sein französischer Amtskollege schenkte ihm ein Bild von moderner Kunst, das viele bunte Punkte zeigte und von dem Künstler Geoffroy Tobé stammt. Einen Gänsehautmoment erlebten alle beim gemeinsamen Singen der Nationalhymnen wie auch der Europahymne. Ganz andere Hymnen erklangen in der Neuen Mitte. Freitag- und Samstagabend gaben sich die Musiker die Klinke in die Hand. Am Freitag Chanson, am Samstag reichte sie von den Aufführungen der Trachtenvereine aus beiden Städten über Chorgesang und Kapellenklängen bis hin zu flotten Rhythmen eines DJ.
Bei brütender Hitze standen etliche Vereine parat und sorgten für Speis und Trank. Die Franzosen etwa hatten eine Pfanne mit einem Meter Durchmesser dabei und kochten eine Tartiflette. Das Nationalgericht aus den Savoyen mit Kartoffeln, Zwiebeln, ein bisschen Weißwein und viel Reblochon-Käse ging gut über die Theke und verbreitete den Duft von Europa. Am Sonntag setzten die beiden Bürgermeister noch ein Zeichen, das über den Tag hinaus Bestand hat: Ein Wegweiser nach Passy, Lichtenstein in Sachsen und St. Wolfgang steht von nun an in der Neuen Mitte und zeugt von »einem echten europäischen Moment, den wir hier jetzt erleben«, wie Wörner betonte.
Etwas fehlt noch
Bei all der Freude über die deutsch-französische Freundschaft fehlt aber doch noch was. Gab oder gibt es denn eine Liebesgeschichte zwischen zwei Bürgern aus den Städten mit Happyend und einer Heirat? »Nein«, antwortet Martin Braun schnell und klar und weiß eine nette Anekdote. Dieter Baumann, der für diese Partnerschaft gebrannt hat, versprach, wenn es eine Hochzeit gibt, dann zahle er das Fest. Er musste es nie tun. Auch nach vierzig Jahren gibt es kein deutsch-französisches Paar. Nur eben Pfullingen und Passy. (GEA)
