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»Neu-Oma und Neu-Opa«

ENINGEN. Vertraut schmiegen sich die fünfjährige Pelin, der dreijährige Jan und die kleine Losin (2) an Christa und Erhard Barth (beide 71). »Neu-Oma« und »Neu-Opa« nennen Zozana Meraan und ihr Ehemann Khaled Osman (beide 32), die Eltern der drei Kinder, ihre Nachbarn und Freunde. Dabei kennen sich die beiden Familien erst wenige Monate. Anfang des Jahres wurde eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Eninger Wohnanlage frei, in der auch die Barths zuhause sind. Sie konnten den Vermieter überzeugen, diese an eine Flüchtlingsfamilie zu geben.

Foto: Magdalena Kablaoui
Foto: Magdalena Kablaoui
Der Kurde Khaled Osman war im November 2015 nach Deutschland gekommen, seine Frau und die drei Kinder konnte er im März 2016 nachholen. Zunächst provisorisch in einer Gemeindewohnung untergebracht, konnte die Familie im Mai in die Wohnung umziehen. Und wurde von den Barths mit offenen Armen empfangen. Das Ehepaar wohnt seit knapp drei Jahren in Eningen. Zuvor lebten sie fast zwanzig Jahre in der Nähe von Augsburg. Der Kreis Reutlingen ist dennoch kein Neuland für sie: Hier hatte Erhard Barth zwanzig Jahre gearbeitet und seine Frau die Kinder großgezogen. Einige alte Bekanntschaften haben sie mittlerweile aufgefrischt.

Als im November 2014 die ersten Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan nach Eningen kamen, war ihnen sofort klar, dass sie sich für deren Integration engagieren wollten: »Man kann die Leute nicht kommen lassen und sie dann sich selber überlassen«, erklärt Christa Barth.
»Es ist wirklich ein Ort der Begegnung geworden«
»Eine solche Menge Menschen zu integrieren, kann die öffentliche Hand nicht allein leisten«, erkannte Erhard Barth schon früh. Nicht zuletzt haben die beiden dank ihres Engagements Gleichgesinnte kennengelernt und neue Freunde gewonnen, darunter auch Ausländer. »Das hat uns beim Einleben geholfen.«

Sieben Arbeitsgruppen hat der Arbeitskreis Asyl in Eningen, unter anderem die Gruppe Alltagshilfe, die die Flüchtlinge bei Einkauf, Schul- und Behördengängen begleitet. Weitere Gruppen beschäftigen sich mit den Asylverfahren, dem Spracherwerb oder der Beschaffung von Möbeln, Kleidern, Fahrrädern und anderen dringend benötigten Dingen. Schon früh wurde das Asylcafé eingerichtet, das Erhard Barth leitet. Dort treffen sich einmal in der Woche Eninger und Flüchtlinge. Demnächst zieht es vom Andreasgemeindehaus in das Gebäude »Im Grund 4« um.

Die Arbeitsgruppe Asylcafé bereitet die Räume vor, gibt gespendeten Kuchen, Obst und Getränke aus. Vor allem aber freuen sich die rund 20 Mitarbeiter über die Kontakte, die dort geknüpft werden. Zwischen 100 und 120 Gäste besuchen im Schnitt das Café, darunter auch Flüchtlinge, die mittlerweile in eigenen Wohnungen leben: »Es ist wirklich ein Ort der Begegnung geworden.«

Bisher betreute der Arbeitskreis etwa 150 Asylsuchende, meist junge Männer. Jetzt werden rund 300 neue Flüchtlinge im Mühleweg 5 untergebracht. »Wir können nicht allen so helfen, wie wir es gerne wollen.« Dennoch appelliert der Ingenieur im Ruhestand an seine Mitbürger: »Wir brauchen dringend Wohnungen.« Da herrsche große Not. Zwar gebe es einige Hürden bis zum Abschluss eines Mietvertrags. Doch dabei könne einem Vermieter ein mittlerweile erfahrenes Team der Arbeitsgruppe Alltagshilfe weiterhelfen. Diese Hilfe hat auch der Vermieter von Khaled Osman und seiner Frau Zozana Meraan in Anspruch genommen. Sehr zur Freude der beiden. »Es ist schön hier«, erzählt Khaled in holprigem Deutsch. Die Nachbarn seien sehr nett. Der Tiefbau-Ingenieur würde gerne in seinem Beruf arbeiten. Doch dazu müssen zunächst seine Zeugnisse übersetzt und anerkannt werden. Und er muss Deutsch lernen.

Damit ist er auf dem besten Weg, besonders seit seine Familie da ist. Auch die älteste Tochter Pelin, die in den Kindergarten geht, kann sich schon auf Deutsch verständigen. Zozana spricht noch nicht viel, versteht aber mittlerweile einiges. »Ich bin sehr, sehr glücklich hier«, sagt die gelernte Erzieherin und meint damit vor allem die Unterstützung durch die neuen Nachbarn.
»Sie können jederzeit zu uns kommen, wenn etwas ist«
Zusammen haben sie die spärlich möblierte, aber blitzsaubere Wohnung eingerichtet. Die Barths begleiten ihre syrischen Nachbarn zu Arztbesuchen und Behörden, fahren auch manchmal mit ihnen zum Einkaufen. Die Kinder kommen oft in die Wohnung des älteren Ehepaars, haben trotz anfänglicher Vorbehalte inzwischen sogar den Familienhund ins Herz geschlossen und spielen mit deren Enkelkindern. »Die Kinder können überhaupt nichts dafür, dass sie in eine solche Lage geraten sind«, bekräftigt Ersatz-Oma Christa: »Man kann die Kinder nicht leiden lassen für etwas, was ein paar Staatsmänner versauen.« Sie lobt: »Zozana ist eine tolle Köchin und Bäckerin.« Wenn die dreifache Mutter für ihre Familie etwas Besonderes backt, schickt sie immer einen Teller. »Im Gegenzug erhält sie meinen Apfelstrudel«, so Christa Barth.

»Übernehmen Sie Patenschaften!«, appelliert Erhard Barth an die Eninger. Das trage enorm zur Integration bei und schaffe Befriedigung, wenn man spüre, dass der Einsatz honoriert werde. Mit einer Patenschaft werde den Asylsuchenden auch das Kennenlernen der hiesigen Kultur erleichtert, die nach Barths Ansicht vor allem durchs Vorleben vermittelt wird. Und in den Gesprächen fördere man den Gebrauch der deutschen Sprache.

Für ihr Engagement haben die beiden Paten bislang nur positive Reaktionen erfahren. Anfangs seien die Leute noch skeptisch gewesen, hätten nach dem Grund gefragt. Dann haben die beiden von »ihrer« Familie und der Arbeit im Asylcafé erzählt und damit ihre Bekannten begeistert. Heute fragen diese oft selbst: »Könnt ihr etwas für 'eure Familie' gebrauchen?«

»Wir werden nicht überfordert«, stellt Barth klar. »Wir bestimmen selber, wie sehr wir uns einbringen.« Und er ergänzt: »Man macht Sinnvolles. Es lohnt sich einfach und wird anerkannt.«

»Sie können jederzeit zu uns kommen, wenn etwas ist«, sagt seine Frau, »aber wir lassen ihnen ihren Freiraum.« Sie sollen ihre Selbstständigkeit behalten und einmal alles selbst erledigen können. Noch ist es nicht soweit, doch stolz ist Erhard Barth jetzt schon: »Ist das nicht eine tolle Familie?« fragt er am Ende des Besuchs, bei dem alle von Zozana mit selbst gebackenem Baklawa und Nußplätzchen bewirtet wurden. »Besser hätten wir es nicht treffen können.« (GEA)