ENINGEN. Die Treppenstufen hoch zur Aula in der Eninger Achalmstufe steigt Alexander »Alex« Köberlein bedächtigen Schrittes. Kein Wunder, die Schwabenrock-Legende ist im November 73 Jahre geworden und gesundheitlich angeschlagen. Doch wenige Minuten später, wenn er mit seinen »Rottweilern« auf der Bühne steht, scheint die Zeit stehen geblieben.
Die Eninger – mit ihrem Idol in Ehren ergraut – lassen sich von den dargebotenen Rockklassikern mitreißen. Allerdings sitzend. Die Zeiten, in denen alle vor der Bühne gestanden und mitgetanzt haben, sind vorbei. Allen denjenigen, die rechts und links der Stuhlreihen Stehplätze haben, ruft Köberlein zu: »Wenn oiner en Stuhl braucht, na brenget er ehm halt oin.«
Schwäbische Rocklegende
Wie kommt die schwäbische Rocklegende ins beschauliche Eningen? Michael Löcke, Gründungsmitglied der Eninger Kultur-Initiative (EKI) klärt das Publikum auf: »Ich habe vor über 50 Jahren mit Alex zwei Jahre lang Musik gemacht, da war er in Weingarten und ich in Ravensburg. Und als ich in Fulda studiert habe, hat er auf meine Einladung hin mit Schwoißfuaß dort gespielt.« Kommentar Köberlein: »So weit em Norda wara mo no nia.«
Dann setzt Alex Köberlein das Thema für diesen Abend: »Es geht um Diebstahl in der Musikgeschichte und dies nicht nur bei einem Lied, sondern reihenweise«, wie er augenzwinkernd und in breitem oberschwäbisch erzählt. Angefangen hat alles in Bad Schussenried im katholischen Gemeindehaus mit einer Zigarrenkiste mit Besenstiel, in den drei Nägel für drei Töne eingeschlagen wurden und einer einzigen Saite als Bass.
Tragik seines Lebens
Dann folgt die Tragik seines Lebens: Die meisten großen Hits der Popgeschichte sind ihm geklaut worden. Schnöde abgekupfert von ursprünglich schwäbischen Song aus dem letzten Jahrhundert. Wo immer er mit seiner Band seine frühen Texteinfälle vertont, saß ein GI, ein US-amerikanischer Soldat oder ein Engländer mit einem Tonbandgerät im Gebüsch, zeichnete es auf.
Was aber dann als coole, fast surrealistisch anmutende englischsprachige Poplyrik gerühmt wurde, ist in Wahrheit nur schlechte Übersetzung des schwäbischen Originals. So wurde aus der klaren Aussage »Mein Vaddr war n harder Hond« das eher betuliche »Papa was a Rolling Stone« von den Temptations. Das soll nun an diesem Abend geradegerückt werden. Und so reiht sich ein gestohlener Klassiker an den nächsten.
Zurück auf der Bühne
Knapp acht Jahre nach dem letzten Aufritt mit »Grachmusikoff«und bald 30 Jahre nach dem mit »Schwoißfuaß« ist Alex Köberlein zurück auf der Bühne mit der »Franz Mayer Experience«. Zusammen mit
seinen deutlich jüngeren Bandkollegen Ralf Trouillet (Bass), Joo Aiple (Schlagzeug), Matze Reimann (Gitarre) und Steff Hengstler (Keyboard) auf die wohl größte kulturelle Rettungs-Mission der schwäbischen Popgeschichte.
Wieder angefangen hat die dritte musikalische Karriere von Köberlein nach Corona. Aus Langeweile begann er wieder Flöte zu spielen. Da er lieber mit anderen Musikern zusammenspielt, tat er sich mit seinem Nachbarn zusammen »Dann stirbt der auf einmal. Dann dachte ich: so ein Scheiß.« Um einen neuen musikalischen Partner zu finden, fragte er in einer Kneipe in Rottweil nach Gleichgesinnten.
Nach fiktiver Figur benannt
Bald kommen die ersten Auftritte, die Band Franz Mayer Experience ist geboren – benannt nach einer fiktiven Figur, die es in Köberleins Rocklyrik »en d’Heh ziaht«. In der Achalmschule geht es Schlag auf Schlag. Bluesige, krachend laute und rockige, sphärisch-mystische und reggae-artige Titel wechseln sich ab. Wer allerdings kein Schwäbisch versteht, hat die »A-Karte« gezogen und kommt den witzigen, manchmal auch hintergründigen Texten nicht auf die Spur.
Denn Köberlein zählt Diebstahl an Diebstahl auf: Als er mit sieben Jahren ein Luftgewehr statt einer Eisenbahn erhielt, und er nicht wusste, was er damit soll, war die Ansage seiner Mutter: »Schiass Frösch«, was die amerikanische Gruppe Kool and The Gang völlig sinnwidrig zu »She´s fresh« (deutsch: sie ist frisch) umtextete und einen Welthit landete. Bei den »Ghost Riders in the Sky« singen alle mit: »Jippieioo, jippieiee«. Es ist der Abgesang auf den fiktiven Franz Mayer, mit ihm »ziad’s en d’Heh«, der der Band den Namen gab.
Bei Köberlein bedient
Aus der Rebellion im Stadion machte Billy Idol unverfroren »Rebell yell« (deutsch: Rebellenruf). Mit jedem weiteren Song wird klar, dass es eigentlich nur so gewesen sein kann, die Welthits entstanden alle im Bad Schussenrieder Umfeld der Heimat Köberleins. Aus »Die schwarze Häx« machten Santana »Black magic woman« (deutsch: schwarze magische Frau). Auch Jethro Tull hat sich bei Köberlein bedient. Denn das Ursprungslied lautete »Halt die Dampflok a«, alias »Locomtotive breath«. »Baker street« der Song von Gerry Rafferty handelt eigentlich von ein paar bekifften Jungs auf der »Weiler Wies«, die irgendwann härtere Drogen nahmen bis zum bitteren Ende.
Es groovt und swingt zwei volle Stunden lang. Routiniert spulen die Fünf ihr außerordentlich kurzweiliges Programm ab. Da »sitzt« und »passt« wirklich alles. Die Stimmung ist bestens in der Aula. Und natürlich dürfen die Zugaben nicht fehlen. Diese gibt es am Stück, »denn des ewige rauf ond ronder von der Bühne duat meine alte Knocha ed guad.« So fehlt am Ende auch nicht die große schwäbische Hymne der Schwoifuaß-Ära: »Oinr isch emmer dr Arsch.« (GEA)