METZINGEN. Wegen schweren sexuellen Missbrauchs seiner Stieftochter muss sich seit Mitte Januar ein 54-jähriger Mann, der in der Zeit um 2010 herum mehrere Jahre mit seiner Familie in Metzingen gelebt hat, vor dem Tübinger Landgericht verantworten. Jetzt sagten vor der Strafkammer eine seiner leiblichen Töchter wie auch seine Ex-Frau, die Mutter des mutmaßlichen Opfers, aus. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft hat der Angeklagte bisher bestritten.
Vor allem der Auftritt der 44-jährigen Mutter jetzt vor Gericht war sehr eindrücklich. Die Frau stammt aus Kamerun und war 2006 nach Deutschland gekommen. Ihren Mann lernte sie über eine Dating-Plattform im Internet kennen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits eine Tochter aus einer anderen Beziehung. Das Mädchen war 2002 in Kamerun zur Welt gekommen.
Mutter: Nichts vom mutmaßlichen Missbrauch mitbekommen
Die Frau zog mit ihrer deutschen Internetbekanntschaft 2009 nach Metzingen. In dieser Zeit holte sie dann auch ihre Tochter aus Kamerun nach Deutschland. Mit ihrem deutschen Partner bekam sie noch zwei weitere Kinder. Bereits in Metzingen knirschte es aber in der Beziehung. Das Paar war jetzt verheiratet. Die Frau sprach vor Gericht über unterschiedliche Erziehungsauffassungen zwischen ihr und ihrem Mann und beklagte sich, dass ihr Mann damals seine Stieftochter gegenüber den anderen Kindern bevorzugt habe, was zu regelmäßigen Auseinandersetzungen geführt habe.
In Metzingen soll es dann zu dem sexuellen Missbrauch zwischen dem Angeklagten und seiner damals achtjährigen Stieftochter gekommen sein. Von den mutmaßlichen Übergriffen in der Metzinger Wohnung hat die 44-Jährige nichts mitbekommen, sie hätte aber skeptisch werden können. Einmal habe ihre Tochter zu ihr gesagt, ihr Stiefvater habe sie angefasst. Ein anderes Mal kam die Frau überraschend früher nach Hause und fand die Wohnungstür von innen abgeschlossen, was laut ihrer Aussage ungewöhnlich war. Erst nach mehrmaligem Klopfen habe ihr Mann aufgemacht.
Mutter macht sie schwere Vorwürfe
Die 44-Jährige sprach ihre Tochter auf die Vorfälle auch an. Doch das Mädchen wollte offenbar nicht weiter darüber reden und im Fall des Anfassens, habe sich der Mann bei ihr und dem Mädchen entschuldigt. Danach war die Geschichte offenbar im Alltag der Familie untergegangen.
Als die 44-Jährige über diese Erlebnisse vor Gericht berichtete, fing sie zu weinen an. Sie mache sich heute Vorwürfe, dass sie damals nicht stärker nachgefragt und reagiert habe, »ich hätte das alles mehr hinterfragen sollen«. Sie selbst erfuhr von den mutmaßlichen Übergriffen auf ihre Stieftochter erst später, als die inzwischen junge Frau über eine Beratungsstelle zum Jugendamt gekommen war und dort aus ihrer Vergangenheit erzählt hatte. »Erst da habe ich realisiert, was alles passiert ist«, meinte die 44-Jährige.
Tochter: Gewalt war Thema
Die 2007 geborene gemeinsame Tochter der beiden sagte jetzt ebenfalls vor Gericht aus. Wie ihre Mutter bestätigte die heute 17-Jährige, dass der Angeklagte in der Familie auch gewalttätig gewesen sei, geschlagen habe. Als die Familie dann von Metzingen nach Mössingen gezogen war, brach das Familienleben endgültig auseinander, wie die 17-Jährige dem Gericht erzählte. Bei Verwandten habe ihr Vater häufig schlecht über die Mutter gesprochen. »Er hat sie richtig runtergemacht«, so die 17-Jährige. Er habe auch einmal ihre Schwester so geschlagen, dass deren Freund die Polizei geholt habe. Von den sexuellen Übergriffen habe sie aber erst später erfahren.
Inzwischen ist das Ehepaar geschieden und lebt getrennt. Die 17-jährige Tochter wohnt bei ihrer Mutter, die eine Ausbildung als Erzieherin gemacht hat. »Zu meinem Vater habe ich keinen Kontakt mehr. Ich wollte einfach nicht mehr«, erklärte sie vor Gericht. (GEA)
Im Gerichtssaal
Gericht: Armin Ernst (Vorsitzender Richter), Julia Merkle. Schöffen: Christoph Beck, Barbara Keppler. Staatsanwaltschaft: Rotraud Hölscher. Verteidiger: Michael Erath. Nebenklagevertreterin: Marie-Luise Dumoulins.