LICHTENSTEIN. Die Pandemie zog ihr den Boden unter den Füßen weg. Die Existenz ihres Reisebüros war gefährdet. Doch mit einer pfiffigen Idee verschaffte sich Bärbel Haas wieder Luft und bekam zudem noch Einblick in eine Welt, von der die meisten eher eine schlechte Meinung haben: der Verwaltung. Die Reiseverkehrskauffrau heuerte nämlich beim Gesundheitsamt in der Coronakrise an. Was sie dort erlebt hat, das begeistert und verwundert sie nach wie vor. »Es war mein absoluter Glücksfall«, so die 54-jährige Engstingerin.
Von jetzt auf nachher hatten sie kein Einkommen mehr. Haas und Beate Steimle, die gemeinsam seit über 30 Jahren ein Reisebüro in Lichtenstein betreiben, hörten nur noch von Stornierungen und sahen kein Land. Corona schlug gnadenlos zu. Länder wurden dichtgemacht, Reisen abgesagt oder gar nicht mehr angeboten, die Hoffnung schmolz am Horizont.
Da besannen sich die beiden Verkaufsfachkräfte auf ihre ureigenen Fähigkeiten: telefonieren, zuhören, überzeugen. »Das wird gebraucht«, sagten sie sich und ergriffen die Initiative. Ihr Vorschlag: Leute aus der Reisebranche für die Kontaktverfolgung und Ermittlung in der Pandemie mit aufzunehmen. Das schlug Wellen in ganz Deutschland, »sogar die Süddeutsche Zeitung hat bei uns angerufen«, berichtet Bärbel Haas. Aber ihr ging es schlicht auch um die Existenz. Zwar flossen die Hilfsgelder vom Bund, aber nicht für Lebenshaltungskosten. Mit dieser Idee, so dachte sich Haas, könnte sie mit einer sinnvollen Tätigkeit Geld verdienen. Also haben sie sich beim Landratsamt gemeldet, die Antwort war positiv, kam gut an. Doch dann tat sich erst einmal nichts.
»Die Leiter des Teams sind einfach Klasse – zwischenmenschlich und fachlich«
Die Engstingerin wurde ungeduldig, ihre Vorurteile gegenüber Ämtern stiegen mit jedem Tag, an dem die Folgen der Pandemie ihr noch mehr Hoffnung raubten. Das war im September/Oktober 2020. »Damals hab ich nicht verstanden, warum da jetzt nichts ging. Uns brannte hier der Boden unter den Füßen und ich hätte den Job gut brauchen können.«
Dann ging alles schnell. Ein Anruf vom Amt genügte und Bärbel Haas trat am 1. Dezember 2020 ihren neuen Job in der Kontaktverfolgung an, aber nicht in Vollzeit. Zu Beginn 30 Stunden in der Woche, den Rest hielt sie die Stellung im Reisebüro. Dort blieb auch ihre Geschäftspartnerin Beate Steimle und hielt den Laden offen. »Wir wollten nicht den Eindruck hinterlassen, dass hier nichts mehr geht.« Präsenz zeigen war wichtig in diesen Tagen.
Sie landete in der Koordination in einem Team des Sachgebiets Pandemie, das dem Gesundheitsamt angegliedert war. Zu Beginn seien es gefühlt über 100 Leute gewesen. Die einzelnen Teams sind jeweils auf einem der drei Stockwerke im vom Landratsamt eigens angemieteten Gebäude in der Kaiserstraße verteilt gewesen. »Ich muss hier eine Lanze für das Gesundheitsamt brechen. Die Leiter meines Teams sind einfach Klasse – zwischenmenschlich und fachlich.«
Das habe sich vor allem am Anfang gezeigt, als der Stress enorm hoch war. »Da wurde jeder positiv getestete angerufen und nach seinen Symptomen gefragt«, schildert sie die enorme Herausforderung. Für Bärbel Haas aber ging da sehr viel mehr.
Sie fand nicht nur eine Aufgabe, mit der sie Geld verdienen und ihre Zeit sinnvoll nutzen konnte, sondern sie lernte viel über Verwaltungen und vor allem über die Menschen, die dort arbeiten. »Ich hab heute eine ganz anderes Bild von der Sache. Heute weiß ich, welch’ logistischer Akt dahintersteckt, deshalb hat es am Anfang auch gedauert.«
»Heute weiß ich, welch’ logistischer Aufwand dahintersteckt«
So konnte sie ihre Arbeitszeit frei wählen. »Ich konnte mir aussuchen, wann ich arbeiten wollte. Sie haben sich auf alles eingelassen. An welchen Wochentagen oder am Wochenende, zu welchen Uhrzeiten, sie haben alles möglich gemacht. Das hat mich erstaunt, das hat mich begeistert.« So wie der Rest. Angefangen bei der Einlernphase.
Die Neulinge müssen schließlich am Telefon fit sein, in Sachen Infektionsschutzgesetz, in einfachen medizinischen Fragen, in organisatorischen Fragen, in aktuellen Fragen. »Es wurde einem stets eine erfahrene Kollegin oder ein Kollege an die Seite gestellt. Vier Wochen lang. Wenn man danach etwas nicht wusste, ist man einfach zu denen hingegangen und bekam eine Antwort. Unkompliziert, ohne Allüren.«
Die Arbeitsatmosphäre beschreibt sie nicht nur als sehr angenehm, nein sie schwärmt förmlich davon. Die Begleiterscheinungen waren allerdings alles andere als angenehm. Der Alltag war anstrengend und herausfordernd. Dauerbeschallung am Telefon. Immer wieder die gleichen Fragen von den Bürgern. Da braucht es eine gute Motivation. Doch die Leiterinnen hätten es geschafft, trotzdem eine sehr angenehme Atmosphäre zu schaffen, so Haas. »Ihnen gehört mein ganzer Respekt.«
Dafür habe die Leitung des Teams – in ihrem Fall Luisa Müller und Bettina Peters, später Ramona Broglie und Fatima Grosko – gesorgt. »Das war großartig, wie sie den Teamspirit und die Motivation hochgehalten haben.«
Auch heute noch ist sie dem Team verbunden, sitzt rund 20 Stunden in der Woche für den Staat am Telefon. Ihr Vertrag geht noch bis Ende März. Und dann? So schön es auch war, so glücklich es sich ergeben hat, sie freut sich wieder auf ihre ureigene Aufgabe, auf das, was sie am besten kann und sich über viele Jahre aufgebaut hat: Menschen einen schönen Urlaub zu vermitteln. (GEA)