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Aktuell Verkehr

Autonome Fahrzeuge: Konkurrenz für die Stadtbahn?

In der Diskussion um die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb werden oft autonome Busse und Shuttles als Zukunft des ÖPNV ins Spiel gebracht. Welchen Beitrag können diese Fahrzeuge leisten, können sie den heutigen ÖPNV, die Regional-Stadbahn ersetzen? Interview mit einem Verkehrs-Experten

Was können autonome Busse und Shuttles zum  ÖPNV der Zukunft beitragen? Christian Klinkhardt  vom Karlsruher Institut  für Techn
Was können autonome Busse und Shuttles zum ÖPNV der Zukunft beitragen? Christian Klinkhardt vom Karlsruher Institut für Technologie forscht dazu und gibt Antworten. Foto: Felix Kästle/ZF Friedrichshafen AG
Was können autonome Busse und Shuttles zum ÖPNV der Zukunft beitragen? Christian Klinkhardt vom Karlsruher Institut für Technologie forscht dazu und gibt Antworten.
Foto: Felix Kästle/ZF Friedrichshafen AG

GEA: Autonome Busse und Autos sind in aller Munde. Wie lange dauert es noch, bis diese in nennenswerter Zahl über deutsche Straßen fahren?

Christian Klinkhardt: Dazu gibt es viele unterschiedliche Schätzungen. Schon seit einigen Jahren wird angekündigt, dass es bald so weit sei. In den Projekten, an denen wir im Rahmen der Begleitforschung des Instituts für Verkehrswesen (IFV) beteiligt sind, nehme ich inzwischen wahr, dass sich langsam tatsächlich etwas bewegt. In fünf bis fünfzehn Jahren denke ich, können wir auch in Deutschland damit rechnen. Natürlich nicht in jedem ländlichen Raum. Das wird sich zu Beginn erstmal auf Modellregionen beschränken.

Viele haben die Erwartung, dass diese Fahrzeuge die Lösung alles Verkehrsprobleme sind. Sehen Sie das auch so?

Klinkhardt: Nein. Die Technik des autonomen Fahrens wird unser Verkehrssystem sicherlich verändern. Im öffentlichen Verkehr wird es ein Baustein sein, der uns enorm hilft, dass dieser noch attraktiver werden kann. Und bei den privaten Fahrzeugen kommt es dann auf die Rahmenbedingungen an, ob solche Fahrzeuge die Verkehrsprobleme sogar noch eher verschärfen. Wir haben Bevölkerungsgruppen, die bisher nicht Auto fahren konnten, weil sie beispielsweise aufgrund des Alters keinen Führerschein haben, die könnten dann künftig auch mit dem privaten Fahrzeug unterwegs sein.

Heißt das, dass das Kind dann selbstständig mit dem Auto zum Kindergarten fährt?

Klinkhardt: Zum Kindergarten vielleicht noch nicht. Aber zur Grundschule, zum Sport oder zum Kino. Und das verursacht mehr Kilometer. Dieses Auto bringt danach dann noch die Eltern ins Theater. Dazwischen muss es aber vom Kino erst wieder nach Hause und dann ins Theater. Wir bekommen dadurch viele Leerkilometer, wenn die Fahrzeuge auch ohne Fahrer unterwegs sein können. Wir gehen zudem davon aus, dass Menschen künftig länger bereit sind, im Auto zu sitzen, weil sie die Zeit darin anders nutzen können. Und all diese Faktoren führen zu mehr Verkehr. Die Frage ist: Schaffen wir es, Rahmenbedingungen zu setzen, dies auch wieder etwas unattraktiver zu machen? Denn diese zusätzlichen Kilometer werden sicherlich zu mehr Stau führen.

Die Effizienzsteigerung, die autonomes Fahren ermöglicht, weil mehr Fahrzeuge auf der gleichen Straße unterwegs sein können, werden zum einen erst in ein paar Jahren auftreten, wenn wir einen sehr hohen Anteil an autonomen Fahrzeugen haben, und auch dann vor allem auf Landstraßen. Aber in der Stadt haben wir durchgängig Kontakt mit dem Rad- und Fußverkehr. Da wir diesen berücksichtigen wollen und müssen, werden sich diese Effizienzgewinne deutlich reduzieren. Und dann können wir bei einer steigenden Fahrleistung auch von mehr Stau ausgehen.

Gehen Sie davon aus, dass der private Pkw vollständig ersetzt werden kann?

Klinkhardt: Das ist natürlich ein Blick in die Glaskugel. Wir gehen, Stand heute, nicht davon aus, dass alle Menschen ihr privates Fahrzeug von sich aus aufgeben. Wir wissen aber auch: Wenn alle Privatfahrzeuge ersetzt würden, könnte viel Fläche anders genutzt werden. Das würde insbesondere in Städten helfen, in denen die Flächenkonkurrenz besonders hoch ist. Es kommt aber darauf an, ob diese Flächen durch die zusätzlichen Leerkilometer und die zusätzlichen Robo-Taxis wieder verbraucht werden.

Und der öffentliche Verkehr?

Klinkhardt: Im Rahmen des Projekts RABus haben wir uns in Friedrichshafen und Mannheim mit dem Einsatz von autonomen Shuttles beschäftigt. Wir gehen davon aus, dass solche Fahrzeuge auf jeden Fall ein relevanter Baustein sein werden, um in Kombination mit dem bestehenden schienengebundenen Verkehr zusammen ein attraktives Gesamtsystem darzustellen. Aber die Vorstellung, dass nachher einfach nur ganz viele kleine autonome Taxis sämtlichen ÖV ersetzen, die wird so nicht funktionieren. Zum einen aus Kostengründen: Wir haben ja weiterhin eine Leitstelle und größere Depots, wir haben Fahrzeughersteller und Softwarehersteller, die damit auch Geld verdienen wollen.

Nur weil das Fahrpersonal nicht mehr benötigt wird, werden diese Fahrzeuge nicht kostenlos fahren. Sie werden sicher etwas günstiger sein, als heute ein Taxi betrieben werden kann. Aber sie werden nicht richtig günstig werden. Und zum anderen verursachen auch diese Fahrzeuge viele zusätzliche Fahrzeugkilometer und ab einer gewissen Menge neuen Stau. Insofern ist klar, dass wir beim öffentlichen Verkehr immer auch auf komfortable größere Gefäße setzen müssen, also Busse und insbesondere Schienenfahrzeuge.

Werde ich in naher Zukunft um 15.32 Uhr ein Fahrzeug bestellen können, das mich pünktlich um 16.15 Uhr bei meinem Zahnarzt abliefern kann?

Klinkhardt: Ja, das geht auch heute schon. Die Frage ist nur, wo? Wir haben beispielsweise in Hamburg das MOIA-System. Da findet das eigentlich genau schon statt. Nur dass MOIA mit Fahrpersonal betrieben wird. Genau so haben wir auch in Stuttgart das SSB Flex im Angebot. Es gibt schon ganz viele Dienste, die diese flexiblen Angebote ermöglichen. Wobei die meisten davon nur nachts oder in den Randgebieten angeboten werden, weil wir es uns gar nicht leisten können, die hohe Nachfrage, die es tagsüber im Ballungsgebiet gibt, mit diesen kleinen Fahrzeugen zu bedienen. Sie schaffen es nicht, so viele unterschiedliche Fahrtwünsche mit einem Fahrzeug zu bedienen, dass sie das Angebot wirklich günstig gestalten können.

Sie haben immer eine schlechtere Auslastung als eine Straßenbahn. Weil sie versuchen, so flexibel zu sein. Dafür machen Sie natürlich ein attraktiveres Angebot. Auf ihre Frage: Wie kommen Sie zum Zahnarzt in einigen Jahren? Das kommt einfach darauf an, wo sie leben. Es wird sicherlich Regionen geben, wo ein um autonome Fahrzeuge ergänzter ÖPNV ein besseres Angebot machen kann und damit attraktiv wird. Aber es wird auch weiterhin Regionen geben, die so ländlich sind, dass der Individualverkehr am Ende effizienter ist, als wenn ein Fahrzeug sie erst abholen muss, dann diese Leerstrecken dazwischen hat und deshalb entsprechend hohe Preise aufruft.

Christian Klinkhardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Verkehrswesen am Karlsruher Institut für Technologie.
Christian Klinkhardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Verkehrswesen am Karlsruher Institut für Technologie. Foto: Privat
Christian Klinkhardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Verkehrswesen am Karlsruher Institut für Technologie.
Foto: Privat

Welche Rolle spielen schienengebundene Systeme angesichts der technologischen Entwicklung für die Mobilität der Zukunft.

Klinkhardt: Wir sehen, dass alle Schienenprojekte in der Art der Regional-Stadtbahn Neckar-Alb, die in den letzten Jahren umgesetzt wurden, die Prognose der Fahrgastnachfrage in der Realität massiv übertroffen haben. Das liegt unter anderem am sogenannten Schienen-Bonus. Das Wort beschreibt, dass wir deutlich lieber in Schienenfahrzeugen sitzen als in Straßenfahrzeugen. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass man im Schienenfahrzeug nur seitliche und horizontale Beschleunigungen hat, aber keine vertikale, weil der Zug eben nicht so federt wie ein Fahrzeug auf der Straße.

Auf der anderen Seite muss einem natürlich klar sein: Wenn man ein gutes Mobilitätsangebot haben möchte, dann muss Geld investiert werden. Umsonst gibt es so ein Stadtbahn-System auf keinen Fall. Wir haben aber eine sogenannte standardisierte Bewertung, die vergleicht, was kostet solch ein Vorhaben und was bringt es uns volkswirtschaftlich.

Zur Person

Christian Klinkhardt (30) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Verkehrswesen (IFV) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Mit einem interdisziplinär angelegten Konzept verfolgt das Institut für Verkehrswesen das Ziel, den Verkehr effizient und nachhaltig zu organisieren. Dies bedeutet für das Miteinander aller Verkehrsmittel, die zur Ortsveränderung von Personen und Gütern zur Verfügung stehen, kurz-, mittel- und langfristig angelegte Prognosen zu entwickeln und darauf die Planung von Mobilitätsangeboten und Verkehrstechnik aufzubauen. Das Institut arbeitet sowohl mit öffentlichen Planungsstellen und Forschungsorganisationen als auch mit entsprechenden Zweigen der Privatindustrie seit vielen Jahren zusammen. Das IFV untersuchte unter anderem im Zuge der wissenschaftlichen Begleitforschung die Nutzerakzeptanz und die verkehrlichen Wirkungen des Einsatzes von automatisierten Kleinbussen in Friedrichshafen. An diesem Projekt war auch Klinkhardt beteiligt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Verkehrsnachfragemodellierung, Verkehrsplanung und die Einbeziehung von Open Data in Verkehrsmodelle. (GEA)

Wir haben aber die Last mit Lärm, Bauarbeiten und viele rasen nur bei uns durch. Wer profitiert von einer Stadtbahn?

Klinkhardt: Im Endeffekt profitieren tatsächlich doch immer alle davon. Da ist zum einen die gestiegene Erreichbarkeit, insbesondere für die Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen kein Auto fahren können oder wollen, da ergibt sich ein massiver Mehrwert. Und auf der anderen Seite steckt eine messbare Verkehrsentlastung dahinter. Man hat weniger Stau. Und es bringt allen Beteiligten etwas, wenn man einen guten öffentlichen Verkehr hat, der gerne genutzt wird. Und der Lärm, der sich dadurch vermeiden lässt, ist eben doch beträchtlich.

Warum Stadtbahn? Unser Bussystem funktioniert doch auch gut?

Klinkhardt: Ich hatte das ja vorhin schon erwähnt: Es gibt diesen sogenannten Schienen-Bonus. Ein gut getaktetes, aufeinander abgestimmtes Schienensystem ist einfach attraktiver – und zieht dadurch ein Vielfaches an Fahrgästen an im Vergleich zu einem ähnlichen Bussystem. Selbst wenn die Fahrzeiten nachher ähnlich sind. Zum anderen: Die Busse stehen natürlich auch im selben Stau wie die Pkw, während die Bahn bis auf einzelne straßengebundene Abschnitte eine höhere Zuverlässigkeit bieten kann. Zuverlässigkeit ist wiederum ein Kernfaktor für einen attraktiven ÖPNV, der dann auch gerne genutzt wird und nicht nur, weil man darauf angewiesen ist.

Was muss aus Ihrer Sicht eine Stadtbahn mitbringen?

Klinkhardt: Also sie muss attraktive Verbindungen anbieten insofern, als sie eine attraktive Reisezeit ermöglicht. Sie sollte eine merkbare Taktung haben, auf die man sich auch verlassen kann. Kurze Wege zur Haltestelle sind ein Thema, das hat sich im Karlsruher Modell erwiesen. Da ist es entscheidend, dass die Züge nicht nur an einem Bahnhof halten, sondern dass sie die Leute tatsächlich in ihrem Stadtviertel abholen und man eine gute Tür-zu-Tür-Reisezeit hat. Ein Kernpunkt ist zudem die Zuverlässigkeit: Dass ich mich dann wirklich darauf verlassen kann, dass ich meinen Anschluss im Zweifelsfall bekomme.

Sicher haben Sie sich auch mit der Regional-Stadtbahn Neckar-Alb beschäftigt. Wie beurteilen Sie das Projekt?

Klinkhardt: Wir haben ein solches System an verschiedenen anderen Orten schon entstehen sehen. Und würden es deswegen in der Summe sehr positiv bewerten. Ich glaube, dass das wirklich eine Chance ist. Die Region kann zusammenwachsen, es entsteht eine Verkehrsentlastung mit positiven Effekten für Umwelt und Klima und diejenigen, die kein Auto fahren können oder wollen, haben eine deutlich höhere Erreichbarkeit, Lebensqualität und soziale Teilhabe. Und ich bin der Meinung, dass sich so ein Stadtbahn-System auch wunderbar mit autonomen Kleinbussen oder autonomen ÖV-Taxis verbinden lässt, die im Zweifelsfall - je nach Region - dann die letzte Meile übernehmen, die ja immer das berühmte Problem des öffentlichen Verkehrs ist. Oder die im Zweifelsfall auch mal dort, wo keine Schienen liegen, Tangentialverbindungen ermöglichen. So lassen sich diese Bausteine wirklich sehr gut zusammenfügen. (GEA)