ENINGEN/REUTLINGEN. Das hätte der Angeklagte wohl lieber bleiben lassen: Als der Staatsanwalt zu seinem Plädoyer ansetzte, rastete der Beschuldigte völlig aus, schrie und wollte aus dem Gerichtssaal fliehen. Auch seine beiden Kronzeugen setzten aus dem Zuschauerraum heraus lautstark an, das Gericht zu beschimpfen. Vorsitzender Richter Eberhard Hausch musste erst mittels von zwei Wachtmeistern wieder für Ordnung sorgen, damit die Verhandlung vor dem Schöffengericht fortgesetzt werden konnte. Am Ende verurteilte das Gericht den Angeklagten, der wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte noch unter Bewährung steht, wegen Brandstiftung und Besitzes von Sprengstoff zu dreieinhalb Jahren Haft und ließ ihn noch im Gerichtssaal verhaften.
Doch der Reihe nach. Es war am Dienstag der zweite Verhandlungstag in dem Prozess gegen den 43-Jährigen. Er soll Mitte Dezember 2023 in der Eninger Ortsmitte zwei Autos einer Familie in Brand gesteckt haben, weil die Frau besagter Familie ihm ein paar Tage zuvor in einer Diskothek einen Korb gegeben und ihn zudem beleidigt hatte. Als die Polizei im Januar 2024 bei dem späteren Angeklagten zur Hausdurchsuchung anrückte, fand sie etliche Sprengstoffe, die in Deutschland verboten sind.
Wegen Nachermittlungen und weiteren Zeugenbefragungen hatte das Gericht einen weiteren Verhandlungstag angesetzt. Neben einem Sachverständigen des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, der die bei der Hausdurchsuchung gefundenen Sprengstoffe und deren gefährliche Wirkung detailliert auflistete, ging es vor allem auch um die Frage, ob eine Google-Zeitachse auf dem Handy Beweiskraft hat, oder ob diese nachträglich manipuliert werden kann. Der Kriminalhauptkommissar aus Esslingen, der für Datensicherung bei der Kriminalpolizei zuständig ist, konnte dies nicht abschließend beantworten. Dafür aber zeigte Amtsrichter Eberhard Hausch an seinem eigenen Handy, wie eine Zeitachse eben doch manipuliert werden kann, indem man einfach einen anderen Ort markiert. Zudem sei es durchaus möglich, eine Zeitachse noch nachträglich zu verändern, so Hausch.
Die von dem Angeklagten und seinen beiden Freunden für den Tatabend vorgelegte Zeitachse sei deshalb wenig aussagekräftig. Weshalb das Gericht auch diese beiden Freunde, die dem Angeklagten das entscheidende Alibi für den Tatabend gaben, nochmals einbestellte und sie vereidigte. Denn die beiden sagten aus, sie seien mit dem Angeklagten an jenem Abend in einem Billardcafé in Pfullingen gewesen. Der Angeklagte könne für die Tat also gar nicht infrage kommen.
Im Gerichtssaal
Vorsitzender Richter: Eberhard Hausch; Schöffen: Annette Jung, Florian Schultheiß; Staatanwalt: Burkhard Werner; Verteidiger: Achim Unden.
Sowohl bei der Staatsanwaltschaft als auch beim Gericht blieben erhebliche Zweifel an den Aussagen der beiden vereidigten Zeugen. Staatsanwalt Burkhard Werner sagte in seinem Plädoyer, der Angeklagte habe die Brandstiftung an den beiden Autos sogar angekündigt, wie aus einem Chat mit seinem Bruder erkenntlich sei, kaltblütig geplant und dann in die Tat umgesetzt. »Wie Sie vorher im Gerichtssaal reagiert haben, das hat Ihren Charakter offenbart«, so Werner an die Adresse des Angeklagten. Der habe sich durch die Zurückweisung der Frau gedemütigt gefühlt und deshalb die Tat geplant. Dem Gericht habe er zudem manipulierte Zeitachsen und zwei Zeugen präsentiert. »Was diese zwei Zeugen gesagt haben, ist einfach die Unwahrheit.« Die Staatsanwaltschaft forderte deshalb drei Jahre und acht Monate Freiheitsentzug wegen Brandstiftung und Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz.
Verteidiger Achim Unden führte erhebliche Zweifel an der Schuld seines Mandanten an und forderte Freispruch in beiden Anklagepunkten. Sein Mandant habe zwei Zeugen benannt, mit denen er am Tatabend unterwegs war und die sein Alibi bestätigten. »Einfach zu sagen, diese Zeugen sind unglaubwürdig, das ist mir zu kurz gedacht.« Zudem habe man am Tatort keine DNA-Spuren seines Mandanten gefunden. Auch habe sein Mandant mehrfach betont, mit dem Sprengstoff in seinem Haus nichts zu tun zu haben, vielmehr habe ein Freund diesen zu einer Silvesterfeier mitgebracht und beim Angeklagten gelagert.
Richter spricht von eindeutigem Motiv
Das Schöffengericht folgte schließlich in beiden Anklagepunkten der Staatsanwaltschaft und verurteilte den Angeklagten zu dreieinhalb Jahren Haft. »So wie Sie sich hier verhalten haben, wussten wir, dass Sie etwas zu verbergen haben«, sagte Richter Eberhard Hausch in seiner Urteilsbegründung. Erst eineinhalb Jahre nach der Tat sei die Zeitachse auf dem Handy des Angeklagten plötzlich ins Spiel gekommen. Und dazu würden die Zeitachsen auf den Handys der beiden Zeugen nicht übereinstimmen. Den beiden Zeugen, die unter Eid das Alibi des Angeklagten bestätigten, könne man »definitiv nichts glauben«, so Hausch. »Die haben einen Meineid hingelegt«, ist er überzeugt. Zudem gebe es ein eindeutiges Motiv für die Tat, in einem Chat mit dem Bruder habe der Angeklagte die Tat sogar angekündigt. »Es kann nicht sein, dass man die Autos einer Frau abfackelt, nur weil sie einem einen Korb gibt.« Erschwerend komme hinzu, dass der Angeklagte Zeugen beeinflusst habe und ein langes Vorstrafenregister aufweise. Und so erließ das Gericht wegen Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr einen Haftbefehl mit sofortiger Wirkung. (GEA)