PFULLINGEN. Die Postkarten, die Cornelia Gekeler sich an ihren Arbeitsplatz im Pfullinger Rathaus 1 geheftet hat, sind vermutlich bezeichnender als jede Stellenbeschreibung es sein könnte: »Das Problem will ich nicht, zeig mir das nächste«, steht etwa auf einer der Karten. »Stolpere nicht über Dinge, die hinter dir liegen« auf einer weiteren. Und dann wären da noch: »Fehlt nur noch das Zelt, dann wäre der Zirkus hier komplett« und: »Hier kann jeder machen, was ich will.«
Seit fast 25 Jahren ist Cornelia Gekeler Assistentin des Bürgermeisters im Pfullinger Rathaus. Wer etwas vom Stadtoberhaupt möchte, der landet zunächst bei ihr – sei es nun am Telefon oder persönlich im Vorzimmer des Bürgermeisterbüros. Nach einem knappen Vierteljahrhundert ist nun aber Schluss. Die 62-Jährige verabschiedet sich zunächst in die Altersteilzeit und anschließend in den Ruhestand, der heutige Dienstag ist ihr letzter Arbeitstag.
Doch der Abschied fällt ihr nicht leicht. Auch nach 25 Jahren im Pfullinger Rathaus sagt Gekeler: »Ich lieb’ diesen Job.« Und das glaubt man ihr. Beim Gesprächstermin bleibt die Tür geöffnet – es könnte ja sein, dass jemand im Vorzimmer erscheint und etwas möchte. Das mobile Telefon bleibt ebenfalls griffbereit – und klingelt prompt. Ein Bürger mit einer Frage bezüglich seines Ehejubiläums. Nach einem kurzen Telefonat setzt sich Gekeler wieder an den Tisch. »Das Wuselige, Stressige wird mir fehlen.«
»Ich sagte: Ich liebe Herausforderungen – fordern Sie mich«
Es ist 1999, als Gekeler im Reutlinger General-Anzeiger die Annonce sieht, dass der damalige Pfullinger Bürgermeister Rudolf Heß eine Assistentin sucht. Nach einer kaufmännischen Ausbildung bei der ehemaligen Pfullinger Strickwarenfirma Freya arbeitet sie zu diesem Zeitpunkt bei der Innungskrankenkasse in Reutlingen. »Ich wollte mich damals beruflich verändern«, erinnert sich Gekeler. An das Vorstellungsgespräch mit Rudolf Heß erinnert sie sich noch gut. Vor allem an den einen Satz, der ihr die Stelle letztlich eingebracht hat, davon ist Gekeler noch heute überzeugt. Heß habe sie damals gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, auch unter Stress zu arbeiten: »Da hab’ ich gesagt: Ich liebe Herausforderungen – fordern sie mich.« Zum 1. Oktober 1999 trat sie ihren Dienst im Vorzimmer des Bürgermeisters an.
Und wurde mit den Heimattagen, die in jenem Jahr von Pfullingen ausgerichtet wurden, direkt ins kalte Wasser geworfen. Die erste Zeit im neuen Job sei für sie ein echtes »Aha-Erlebnis« gewesen, sagt Gekeler, die damals eher eine schreiblastige Tätigkeit erwartet hatte. »Wie vielfältig dieser Job ist, das wusste ich damals noch nicht.« Doch genau das ist es, was ihr bis heute gut gefällt. Als Assistentin des Bürgermeisters organisiert Gekeler Empfänge, Tagungen und weitere Veranstaltungen, kümmert sich um die Jubilarehrungen und ist als Ansprechperson quasi im Dauerkontakt mit den Pfullinger Bürgern, hilft ihnen bei kleinen oder auch größeren Anliegen weiter. »Manchmal geht es aber auch einfach ums Zuhören«, sagt sie. Noch ein Punkt, der ihr an ihrem Job über all die Jahre so gut gefallen hat: das aufmerksame Beobachten und dann daraus Schlüsse ziehen.
Es ist ein Job, für den es aus ihrer Sicht nicht nur Empathie und Geduld braucht, sondern vor allem eines: »Einen Tanklastzug voll Gelassenheit.« Immer wieder sei sie während ihrer Zeit im Bürgermeisteramt auch mit sehr unschönen Anrufen konfrontiert worden. Auch verbale Angriffe vor Ort hat sie erlebt. Das alles nicht persönlich zu nehmen, habe sie erst lernen müssen. Ebenso ein Gespräch im Bedarfsfall auch mal selbstbewusst zu beenden. »Ich bin sehr tolerant, aber auch für mich gibt’s eine Grenze.« Generell seien die Menschen in den vergangenen Jahren »fordernder« geworden, so der Eindruck Gekelers. »Die Hemmschwelle, verbal zu entgleisen«, habe abgenommen, sagt sie. Auf der anderen Seite gebe es aber auch häufig sehr freundliche Kontakte und Menschen, die sich bedankten.
»Der Chef soll spüren, dass ich voll hinter ihm stehe«
In den fast 25 Jahren hat Gekeler aber nicht nur mit unzähligen Bürgern Kontakt gehabt und teils tiefe Einblicke in deren Lebensumstände erhalten. Von Rudolf Heß über Michael Schrenk und seinen Stellvertreter Martin Fink bis hin zu Stefan Wörner hat sie während ihrer Jahre im Pfullinger Rathaus insgesamt vier verschiedene Chefs gehabt. Worauf kommt’s an, bei der so engen Zusammenarbeit mit doch ganz unterschiedlichen Charakteren? »Vertrauen, Verschwiegenheit und Loyalität«, sagt Gekeler ohne groß nachzudenken. »Der Chef soll spüren, dass ich voll hinter ihm stehe.«
Sie sei grundsätzlich immer bereit gewesen, sich der Arbeitsweise und dem Charakter des jeweiligen Gemeindeoberhaupts bis zu einem gewissen Punkt anzupassen, sagt die 62-Jährige. Von einem Leitspruch sei sie aber während all der Jahre nicht abgewichen – auch nicht während der schwierigen Zeiten: »Ich beuge mich, aber ich breche nicht – das hat mir in gewissen Zeiten doch sehr geholfen.« Ebenso die große Kollegialität innerhalb der Rathauses sowie der Rückhalt aus der Bevölkerung und des Gemeinderats, den sie erfahren habe. Mit ihrem aktuellen Chef Stefan Wörner, da sei sie aber sowieso von Anfang an »auf einer Wellenlänge gewesen«, sagt Gekeler. »Das war wie gesucht und gefunden.«
»Ich liebe es, unter Stress zu arbeiten – das ist mein Powerriegel«
Sie sei grundsätzlich ein Mensch, der Neuem sehr offen gegenüberstehe. Auch deshalb findet sie es ein bisschen schade, dass sie das Großprojekt Rathausergänzungsbau nicht mehr als Mitarbeiterin in Augenschein nehmen kann. »Das wäre schön gewesen – aber irgendwann muss man einfach einen Schlussstrich ziehen.«
Und den sieht Gekeler nun gekommen. Wenngleich ihr der Job, der Druck, immer wieder auf ein bestimmtes Ziel oder eine Deadline hinzuarbeiten, fehlen wird: »Ich liebe es unter Stress zu arbeiten – das ist mein Powerriegel.« Doch damit dürfen sich ab sofort Gekelers Nachfolgerinnen Nadine Bogdanovic und Sigrun Hutzenlaub, die sich künftig die Zuständigkeiten für das Büro des Bürgermeisters teilen werden, beschäftigen.
Für die nun anstehende »gelassenere« Lebensphase hat die gebürtige Münsingerin, die als Schulkind nach Pfullingen kam, schon Pläne: Touren mit dem Fahrrad, VHS-Kurse besuchen (»Mal gucken, was das Programmheft so hergibt«) und vor allem, die gewonnene freie Zeit gemeinsam mit ihrem Mann genießen. Auch das Lesen steht auf ihrer To-do-Liste, denn das sei während des fordernden Joballtags doch immer wieder zu kurz gekommen. Nun freut sie sich auf »furchtbar blutrünstige Krimis oder romantische Romane«. Dazu Reisen, nach Frankreich oder Italien etwa. Denn als Enkelin eines Italieners trage sie eigentlich ein gutes Stück Italien »im Herzen«, auch die italienische Sprache habe es ihr angetan. Und auch wenn sie nun also »Ciao« sagt, das Pfullinger Rathaus, das wird sie sicherlich noch das eine oder andere Mal besuchen. (GEA)