PFULLINGEN. »Huftiere fressen Pflanzen, also erschieße ich sie und rette damit den Wald – so funktioniert es nun mal einfach nicht«, sagte Prof. Dr. Dr. Sven Herzog von der Technischen Universität Dresden bei der sehr gut besuchten Hauptversammlung der Kreisjägervereinigung Reutlingen in der Gaststätte Südbahnhof. Der Vortrag des europaweit renommierten Experten für die Waldentwicklung drehte sich um den Konflikt Wald-Tier, den es nach Herzog grundsätzlich gar nicht gibt.
Noch 1971 habe der Umweltjournalist Horst Stern gefordert, gegen die sogenannte Fraßeinwirkung im Wald »dringlich den Hirsch zu schießen«. Doch Wildtiere seien natürlicher Bestandteil des mitteleuropäischen Waldökosystems. »Es gab immer Tiere im Wald, die sich von ihm ernähren und ein enormes Maß an Biodiversität schaffen.« Gleichzeitig hätten Menschen am Wald ein legitimes Interesse. »Waldbesucher, Jäger, Förster, Landwirte, Naturschützer, Sportler oder Touristen – sie alle haben unterschiedliche Formen der Waldnutzung.« Es seien vor allem die großflächige Landwirtschaft und der Verkehr, die den Lebensraum aller Wildarten immer mehr beschnitten. Der Wald sei ein System, in dem viele Faktoren zusammenwirkten und verantwortungsvoll beobachtet und berücksichtigt werden müssten.
Der Wald als CO2-Speicher
»Hinsichtlich des Klimawandels wissen wir nicht wirklich, was auf uns zukommt«, sagte Herzog. Die Forstwirtschaft sei ein langfristiger Prozess, man müsse »in Jahrhunderten denken«. Nicht zuletzt seien Wälder neben den Weltmeeren die wichtigsten CO2-Speicher. Es müssten Bäume gefunden werden, die den Klimawandel überlebten. Trockenheit und Borkenkäfer richteten Schäden an. »Wo sind die langfristigen Strategien?« Wälder könnten nur dann beim Klimaschutz helfen, wenn sie überlebten. Daher werde das Thema »Wald und Wild« das geringste Problem der Forstwirtschaft in den nächsten 20 Jahren sein.
Mehr Tiere zu schießen, wenn die Fressschäden zunähmen, sei nicht die Lösung. Stattdessen solle man berücksichtigen, ob das Wild ausreichend Ruhezonen und Ruhezeiten habe. »Derzeit gibt es die Tendenz zu längeren Jagdzeiten. Doch wenn man die Tiere zwingt, sich mehr zu bewegen, dann fressen sie auch mehr. Und was haben sie im Winter zu fressen? Reicht die Fläche mit Nahrung?« Im Forstbetrieb all dies zu beobachten und richtig einzuschätzen, sei »richtige Arbeit und kein Spaß«.
Dass der Wolf kommt, ist keine Frage
Dass der Wolf auch in unsere Region komme, sei »keine Frage«. Er reguliere den Rehwildbestand nicht, doch wenn er nicht genug Beutetiere vorfinde, halte er sich an Nutztiere. Derzeit werde erforscht, wie das Wild sich in Wolfgebieten verhalte. »Das Wild gewöhnt sich an den Wolf und lernt beispielsweise zu erkennen, ob er grad hungrig ist.« Wichtig sei, alte Glaubenssätze zu vergessen und die Opferrolle zu verlassen. »Neu denken, aktiv gestalten und dies im gegenseitigen Respekt von Jägern und Forst.« Anschließend startete Kreisjägermeister Marc Weiß die Diskussionsrunde. (GEA)