HÜLBEN. Die Probleme in der Daseinsvorsorge sind in ländlichen Regionen groß: In Dörfern gibt es kaum noch Läden, Praxen finden keine Nachfolger und der demografische Wandel wirkt sich vor allem auf das Thema Pflege aus. Hülben hat reagiert und dabei ein spezielles Mittel zum Gegensteuern gewählt: Die Kommune gründete Genossenschaften, vier sind‘s inzwischen und eine fünfte soll auf den Weg gebracht werden.
Das kleine Hülben mit seinen gerade mal knapp 3200 Einwohnern hat dadurch eine Vorreiterrolle in Baden-Württemberg eingenommen, das ist auch in Stuttgart durchaus bekannt. Und so machte der baden-württembergische Sozial- und Gesundheitsminister Manfred »Manne« Lucha im Rahmen seiner Sommertour in dem kleinen Albdorf Station, um es nach anderthalb Stunden begeistert und viel Lob spendend wieder zu verlassen: »Danke für den tollen Termin.« Hülben sei ein gutes Beispiel dafür, dass das Gemeinwesen durchaus funktioniere und die Gesellschaft engagiert sei. »Wir bekommen etwas hin und müssen raus aus dem Jammertal«, erklärte er. »Die Stimmung ist schlechter als die Lage.«
Genossenschaften weiter vorantreiben
Gleichwohl nehme er nicht nur Daten. Fakten und Zahlen ins Ministerium zurück, sondern zu erledigende Aufgaben. »Wir brauchen keine größeren Fördertöpfe, sondern leichtere Zugänge für kleinere Einheiten«, machte Bürgermeister Siegmund Ganser deutlich und klagte über die Bürokratie, die vieles erschwere. Man brauche laut Lucha in der Tat einen Paradigmenwechsel, Zugänge zu Fördertöpfen müssten niedriger und einfacher gestaltet werden - man müsse zu einer Vertrauenskultur übergehen. Wichtig sei auch, die Idee der Genossenschaften weiter voranzutreiben: »Ich hoffe, wir schaffen einen Schub.« Denn, so seine Erkenntnis: »Genossen sind die besten Qualitätskontrolleure.«
Für Bürgermeister Ganser sind Genossenschaften vor allem eine gute und zukunftsorientierte Alternative, weil sie flexibel, transparent, wertschöpfend und gemeinwesenorientiert seien. Das konnten Anja Roth, Bereichsleiterin Interessenvertretung beim Landesgenossenschaftsverband BWVG, und Fachgebietskoordinatorin Bettina Maier-Augenstein nur bestätigen, bei Genossenschaften handele es sich um eine sehr demokratische Rechts- und Unternehmensform. Die Selbsthilfe stehe im Vordergrund, die Insolvenzquote zähle zu den niedrigsten und was wichtig sei: Jedes Mitglied habe eine Stimme.
Vorzeigeobjekt medizinische Versorgung
Bereits 2010 war Hülben mit der Gründung einer Energiegenossenschaft Vorreiter, derzeit hat sie 110 Mitglieder. Demnächst werde, so Gansers Auskunft, eine der größten Freiflächenphotovoltaikanlagen auf Hülbener Gemarkung realisiert. Als ein Erfolgsmodell hat sich der Dorfladen erwiesen, 210 Mitglieder zählt die Genossenschaft. Im vergangenen Jahr wurden 500 000 Euro Umsatz erwirtschaftet: »Wir können uns sehen lassen«, meinte der Bürgermeister, dennoch schreibe der Dorfladen im siebten Jahr knapp schwarze Zahlen. Es stecke viel Herzblut in der Arbeit, aber man konkurriere auch mit den großen Supermarktketten.
Ein weiteres Vorzeigeobjekt, so Ganser, sei seit 2021 die genossenschaftliche Organisation des medizinischen Versorgungszentrums Vordere Alb. Genossenschaftler sind die Gemeinden Hülben, Grabenstetten und Erkenbrechtsweiler: »Das ist die erste Gründung, an der ausschließlich Kommunen beteiligt sind«, unterstreicht Martin Felger von der Firma Diomedes – ihr obliegt die Geschäftsführung. Auf diesem Weg sei die bestehende Arztpraxis in Hülben, die keinen Nachfolger gefunden hat, in die Zukunft geführt worden.
Die Praxis soll in die Ortsmitte ins Haus der Gesundheit ziehen, für das bereits eine Baugenehmigung existiert. Doch das Projekt sei laut Ganser ins Stocken geraten: Das Gebäude soll, so der Wunsch der Gemeinde, nämlich nicht von privaten Investoren gebaut werden. Aber die Kommune selbst dürfe es aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht – hier soll’s eine Baubürger-Genossenschaft richten. Noch sei laut Philip Constantin Müller, Projektleiter des geplanten Pflegehotels, das Interesse zurückhaltend. Dabei sei die Beteiligung an Genossenschaften die sicherste, solidarische und ehrlichste Form. Dafür zu werben sei eine Aufgabe der Politik, so seine Forderung. Die nehme er gerne auf, erklärte Sozial- und Gesundheitsminister Lucha: Man werde die Verständnistrommel noch besser und lauter schlagen. »Wir sind jedenfalls auf dem richtigen und innovativen Weg«, machte Bürgermeister Ganser deutlich. (GEA)