PFULLINGEN / REUTLINGEN. Er erinnere sich nicht an die Taten am 4. April 2024 in einem Pfullinger Supermarkt und am gleichen Tag wenige Minuten später bei einem benachbarten Baumarkt. Auch an einen weiteren Diebstahl in der Reutlinger Müller-Galerie am 7. Juni vergangenen Jahres konnte (oder wollte) sich der 45-jährige Angeklagte nicht erinnern, dort hatte er Parfums im Gegenwert von 717,76 Euro mitgehen lassen. Das behauptete der gebürtige Russe am Montag vor dem Amtsgericht in Reutlingen.
Vielleicht stimmt es tatsächlich, dass der schmächtige Mann, der mit Handschellen aus der Untersuchungshaft in den Gerichtssaal geführt wurde, keinerlei Erinnerung an all die Taten hat. Er wirkte wie ein armer Poet mit seiner Brille, fast kahl rasiertem Kopf, Dreitagebart, hagerem Gesicht und ebensolchem Körper. Im Baumarkt wurde er am 4. April von einem Ladendetektiv gestellt. Die Beute hatte der Dieb in einem Rucksack und einer Tasche (im Gesamtwert von 196,70 Euro) zurückgelassen, weil er sonst noch schlechter hätte fliehen können.
Gescheiterte Flucht
Die Sachen, die er beim Einsammeln im Gang durch den Baumarkt in die Taschen seiner Handwerkerhose gestopft hatte, ist er hingegen nicht mehr losgeworden. Die Flucht vor dem Ladendetektiv misslang. Bei einem Gerangel wurde der Detektiv verletzt: Er ging zu Boden, drei Sehnen in Schulter und Arm seien gerissen, berichtete er am Montag im Amtsgericht als Zeuge. Er habe immer noch Schmerzen.
In der Zwischenzeit war an diesem 4. April 2024 die Polizei vor Ort, sie übernahm den Angeklagten, der kurz zuvor noch gewarnt hatte, er habe Hepatitis B und sei ansteckend. Rucksack und Tasche wurden sichergestellt – worin sich allerdings noch eine ganze Menge Dinge befanden, die ganz offensichtlich nicht aus dem Baumarkt stammten: Fleisch, Zigaretten, Sonnenblumenkerne, eine Spritze. Und ein Messer – weswegen der Diebstahl im Baumarkt als bewaffneter Diebstahl gewertet wurde.
Die Polizei ging auf die Suche, wo die Gegenstände herkommen könnten, sie wurde im benachbarten Supermarkt schnell fündig: Dort hatte der Täter vor dem Baumarkt-Raubzug ebenfalls alles Mögliche eingesammelt. »Das war schon ein komischer Vogel«, sagte eine Verkäuferin des Lebensmittelmarkts als Zeugin aus.
Lange Liste von Straftaten
Die Liste der Vorstrafen des 45-Jährigen, die Richter Eberhard Hausch vorlas, war lang. Auf 27 Eintragungen hatte der Angeklagte es seit seinem 19. Lebensjahr gebracht. Die Palette der Taten war breit gestreut: Mehrfach tauchte Diebstahl darin auf, Raub, Erpressung, Hehlerei, Besitz von illegalen Betäubungsmitteln, immer wieder auch Körperverletzung.
Einmal überfiel er gar eine Postfiliale mit einer Pistolen- und einer Bombenattrappe. Die lange Liste der Geld- und Haftstrafen, die er bereits zahlen und absitzen musste, hatten ihn allerdings keines Besseren belehrt. Auch mehrmaliger Entzug und Drogentherapien brachten ihn nicht von seinem Weg ab. Erst als er einen zweiten Anlauf zu einer Ausbildung zum Industriemechaniker tatsächlich durchhielt und einen Abschluss machte, obendrein eine Frau ihn heiratete – da schien er es gepackt zu haben.
Doch irgendwann rutschte er wieder ab, verfiel erneut der Heroin- und Kokainsucht und der damit in Zusammenhang stehenden Beschaffungskriminalität. »Ich bin wegen der Drogen auf die schiefe Bahn geraten«, erklärte der Angeklagte vor Gericht. Er sei gewillt, einen weiteren Anlauf zu nehmen, nochmals einen Entzug zu machen.
Das Gericht glaubte ihm: Zwei Jahre Haft mit der Option einer anschließenden Therapie. Staatsanwalt Valentin Rebstock hatte eine Haftstrafe von drei Jahren gefordert, Rechtsanwalt Anton Frey eine deutlich geringere Strafe. Ob der Verurteilte es dieses Mal schafft? »Sie haben eine erhebliche kriminelle Energie gezeigt und nach wie vor ein ungelöstes Drogenproblem«, mahnte Richter Hausch. (GEA)