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Hospiz Veronika in Eningen: Ein Ort für ein intensives Leben

Seit zwanzig Jahren werden im Hospiz Veronika todkranke Menschen in ihrer letzten Zeit begleitet

Räume mit Aussicht: Das Hospiz Veronika liegt hoch über den Dächern Eningens mit Panoramablick auf den Albtrauf. FOTO: DEWALD
Räume mit Aussicht: Das Hospiz Veronika liegt hoch über den Dächern Eningens mit Panoramablick auf den Albtrauf. Foto: Christine Dewald
Räume mit Aussicht: Das Hospiz Veronika liegt hoch über den Dächern Eningens mit Panoramablick auf den Albtrauf.
Foto: Christine Dewald

ENINGEN. »Da haben wir schon das große Los gezogen.« Trotz schwerster Krankheit fühlt sich Frau S. sicher und gut aufgehoben. Sie sitzt am Bettrand, bequem, aber proper angezogen. Ihr Zimmer ist geräumig, freundlich, frisch renoviert. An der Wand hängt ein Foto ihrer Enkel, daneben ein von ihrer Tochter gemaltes Bild. Auf dem Balkon röten sich Nasch-Tomaten, am Geländer blüht es üppig. Dort klemmt auch ein Vogelhäuschen, von Spatzen und Rotschwänzen regelmäßig angeflogen. »Die haben jetzt Junge.« Frau S. beobachtet das lebhafte Treiben fröhlich-interessiert. Gleich nach ihrem Einzug ins Hospiz Veronika hat ein Mitarbeiter das Vogelhaus so am Geländer befestigt, dass sie es von ihrem Bett aus sehen kann.

Diese kleine Geste hat Frau S.’ Tochter berührt. Als eine Art Zeichen dafür, dass ihre schwerkranke Mutter an diesem Ort nicht nur die notwendige Pflege, sondern auch Wertschätzung und Zuwendung erfahren wird. Nach einer langen Zeit der Überlastung und Unsicherheit bedeutete das eine ungeheure Erleichterung, für die ganze Familie, aber auch für Frau S. selbst. Ihr Mann ist beinah täglich bei ihr. Wird das Mittagessen serviert, bekommt auch er ganz selbstverständlich einen Teller Suppe hingestellt.

Mitbewohner hat Frau S. derzeit weniger als üblich: Statt sonst acht leben derzeit nur insgesamt fünf Gäste im Hospiz Veronika. Die Räume im vierten Stock des Seniorenzentrums St. Elisabeth werden renoviert, Zimmer und Flure werden gestrichen, bekommen neue Böden und Türen. Zum Geburtstagsfest im Herbst, wenn das 20-jährige Bestehen gefeiert wird, soll alles fertig sein.

Orchideen auf der Fensterbank

»Gäste« heißen die todkranken Menschen, die ins Hospiz Veronika einziehen. Nicht Patienten, nicht Bewohner. Ein Ausdruck dafür, dass es hier nicht in erster Linie um Pflege und schon gar nicht bloß um Unterbringung geht. Vielmehr darum, ein kurzes oder längeres Stück Lebenszeit zusammen mit den Betroffenen und ihren Angehörigen so gut, so intensiv und so schön wie möglich zu gestalten. Zur Lebensqualität in der letzten Phase gehört nicht nur Schmerzmedikation oder Körperpflege, sondern für Frau S. auch das Vogelhäuschen. Und die Orchideen auf der Fensterbank. Einige davon hat sie selbst gehegt und gepflegt und zu neuer Blüte gebracht, »das ist mein Hobby«.

Die Suppe bringt an diesem Tag Barbara Haas. Alle zwei Wochen arbeitet sie einen Vormittag im Hospiz Veronika mit – eine von vielen Ehrenamtlichen, die hier geschätzte und wichtige Partner sind. Denn die Hospizarbeit, in Deutschland aus bürgerschaftlichen Bewegungen heraus entstanden, will nicht nur die Sache von Profis sein, sondern ein Anliegen und eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Ohne viele ehrenamtliche Helfer geht es nicht.

Für Barbara Haas ist die Begleitung Schwerstkranker und Sterbender schon seit Jahrzehnten Teil ihres Lebens. »Das hat auf mich gewartet«, sagt sie über dieses Engagement, zu dem sie 1994 kam: Beim ersten Ausbildungskurs des Ambulanten Hospizdienstes Reutlingen für ehrenamtliche Begleiter war Barbara Haas dabei. Sie hat todkranke Menschen in ihrem Zuhause unterstützt, saß an Sterbebetten im Reutlinger Krankenhaus. Und bringt sich seit Langem regelmäßig im Hospiz in Eningen ein.

Die hauswirtschaftlichen Aufgaben, die scheinbar im Vordergrund stehen, bahnen oft den Weg von Mensch zu Mensch. Die schön angerichtete Mahlzeit, ans Bett gebracht oder mit den Gästen, die das wollen und können, am Tisch der Gemeinschaftsküche gegessen – das bedeutet Fürsorge, Zuwendung, ein Stück Lebensqualität. »Übers Essen geht ganz viel«, weiß auch Lissy Schmid, im Hospiz für die psychosoziale Betreuung zuständig. Am Herzen liegt ihr und dem ganzen Team eine »Willkommenskultur«, die mit den Gästen auch deren Angehörige und Freunde einschließt. »Sehr familiär und heimelig« soll es sich anfühlen, das Leben im Hospiz.

Blick aufs eigene Leben verändert

Voraussetzung ist, dass sich die Menschen sicher und gut versorgt wissen. Dafür sorgen Hospizleiter Andreas Herpich und seine Stellvertreterin Margret Strölin zusammen mit gut zwanzig Pflegefachkräften, die zu ihrer Zusatzausbildung in Palliativversorgung noch zahlreiche weitere Kompetenzen einbringen, von der Aromatherapie bis zur spirituellen Sterbebegleitung. Komplexe Versorgung, beispielsweise bei Krebs im Endstadium und bei akuten Krisen, ist im Hospiz möglich. Ärzte kommen ins Haus.

Seit fast zehn Jahren ist Ulrike Beyer Teil des Pflegeteams im Hospiz. Eine Zeit, die auch sie selbst und ihren Blick auf das eigene Leben verändert hat. »Ich bin dankbarer, demütiger. Und ich genieße meine Tage. Wer weiß, ob ich morgen noch so leben kann wie heute; es kann sehr schnell alles anders sein.« Als bereichernd empfindet Ulrike Beyer auch die vielen Begegnungen mit »beeindruckenden Menschen«, Sterbenden und ihren Familien, denen es gelingt, die letzte gemeinsame Zeit liebevoll und intensiv zu gestalten. »Ich empfinde es nach wie vor als Ehre, Menschen beim Sterben begleiten zu dürfen«, sagt die Pflegefachfrau. Das setze großes Vertrauen voraus, die Bereitschaft, sich hinzugeben.

Selbstbestimmt und autonom

»Ich will wieder richtig pflegen, richtig für den Menschen da sein.« Mit diesem Wunsch ist Ulrike Beyer vor zehn Jahren aus der zunehmend unter Personalnot leidenden Krankenhauspflege ins Hospiz gekommen. Auch bei Margret Strölin, von Haus aus Altenpflegerin, spielte für den Wechsel ein gut Teil Frust über die zunehmend schwierigen Verhältnisse in den Pflegeeinrichtungen eine Rolle. Wie es außerhalb des Hospizes weitergeht, treibt die stellvertretende Leiterin aber weiterhin um. Denn eigentlich sollte jeder todkranke oder sterbende Mensch eine gute, individuelle Begleitung und Betreuung bekommen, ob er seine letzte Lebensphase nun im Krankenhaus, im Pflegeheim oder zu Hause verbringt. »Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit.«

Routinierte Pflegekräfte wie Margret Strölin oder Ulrike Beyer mussten im Hospiz ein Stück weit um- oder dazulernen. Zum Beispiel, dass hier auch die Angehörigen wichtig sind und einbezogen werden. Oder dass die Gäste selbst entscheiden, ob und wann sie aufstehen, essen oder gewaschen werden wollen. Über ihre letzte Lebenszeit, die letzten gemeinsamen Monate, Wochen oder Tage, verfügen die Hospiz-Gäste und ihre Angehörigen möglichst selbstbestimmt und autonom. »Wenn die Familien dankbar auf die Zeit hier zurückblicken können, wenn sie sie als schwere, aber wertvolle und schöne Zeit in Erinnerung behalten« – dann haben Ulrike Beyer und ihre haupt- und ehrenamtlichen Kollegen das Gefühl, ihre Arbeit gut gemacht zu haben. (GEA)

 

INFO

Zwanzig Jahre Hospiz Veronika

Im vierten Stock des Seniorenzentrums St. Elisabeth, hoch über den Dächern von Eningen und mit Panoramablick auf den Albtrauf, gibt es seit zwanzig Jahren das Hospiz Veronika. Hier werden schwerkranke Menschen aufgenommen, die bei begrenzter Lebenserwartung einen erhöhten Pflege- und Betreuungsbedarf haben. Die Kosten werden von den Kranken- und Pflegekassen übernommen. Weil das Hospiz einen Teil seiner Ausgaben durch Spenden und andere Einnahmen finanzieren muss und weil die kommunale Einbindung ein wichtiger Faktor der Hospizarbeit ist, wird die Einrichtung seit vielen Jahren vom Förderkreis Hospiz Veronika begleitet und unterstützt. Der Förderkreis finanziert beispielsweise Angebote wie die Kunsttherapie oder die Mitarbeit einer Musikerin im Hospiz. Die Stiftung Hospiz Veronika soll außerdem dazu beitragen, die Finanzierung langfristig auf eine sichere Basis zu stellen. Trägerin des Eninger Hospizes ist die Paul Wilhelm von Keppler-Stiftung, die in der Gemeinde auch das Seniorenzen-trum Frère Roger betreibt. Zum runden Geburtstag ist – wenn die Pandemielage es erlaubt – am Samstag, 1. Oktober, von 10 bis 16 Uhr ein Tag der offenen Tür im Hospiz geplant. Am Vorabend, Freitag, 30. September, beginnt um 19 Uhr eine Jubiläumsfeier im Atrium des Dominohauses in Reutlingen. (dew)