ENINGEN/REUTLINGEN. Jagdpächter Marco Sautter aus Eningen ist ziemlich frustriert: »In den letzten 24 Monaten habe ich allein 14 tote Rehe abtransportieren oder halbtote Tiere erlösen müssen. Alle waren eindeutig von Hunden gerissen oder angefallen worden. Manche haben elendig leiden müssen.« Sautter hat selbst drei Hunde, ist gut ausgebildet und kann anhand der Bisswunden erkennen, wenn Hunde Urheber des Elends sind. Es könne nicht sein, dass Hundebesitzer ihre Tiere einfach sorglos herumlaufen ließen, ohne an die Wildtiere zu denken. Marco Sautter sagt dem GEA: »Es muss sich etwas ändern.« Er weiß, dass es genügend Regeln gibt, nur müssten die auch befolgt werden.
Woran ist erkennbar, dass Hunde Wildtiere gerissen oder verletzt haben? Jäger sind darin geschult, dies zu erkennen. In den allermeisten Fällen sind sie selbst Hundebesitzer und besitzen einen Jagdhund. Im Zweifelsfall, und dort, wo es bestätigte Vorkommen von Wölfen gibt, werde sogenannte Bissbeprobungen gemacht. Das bedeutet, es wird eine DNA-Analyse in Auftrag gegeben, um zu unterscheiden, ob die Bisswunden von einem Hund oder von einem Wolf stammen. In Baden-Württemberg gibt es laut Landesjagdverband derzeit vier Wölfe.

Was ist dran an der Legende: Hat ein Haushund einmal ein Wildtier gerissen, hat er »Blut geleckt« und wird es immer wieder tun? »Das ist ganz bestimmt so«, ist Jäger Marco Sautter überzeugt. Er hat Erfahrungen mit Hunden gesammelt, besitzt gleich drei ausgebildete Jagdhunde. Fachleute sind sich einig: Der Jagdinstinkt steckt in jedem Hund. Er gehört zu den Urinstinkten der Tiere und zu seinen existentiellen Grundbedürfnissen. Dazu gehört auch das sogenannte Beutefangverhalten. In der Fachliteratur zum Hundetraining steht unter anderem: Ist der Hund mit der Jagd aus seiner Sicht einmal erfolgreich, sprich: Er hat ein Wildtier gejagt und gefangen, vielleicht sogar getötet, dann ist der Urinstinkt nicht nur geweckt, sondern stimuliert. Er wird es immer wieder tun.
Sind mehr Angriffe von Hunden auf Wildtiere gezählt worden? Der Chef des Landesjagdverbandes Baden-Württemberg, René Greiner, sagt: »Es ist ein dauerhaftes Thema und eines, das uns und alle Jäger ganzjährig beschäftigt.« Zahlen von Rehen oder anderen Wildtieren, die von Hunden verletzt oder gerissen wurden, werden laut Verband nicht erhoben. Es gebe aber mehr oder weniger viele Fälle quasi in jedem Jagdrevier des Landes. Die Situation für die Wildtiere sei gerade jetzt mit dem beginnendem Mai besonders heikel: »Denn Rehe bekommen ihren Nachwuchs zwischen April und Juli und 'setzen' ihn auch ungeschützt in die Landschaft«, so Greiner.

Ist Eningen ein Brennpunkt, oder gibt es solche Vorfälle auch woanders? Da es keine zentrale Registrierung solcher Fälle gebe, lasse sich das nur schwer belegen, ist Jagdverbandschef René Greiner überzeugt. Er berichtet dem GEA von Jagdgebieten, in denen auch mehr als 20 gerissene Rehe gezählt wurden. In anderen Regionen des Landes lägen die Zahlen weniger hoch.
Wo gilt Leinenpflicht für Haushunde und wo dürfen sie frei laufen? In Baden-Württemberg ist es den Städten und Kommunen überlassen, wie sie die sogenannte Leinenpflicht ausgestalten. In der Regel ist es aber überall ähnlich: Im sogenannten befriedeten Gebiet, also innerhalb der Ortsgrenzen, gilt eine generelle Pflicht, Haushunde beim Gassigehen anzuleinen. Außerhalb, also auch auf Feldwegen und in Wäldern, sieht es etwas anders aus. Hier besteht keine Pflicht, Hunde anzuleinen. Dabei besteht die Einschränkung, dass Hunde stets abrufbar und im Einwirkungsbereich des Halters sein müssen. Ist das nicht gewährleistet, machen sich Hundehalter laut Landesjagdgesetz strafbar. Ein Bußgeld kann verhängt werden. Kommunen können in Ausnahmefällen auch eine Leinenpflicht in Wäldern verhängen.
Wie ist die rechtliche Lage? Mehrere Paragrafen im Landesjagdgesetz sollen Wildtiere vor wildernden Hunden schützen. So heißt es unter anderem: »Es ist verboten, Wildtiere unbefugt an ihren Zuflucht-, Nist- und Brutplätzen oder Einständen durch Aufsuchen, Fotografieren, Filmen oder sonstige Handlungen zu stören. In Notzeiten oder während der allgemeinen Schonzeit und der Brut- und Aufzuchtzeit ist Leinenzwang durch Allgemeinverfügung der Unteren Jagdbehörde möglich.«

Dürfen Jäger wildernde Hunde erschießen? Das Landesjagdgesetz von Baden-Württemberg gilt unter Jägern als eines der strengsten in ganz Deutschland. In Paragraf 49 steht dort in bestem Juristendeutsch: »Die jagdausübungsberechtigte Person und anerkannte Wildtierschützerinnen und Wildtierschützer dürfen in ihrem Jagdbezirk Hunde, die erkennbar Wildtieren nachstellen und diese gefährden, mit schriftlicher Genehmigung der Ortspolizeibehörde im Einzelfall töten.« Das gilt allerdings nur, wenn alle anderen Versuche, den wildernden Hund zu stoppen, fehlgeschlagen sind. Jäger Marco Sautter sagt: »Ich würde das nie machen. Es muss andere Wege geben. Es würde die Situation nur verschlimmern.« Dennoch: Alle Jägerinnen und Jäger wissen, dass sie das Recht haben, wildernde Hunde zu töten. Marco Sautter sagt, er würde niemals damit drohen oder gar auf frei laufende Hunde schießen: »Ich will auf meiner Pacht nicht der Polizist in Jagdkluft sein.«
Können Halter von frei laufenden und wildernden Hunden bestraft werden? Ja, das können sie. Wenn sie gegen die Leinenpflicht verstoßen, gilt dies als Ordnungswidrigkeit. Bußgelder können im Einzelfall bis in den vierstelligen Eurobereich gehen. Eine Leinenpflicht gilt in der Regel im befriedeten Gebiet. Das bedeutet in der Regel auf dem Stadt- oder Gemeindegebiet. Außerhalb der Ortschaften gilt sie nicht. Kommunen können die Leinenpflicht aber auch ausdehnen. Die Gemeindeverwaltung von Eningen könnte eine Leinenpflicht im Gebiet verhängen, wo bereits viele Rehe gerissen wurden.
Wie können die Wildtiere besser geschützt werden? »Vor allem muss etwas in den Köpfen der Menschen, insbesondere der Hundehalter stattfinden«, sagt der Wildtierbeauftragte des Landkreises Reutlingen, Rupert Rosenstock. Er nennt das auch Bewusstseinsänderung. Er meint damit, dass sich Hundehalter beim Spaziergang darüber im Klaren sein müssen, dass sie mit ihrem Tier nicht allein im Freien sind. Im Ernstfall müsse der Hund seinem Halter folgen und gehorchen. Er ist dafür, auch Schilder im und am Wald aufzustellen, die auf die Problematik hinweisen. Der Chef des Landesjagdverbands, René Greiner, weist darauf hin, dass nicht nur die Rehe durch wildernde Hunde gefährdet sind, sondern gerade jetzt auch Arten wie der Feldhase, Rebhühner, Kiebitze oder die Feldlerche. »Gerade in diesem Tagen im Mai verwandeln sich Wald, Feld und Flur in eine große Tierkinderstube.«
Wie geht es in Eningen und der Region weiter? Marco Sautter will weiter für den Schutz der Wildtiere und speziell der jungen Rehe kämpfen. So hat er unter anderem Fotos der verletzten oder getöteten Rehe veröffentlicht, die er zuletzt entdeckt hat: »Ich will damit aufrütteln. Wir müssen eine Bewusstseinsänderung erreichen.« (GEA)