PFULLINGEN. So sieht also das viel beschworene politische Desinteresse der Jugendlichen von heute aus. Ein Raum des Friedrich-Schiller-Gymnasiums (FSG) in Pfullingen, ein Donnerstagspätnachmittag, knapp 130 Plätze sind bestuhlt - und es sind nicht nur alle voll belegt, nein: Die jungen Zuhörer sitzen auf Heizungen, auf aufgestapelten Tischen, auf Fensterbänken, stehen bis auf den Gang hinaus. So sieht also das politische Interesse der Jugendlichen von heute aus.
Schätzungsweise 150 Schüler sind gekommen, weil sie den Politikern auf den Zahn fühlen wollen. Zehn Tage vor der Bundestagswahl, die für fast alle im Raum den ersten Urnengang bedeutet, sind sich noch viele Erstwähler unsicher, wem sie ihre Stimme geben sollen. Damit die Premiere kein Reinfall wird, organisierten drei FSG-Schüler - Alexandra Forro, Michael Kürz und Maximilian Kumpf - eine Podiumsdiskussion speziell für Erstwähler. Mit dem Motto »Das erste Mal - Wissen verhütet falsche Wahl!« traten sie an, um »euch eine Entscheidungshilfe« zu geben, wie es Maximilian Kumpf bei der Begrüßung begründete.
»Man darf nicht das Blaue vom Himmel versprechen«
Mit Sebastian Weigle (SPD), Pascal Kober (FDP) und Beate Müller-Gemmeke (Grüne) sind gleich drei Abgeordneten-Kandidaten des Wahlkreises Reutlingen zu Gast. Die Tübinger Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel vertritt die Linke, Dieter Hillebrand ist für die CDU da. Moderiert wird die Diskussion von GEA-Chefredakteur Christoph Irion.
Von der Frage nach den Berührungspunkten mit der Jugend geht es gleich zum ersten Brennpunkt: Studiengebühren. Kober spricht sich gegen Studiengebühren aus, »aber man darf auch nicht das Blaue vom Himmel versprechen«. Weigle zieht den Kreis größer und plädiert »Schritt für Schritt für Kostenfreiheit«, schränkt aber ein: »Ich muss es auch finanziert bekommen.« Auch Müller-Gemmeke bezieht sich nicht nur auf Studiengebühren: »Wir müssen generell mehr in Köpfe investieren, auch in die von Hauptschülern.« Hänsel sieht die »Bildung als Grundaufgabe des Staates« an. Hillebrand gelangt vom Thema Bildung schnell auf die Frage: Wie soll das alles finanziert werden? Darauf entspinnt sich eine hitzige Debatte über die Finanzkrise zwischen Müller-Gemmeke und Hänsel sowie Hillebrand - vom Thema Bildung keine Spur mehr.
Beim Punkt Umwelt- und Klimaschutz sind sich alle einig: Wir müssen was tun und im privaten Kreis anfangen. Vor allem Kober und Weigle spielen sich die Bälle gekonnt zu; man möchte meinen, FDP und SPD stehen sich doch nicht so fern. Als die Frage auf den öffentlichen Nahverkehr kommt, ist Weigle der einzige, der konkret die Stadtbahn-Pläne anführt. Hillebrand, Hänsel und Müller-Gemmeke streiten sich munter über Scheibengipfeltunnel, Stuttgart 21 und - überspitzt dargestellt - die Abschaffung oder Umgestaltung der Auto-Industrie.
»Das Schulsystem abschaffen - wie soll denn das gehen?«
Kein Wunder, dass die Schüler nachhaken müssen. Während einige ihrer Fragen unbeantwortet bleiben, findet zumindest eine weitere Eingang: »Das Schulsystem abschaffen - wie soll denn das gehen?«, fragt Ramona im Hinblick auf den Streit ums dreigliedrige Schulsystem und erntet von ihren Klassenkameraden dafür lauten Beifall. Müller-Gemmeke verweist zwar auf Vorbilder in Schweden und Finnland, kann aber damit wohl nicht wirklich punkten.
Nach neunzig Minuten teils hitziger Debatte die Schlussfrage: Was nehmen die Kandidaten mit? »Das Gerede von der Politikverdrossenheit ist Quark«, betont Weigle und zeigt sich wie auch Müller-Gemmeke vom Politik-Interesse beeindruckt. Kober nimmt Ramonas Anstoß mit Blick auf das Bildungssystem mit: »Wäre mal angebracht, mit den Schülern zu reden.«
Mit den Schülern reden - kamen die Inhalte der Kandidaten an? »Die streiten teils über Lappalien«, findet Maja (19). Patrick (20) pflichtet ihr bei: »Das war oft reine Selbstvermarktung.« Elena (19) findet, »dass von manchen wenig auf uns Schüler eingangen wurde«, ist sich aber sicher: »Ich weiß jetzt, wen ich wähle.« Auch Mitorganisator Michael Kürz ist überzeugt: »Meine Wahlentscheidung steht.« Viele der Zuhörer, erzählt er, hätten gemeint, die Diskussion habe bei der Wahlentscheidung geholfen. Wissen verhütet eben doch die falsche Wahl. (GEA)
