PFULLINGEN. Dass Fritz Engelhardt der Weg in den Frühstücksraum nicht leicht gefallen ist, das konnte er gestern Morgen nicht verhehlen – trotz der klaren Worte, mit denen er begründete, warum der Verkauf des Hotels Engelhardt in Pfullingen letztlich die richtige Entscheidung ist. Vor 51 Jahren hat seine Familie das Hotel gebaut. Mit dem Verkauf an die PP.rt, die Gemeinnützige Gesellschaft für Psychiatrie Reutlingen mbH, geht auch ein großes Stück seiner Lebensgeschichte in andere Hände über. Der neue Eigentümer will dort stationäre und ambulante Behandlungsangebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen anbieten. Außerdem soll im Gartentrakt Wohnraum geschaffen werden zur vorübergehenden Unterbringung von Erkrankten, die auf dem freien Wohnungsmarkt keine Bleibe finden. Dieses Angebot übernimmt die Tochtergesellschaft der PP.rt, die GP.rt, (Gemeinnützige Gesellschaft für Gemeindepsychiatrie Reutlingen mbH.)

55 Zimmer, 90 Betten – die Adresse Kaiserstraße 120 ist seit Jahrzehnten eine gute und sie wird es noch bis zum 5. August bleiben. Dann erst schließt das Hotel, das vor allem von Geschäftsreisenden genutzt wird, seine Pforten. Zu rund 80 Prozent belegen Firmen aus Reutlingen das Haus. Für den Hotelier das Problem für die Zukunft. Engelhardt, der sich als Dehoga-Landesvorsitzender seit Jahren für die Hotel- und Gaststättenbranche engagiert und das auch weiter tun will, sieht keine Perspektiven, »auch nach der Pandemie ein gewinn- und serviceorientiertes Unternehmen weiterzuführen können«.
Hexenkessel Reutlingen
24 Monate Pandemie seien kräftezehrend gewesen »und haben uns viel Geld gekostet«. Doch dank der Mitarbeiter – zehn sind es momentan –, die Opfer gebracht hätten, der staatlichen Hilfen und der Stammgäste »haben wir die Pandemie ganz gut weggesteckt«. Damit macht der Hotelier auch klar, dass er nicht aus akutem wirtschaftlichen Druck auf eine Zeitungsannonce der PP.rt in einer Novemberausgabe des GEA reagiert hatte, in der nach Räumen gesucht wurde.
Der 63-Jährige geht davon aus, dass sich die Nachfragesituation nach Ende der Pandemie grundlegend ändern wird. Der Geschäftsreiseverkehr werde mindestens um ein Viertel dauerhaft nachlassen. Gleichzeitig entstünden weitere Übernachtungsangebote und Kapazitäten in Reutlingen. »Das wird zu einem beinharten Wettkampf führen«, sagt Engelhardt. Aktuell böten einige Reutlinger Hotels ihre Dienstleistungen zu Kampfpreisen an und verkauften ihre Zimmer weit unter Wert: »Ein unweigerlich auf uns zukommendes Hauen und Stechen wollen und können wir auch nicht mitmachen«, so der langjährige Hotelier.
DIE NEUEN NUTZER DES HOTELS
Vielfältige Hilfsangebote für psychisch Kranke
Die Gemeinnützige Gesellschaft für Gemeindepsychiatrie Reutlingen mbH (GP.rt) und die Gemeinnützige Gesellschaft für Psychiatrie Reutlingen mbH (PP.rt) sind Tochtergesellschaften der Bruderhaus-Diakonie und des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg. Sie haben für das Gebiet der Stadt Reutlingen und der umliegenden Kommunen ihre Hilfeangebote für psychisch kranke Menschen den Tochtergesellschaften übertragen. In der GP.rt sind die Angebote der außerklinischen gemeindepsychiatrischen Grundversorgung, Beratung, Eingliederungshilfe, Rehabilitation und Pflege angesiedelt, in der PP.rt die Angebote der ambulanten, tagesklinischen und stationären Krankenhausbehandlung. (GEA)
Wer sich langfristig im »Hexenkessel Reutlingen behaupten möchte, muss vor Ort sein«. Aus all dem folgert Engelhardt, dass er das Haus nicht sorglos der nächsten Generation überlassen kann. Deshalb der Verkauf, den der Dehoga-Chef nicht als Signal an seine Branche sieht. Der Entschluss sei letztlich der konkreten Situation in Reutlingen geschuldet. Die rationale Analyse ist die eine Seite, das Herzblut, dass Engelhardt, seine Familie und die Mitarbeiter in das Hotel gesteckt haben, ist die andere. Es könne schon sein, dass er im Herbst morgens aufstehe und sage: »Ich fahr jetzt ins Hotel.«
Vorhaben ist gebietsverträglich
Professor Dr. Gerhard Längle hätte nichts dagegen, wenn Engelhardt einmal vorbeischauen würde. Der Geschäftsführer von PP.rt und GP.rt freut sich, ein Gebäude, »das so in Schuss ist«, zu übernehmen. Gemeinsam mit seinem Co-Geschäftsführer Christian Freisem und Andreas Lingk, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der GP.rt und PP.rt, erläuterte er die Pläne für das Haus in der Pressekonferenz.
Die PP.rt als neue Besitzerin plant gemeinsam mit ihrer Schwestergesellschaft eine Einrichtung zur Rehabilitation psychisch Kranker. Dort werden Menschen nach Abschluss der Akutbehandlung weiter versorgt und bei der Integration in den Lebens- und Arbeitsalltag unterstützt. Die Einrichtung bietet Wohn- und Arbeitsräume: Geplant sind 15 stationäre und 10 ambulante Plätze im Haupthaus.
Den sogenannten Gartentrakt des Hotelbaus mietet die GP.rt von der PP.rt. Hier sollen Wohnangebote für rund 20 Menschen entstehen, erläuterte Christian Freisem, die als Zwischenstation für Menschen gedacht sind, die kurzfristig und vorübergehend eine Bleibe und die nötige fachliche Begleitung brauchen – etwa nach der Entlassung aus einer Klinik.
Die notwendigen Umbauarbeiten sollen im September beginnen und bis Anfang kommenden Jahres abgeschlossen sein. Pfullingens Bürgermeister Stefan Wörner bedauerte, dass die Stadt mit dem Verkauf des Hotels eine Marke verliere. Er sicherte gleichzeitig den neuen Besitzern Unterstützung zu. »Sie können mit einer zügigen Baugenehmigung rechnen.« Das Vorhaben sei zulässig und gebietsverträglich, das habe eine Prüfung ergeben. Längle versprach, mit Umbau und zukünftiger Nutzung offen umzugehen. Neben einem Tag der offenen Tür, bei dem das Projekt vorgestellt wird, plant er auch, die direkten Anlieger zu einem Gespräch einzuladen, »sodass Ängste und Sorgen gar nicht entstehen«. (GEA)

