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Als Herzog Ulrich wütete: Zeitreise in Pfullingens bewegende Geschichte

Mehr als 80 Interessierte lassen sich über die Ergebnisse der Grabung an der Klosterkirche informieren.

Die Grabung an der Pfullinger Klosterkirche offenbarte schon einige Überraschungen zur Geschichte des Klosters.
Die Grabung an der Pfullinger Klosterkirche offenbarte schon einige Überraschungen zur Geschichte des Klosters. Foto: Gabriele Böhm
Die Grabung an der Pfullinger Klosterkirche offenbarte schon einige Überraschungen zur Geschichte des Klosters.
Foto: Gabriele Böhm

PFULLINGEN. Mehr als 80 Interessierte haben die extreme Sommerhitze nicht gescheut und sich an der Grabungsstätte an der Pfullinger Klosterkirche über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Untersuchungen informieren lassen. Dazu hatte die Stadtverwaltung die Bevölkerung eingeladen. Dr. Jonathan Scheschkewitz vom Landesamt für Denkmalpflege, Sascha Schmidt vom fodilus Büro für Archäologie und Grabungstechnik in Rottenburg sowie Michael Kienzle M.A., Mittelalterarchäologe der Uni Tübingen, erläuterten die Grabungen und ihre Ergebnisse.

Metertief hatten die Archäologen im Areal vor dem Kircheneingang gegraben, während nebenan die Presslufthämmer der Baufirma dröhnten. Denn die Grabungen sollten Erkenntnisse zur Historie des ehemaligen Klosters liefern, bevor die Bauarbeiten für die geplanten Anbauten für Aufzug und Treppe sowie den Saal beginnen. Während der Laie nur Mauern, Plateaus, Fensterreste, Ausgleichsschichten und unterschiedlichstes Baumaterial sieht, brachten die Experten Licht in das scheinbare »Durcheinander«.

Rolle der Greifensteiner

Zunächst schilderte Michael Kienzle die Geschichte des ehemaligen Klarissenklosters, das 1252 erstmals urkundlich erwähnt wurde, dessen Ursprünge aber noch im Dunkeln liegen. Zu spärlich sind die Schriftquellen, die jetzt mit den Ergebnissen der Archäologen zusammengeführt werden können. Zwei Edelfrauen, Mechthild und Irmel, sollen das Kloster gegründet haben. »Doch aus welcher Familie stammten sie?«, fragte Kienzle. Ein älteres und ein jüngeres Pfullinger Adelsgeschlecht sowie die Ministerialen von Rempen kommen theoretisch in Frage. Doch es »knirscht« in der Geschichte, die Bruchstücke passen nicht wirklich zueinander.

An dieser Stelle brachte Kienzle die Greifensteiner ins Spiel, die vom späten 12. Jahrhundert an in Pfullingen viel gestalteten und nachweislich mit dem Kloster in Kontakt standen. Als Initiator und Leiter des Greifenstein-Projekts erforscht der Mittelalterarchäologe seit Jahren die Geschichte der lang als Raubritter verschrienen Adligen und hofft, damit auch der frühen Klostergeschichte auf die Spur zu kommen.

Entdeckt worden sind bei den Grabungen unter der Leitung von Elisa Desaymonet bereits die Verlängerung der aktuell sichtbaren Klostermauer – die auch das berühmte Sprechgitter enthält – und ein Pflaster aus dem 15. Jahrhundert, über das mit Sicherheit schon die Nonnen gelaufen sind. Darunter ist ein noch älteres Pflaster aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert gefunden worden, das zur Freude der Archäologen erhalten werden kann. »Echtes Mittelalter« erwartet Sascha Schmidt auch unter den modernen Betonsteinen: Ihrer Entfernung fiebert er entgegen.

Die größte Sensation ist für die Experten jedoch der sichtbare Rückbau der Kirche zur Zeit von Herzog Ulrich. Rigoros ließ er einen Teil des Langhauses sowie den Chor entfernen, der den Altar mit Heiligenreliquien und vermutlich auch die Gräber verehrter Stifter enthielt. »Dieses Wüten war ein politisches Statement«, sagte Schmidt. »Der Herzog wollte den Papisten zeigen, wo der Hammer hängt.« Die heutige Kirche sei nur noch ein Rudiment eines einst viel imposanteren Gebäudes. Seine schiere Größe sei, wie Schmidt erklärte, kaum mit dem Armutsgelübde des Klarissenordens zu vereinbaren. Doch das Kloster wurde wertgeschätzt und erhielt viele Stiftungen.

Steine als Baumaterial

Die heutige »Restkirche« mit ihrer hohen, schmalen Form könnte, so vermutet Schmidt, identisch sein mit dem »Turm«, den eine Schriftquelle erwähnt. Das verbliebene Kirchenschiff wurde im 16. Jahrhundert mit einer Fachwerkwand »zugedeckelt« und vermutlich profan genutzt. Denn Herzog Ulrich hatte auch das Kloster aufgelöst, nachdem seine Idee, den Nonnen das reformierte Gedankengut nahezubringen, gescheitert war. Ohnehin war auf dem Klosterareal, wie historische Karten und Baubefunde zeigen, sehr viel abgebrochen worden.

Bei der Grabung sei nicht ein einziger behauener Sandstein des Chors gefunden worden, führte Schmidt weiter aus. »Daher kann angenommen werden, dass das begehrte Baumaterial bei anderen Bauprojekten des Herzogs, beispielsweise in Urach, eingesetzt wurde.« Direkt vor der Kirche findet sich das Rudiment eines sorgfältig behauenen Fenstergewändes in einer verputzten Wand. »Hier sind wir gefordert, herauszufinden, ob es aus dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit stammt.« Damit steigen oder fallen die Chancen der Erhaltung. Das Mauerwerk im Umfeld reicht bis auf den Echazkies noch etwa anderthalb Meter weiter hinunter, als aktuell zu sehen ist.

Nach dem radikalen Abbruch des Chors hatte Herzog Ulrich möglicherweise andere Pläne mit dem Gelände. Mit einer neuen Mauer und einem Graben dachte er wohl an einen Wehrbau. Mindestens zehn Bauphasen haben die Archäologen inzwischen festgestellt. Gefunden wurden ordentlich aufgebaute Mauern ebenso wie Werke von »Hobbymaurern« sowie Abgerissenes, Umgekipptes und Versetztes. »Viele haben hier herumgebaut«, sagt Schmidt. »Wir haben hier nicht ein geplantes Sanssoucis, sondern viele Ideen.« Um 1900 schließlich wurde ein Park angelegt, für den ein Brunnenloch mit einem runden Mühlstein verschlossen wurde.

Gefunden wurden zudem Tonscherben aus dem 11./12. Jahrhundert, aber auch aus dem Spätmittelalter. Für Scheschkewitz ist dies besonders spannend, beweist es doch, dass es bereits in der vorklösterlichen Zeit bauliche Strukturen an dieser Stelle gab. Ofenkacheln, die gefunden wurden, weisen auf einen gehobenen Lebensstandard hin. »Die spartanische Klarissenregel aus dem mediterranen Raum wurde offensichtlich an die kühleren Temperaturen bei uns angepasst.« (GEA)

 

www.greifenstein-projekt.de