PFULLINGEN. »Wann kommt er, wie kommt er?«, fragten die drei fröstelnden Mädchen im Eingangsbereich der Pfullinger Wilhelm-Hauff-Realschule (WHR). Wenig später öffneten sie am Donnerstagmorgen dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann die Eingangstür. Gekommen war er zu einem Austausch mit Schülern, Lehrern und Eltern über die Reformen für die weiterführenden Schulen im Land, den Schulleiter Jochen Wandel zweieinhalb Stunden später mit den Worten »aufrichtiges Zuhören« charakterisierte. Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper wollten wissen, »wie wir Schule gestalten«.
Um die Frage der Mädchen zu beantworten: Kretschmann kam in einer Mercedes-S-Klasse mit E-Antrieb pünktlich vor dem Eingangsbereich der Schule an. Vor der Tür erwarteten ihn neben Wandel und der Kultusministerin Pfullingens Bürgermeister Stefan Wörner und Regierungspräsident Klaus Tappeser. Im Foyer machte sich das Bläser-LeA der Schule für den schwungvollen Empfang bereit. Die jungen Musiker und Musikerinnen setzten damit gleich ein Zeichen dafür, was die WHR unter anderem auszeichnet: Das große Angebot an frei wählbaren Lernangeboten (LeA). »Chapeau«, zog Kretschmann den Hut vor der Leistung der Bläser und noch bevor sich der Tross in den ersten Stock in die Lernlandschaft aufmachte, hatte Wandel deutlich gemacht, was der Schule am Herzen liegt: »Wir haben die Aufgabe, mündige Schüler mit Rückgrat zu erziehen.« Das sei wichtiger denn je. Und Wandel ist es wichtig, dass die Realschule mit der Einführung von G9 an den Gymnasien attraktiv bleiben muss.
Ausgleich zu schwierigen Fächern
An Attraktivität mangelt es der WHR aber offenbar nicht. Dazu tragen in großem Maß die rund einhundert LeA-Angebote bei. Eine kleine Auswahl davon präsentierten die Schüler dem Besuch aus Stuttgart in der Lerninsel. Segelfliegen, Bogenschießen, Laufen, Harry-Potter, Gitarrenspielen - die Begeisterung der Schüler für die LeA war greifbar. Oder wie es der Zehntklässler Moritz formulierte, der wenig später in einer Runde mit Kretschmann und Schopper saß: »Das ist ein Ausgleich zu den schwierigen Fächern. Da bekommt man den Kopf frei«, antworte er auf die Frage des Ministerpräsidenten, ob man da noch in Mathe wolle. Der Besuch hörte aufmerksam zu und fragte nach, als es um die »Friedenswächter« genannten Streitschlichter ging, die Sanitätshelfer oder die Handyregeln an der Schule. Dort gilt weiter: Handy aus. »Es ist schön, wenn sich die Schüler miteinander unterhalten«, erklärte Moritz, der zunächst auch an ein Aufheben des Verbots gedacht hatte, wie er berichtete.
Die Schülerinnen und Schüler waren jedenfalls voll des Lobes für ihre Schule und die Lehrkräfte, insbesondere dafür, wie sie auf das Berufsleben vorbereitet werden. Neben der Demokratiebildung ist eine gute Berufsorientierung ein entscheidendes Ziel der Schulreform. »Wir bekommen sehr viele Infos«, erklärte Sophie, »und werden bei der Berufswahl sehr unterstützt.« Hervor hob die Schülerin die Lehrstellenrallye, die Pfullingens Schulen gemeinsam mit Stadt, Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer organisieren. »Die hat wirklich was gebracht«, ergänzte Nina. Und Bürgermeister Wörner schob nach: »Das ist eine Erfolgsgeschichte, die wir fortführen werden.«
Gesehen und gehört
Pfullingens Stadtoberhaupt saß dann auch in der zweiten Gesprächsrunde mit am Tisch, die Elternbeirätin Corinna Riegler mit einem emotionalen Statement eröffnete: »Für mich ist die WHR zur Familie geworden.« Es sei unwahrscheinlich, was man hier erleben könne, und beeindruckend, was die Schule biete. »Gott sei Dank habe ich noch ein Kind hier«, erklärte sie. Hier werde man gesehen und gehört. Mit dabei waren auch Kerstin Kreppel von der Schillerschule in Dettingen und Rainer Graef von der Kirbachschule in Hohenhaslach. »Was tut den Kindern gut?«, ist für den Schulleiter aus dem Kreis Ludwigsburg die zentrale Frage. Von Kretschmann auf den Austausch zwischen den Schulen angesprochen, erklärte Wandel: »Man verliert nichts, wenn man etwas preisgibt.« Letztlich sei es ein Anliegen aller Schulen, die Kinder gut zu begleiten.
Die starke Heterogenität der Schüler ist dabei Herausforderung, das wurde in der Runde mit den Lehrern schnell deutlich. Adaptiv gestalteter Unterricht ist für Annika Messerschmidt, die unter anderem Deutsch an der WHR unterrichtet, eine Lösung. Dieser passt sich den unterschiedlichen Ausgangslagen und Lernerfolgen der Schülerinnen und Schüler an und ermöglicht es, sie in ihrem eigenen Lernprozess zu unterstützen. So hat sie in einer Deutschstunde 15 verschiedene Texte an die Klasse ausgegeben, die jeweils verschiedenen Interessen entsprachen, etwa eine Geschichte über Autos für den Autofan. Das ist machbar, sagt sie, dank Digitalisierung und KI könne man das schnell leisten. Sie ist sicher: "Das bringt uns weiter.
Stadt braucht Unterstützung
Apropos Digitalisierung. Bei diesem Thema spielt das Geld eine entscheidende Rolle. Bürgermeister Wörner machte deutlich, dass die Stadt als Schulträger Unterstützung braucht, will sie den digitalen Standard an den Schulen halten. Er nahm Bund und Land in die Pflicht, die Kommunen bei den anstehenden Ersatzbeschaffungen für die iPads, aber auch bei der Netzwerkbetreuung in den Schulen zu unterstützen. Das machte auch sein Abschiedsgeschenk an Kretschmann und Schopper deutlich. Für beide gab es einen Geldbeutel aus Büffelleder von der Alb, der - so wie die Stadtkasse - leer sei.
Nicht ohne Bilder mit den Schülern und einem Eintrag ins Goldene Buch in der Stadt verabschiedeten sich Ministerpräsident und Ministerin nach gut zwei Stunden aus Pfullingen: »Beeindruckend zu sehen, wie die Wilhelm-Hauff-Realschule sich auf den Weg gemacht hat in die Gesellschaft und die Berufswelt, damit unsere Kinder und Jugendlichen sich nicht nur gut in ihr zurechtfinden, sondern sie auch aktiv mitgestalten«, das ist im Buch der Stadt jetzt zu lesen. (GEA)