RÖMERSTEIN-DONNSTETTEN. Immer wieder stehen Spaziergänger grübelnd vor einem großen rechteckigen Betonklotz, der sich in einem Wandstück in der Nähe des Donnstetter Sportplatzes befindet. Nein, es ist kein Luftschutzbunker, wie die meisten vermuten. Es ist ein Wasserhochbehälter für eine einst streng geheime militärische Anlage, die sich dort vor 80 Jahren unterhalb des markanten Bauwerks in einer Senke befunden hat.
Während des Zweiten Weltkrieges gab es im Deutschen Reich und in den umliegenden, von der Wehrmacht besetzten Ländern ein Netz von Peilstationen. Das sogenannte Y-Verfahren kam zur Ortung eigener Flugzeuge und für den Funksprechverkehr zum Einsatz. Von den Jägermessstellen der Reichsluftabwehr konnten die eigenen Jagdflugzeuge auch nachts zu feindlichen Verbänden geleitet werden, um deren Bomber abzuschießen. Mit diesen Anlagen war die Reichsluftwaffe in der Lage, eigene von alliierten Flugzeugen zu unterscheiden.
Eine dieser sogenannten Jägermessstellen richtet das Militär im Herbst 1943 in der Waldsenke im Gewann »Eichhalde« ein, die sich geschützt unterhalb der Rechtskurve entlang der L 252 zwischen Donnstetten (Kreis Reutlingen) und Westerheim (Alb-Donau-Kreis) befindet.
Griechischer Dichter als Vorbild
Die Jägermessstellung hat den Decknamen »Aesop« und ist die einzige in Württemberg. Aesop war ein griechischer Dichter aus der Antike, der Fabeln und Gleichnisse verfasste. Nicht nur deutsche, auch belgische Arbeiter waren am Bau der Gebäude im Wald beteiligt. Die nächsten Y-Stellungen befinden sich in etwa 150 Kilometer Entfernung.
Oberhalb der Senke errichteten russische Kriegsgefangene den besagten Hochbehälter, der sein Wasser über eine Leitung aus dem Donnstetter Gemeindebrunnen heraufgepumpt bekommt. Außerdem entstehen Unterkunftsbaracken für die Soldaten und die dort beschäftigten Frauen, eine Energiestation, ein Notstromgebäude, eine Wirtschaftsbaracke mit Küche, Speisesaal und Kantine sowie eine Wasch-, eine Küchen- und eine Abortbaracke. Zudem erhält die sogenannte Y-Stellung eine betonierte Löschwasserzisterne unter freiem Himmel, eine Kläranlage sowie Munitionsbunker.

Die »Aesop«-Stellung in Donnstetten besteht anfangs aus vier sogenannten selbst ständigen Y-Stationen, auch Funksendeanlage 733 (FuSAn 733) genannt. Dabei handelt es sich um ein Netz von Richtfunkstationen, die einander zugeordnet sind. Zu einer Station gehört der Entfernungsmess-Sender mit dem Namen Hans (Antennenmast mit eigener Sendebaracke), außerdem der knapp 25 Meter hohe Peilerturm Heinrich mit Peil-Antennensystem.
Auf dem erhöhten Gelände oberhalb von »Aesop« befindet sich im Gewann »Auf Beuren« (851 Meter über NN) eine FuSAn 733. Auf vier Fundamenten aus Beton steht das »Heinrich«-Holzgerüst mit mehreren Etagen und seitlichen Verstrebungen. Es hat auf der obersten Plattform eine kleine Hütte, auf dem Dach befindet sich die drehbare Antennenanlage.
Russische Kriegsgefangene
Die drei anderen FuSAn 733 stehen strahlenförmig um die sogenannte T-Baracke in einem Radius von nicht mehr als 300 Metern. Eine befindet sich westlich des Auffüllplatzes Eichhalde, eine andere im Gewann »Auf Wachter« und eine weitere östlich von »Aesop«.
In Donnstetten stationiert ist zuerst die 5. Funkleitkompanie des Luftnachrichtenregiments 215, bevor sie ein Jahr später in die 14. Jägerleitkompanie des 5. Luftnachrichtenregiments 217 umbenannt wird. Sie untersteht der 7. Jagddivision »Minotaurus« in Bayern, die als Leitstelle für die Tag- und Nachtjagd im süddeutschen Raum operiert.
Die »Aesop«-Kompanieführung weist die sogenannten »Arbeitsmaiden«, »Arbeitsmädchen« beziehungsweise »Blitzweiber«, die einen gelben Blitz-Aufnäher auf der Uniform tragen, in die technischen Abläufe der Tag- und Nachtjagd ein. Junge Frauen übernehmen diese Aufgaben, da die meisten Männer im Krieg sind.
Die Frauen des Reichsarbeitsdienstes (RAD) bedienen zeitweise die Geräte und werten Messergebnisse aus. Alten Unterlagen ist zu entnehmen, dass dort rund 150 Menschen tätig sind. Zehn bis zwanzig Prozent sind Soldaten, der Rest Wehrmachtshelferinnen.
Soldaten und Blitzmädchen
Für die Bevölkerung ist das »Aesop«-Gelände tabu. Die Wehrmacht-Soldaten drohen all denen mit der Todesstrafe, die der Jägermessstellung zu nahe kommen. Mitte 1944 ist hinter vorgehaltener Hand zu hören, dass die fünfte und letzte Funksendeanlage 733 im Gewann »Hinter Wachter« im Bau sei. Sie kommt nicht mehr zum Einsatz, da am 21. April 1945 US-amerikanische Truppen von Westerheim Richtung Donnstetten vorrücken. Die Soldaten und die »Blitzmädchen« haben bereits vor Tagen »Aesop« verlassen. Zuvor hatten sie noch die Gerätschaften zerstört. Beim Rückzug der Wehrmacht wird auch der Eingang zur Burkhardts-Höhle auf Westerheimer Markung gesprengt, die sich in knapp zwei Kilometer Luftlinie Entfernung in nordöstlicher Richtung von »Aesop« befindet. Dort hatte das deutsche Militär Munition gelagert.
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg holen sich Bürger von Donnstetten und Westerheim das Holz der zerstörten Baracken und Türme. Sie nehmen alles, was nicht niet- und nagelfest ist, mit für den Eigenbedarf. Nicht nur Bretter, Bodendielen und Balken, sondern auch zurückgelassene Lebensmittel, Einrichtungsgegenstände, Kraftstoff, Lampen und Ziegel.
Danach gerät die einstige Militäreinrichtung in Vergessenheit. Erst im vergangenen Jahrzehnt rückt »Aesop« wieder in das Gedächtnis von Sammlern und Einheimischen zurück, die sich in der »Stellung« umsehen, wie die Donnstetter die ehemalige Jägermessstelle nennen.
Unter Ästen und Laub finden sie Leichtmetallschrott und andere Gegenstände. So zum Beispiel Elektroleitungen, teilweise gummiisoliert, wie sie in Geräten, Fahrzeugen oder Flugzeugen verwendet wurden. Die dicken, schwarz isolierten Leitungen, sind typisch für Installationen in Gebäuden und Verlegung im Boden. Die Leitungen sind mit einem teergetränkten Gewebe isoliert, ein dünnes Bleirohr schützte sie vor mechanischer Beschädigung.
Schätze im Boden
Zudem liegen auf dem Boden Porzellanscherben, die nach elektrischen Isolatoren aussehen. Weitere »Erinnerungsstücke« kommen zum Vorschein, als vor Jahren der damalige Donnstetter Ortsvorsteher Herrmann Claß dort eine Markungsputzete initiiert. Zwischendurch finden Einheimische Tassen, Besteck, Schöpfkellen und Suppenteller. Auf einigen Gegenständen ist der Herstellungsstempel Fl.U.V (Flieger Unterkunfts-Verwaltung) sowie das Hoheitsabzeichen der Luftwaffe der Wehrmacht abgebildet.
Heute erinnern – außer dem erwähnten Wasserspeicher – noch ein paar betonierte Fundamente in der Waldsenke, quadratische Betonvertiefungen und die mit Ästen befüllte Löschwasserzisterne an die ehemalige Jägermessstelle. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, parallel zur L 252, sind auf der Anhöhe im Gewann »Auf Beuren« noch vier 90 x 100 Zentimeter große Fundamente auszumachen, auf denen der Peilturm »Heinrich« stand. Auch die Sockel des zweiten Turms in rund 300 Metern östlicher Entfernung sind zwischen Buchen und ein paar Fichten und Ahornbäumen auszumachen. Die Fundamente der anderen drei Türme wurden während der Flurbereinigung Mitte der 1990er-Jahre entfernt. (GEA)