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Von der Lippe in Metzingen: Der politischen Korrektheit getrotzt

Jürgen von der Lippe liest in der vollbesetzen Stadthalle aus seinem neuen Buch »Sextextsextett«

Niemand sonst trägt Hawaiihemden stilvoller auf der Bühne als Jürgen von der Lippe.  FOTO: RUOF
Niemand sonst trägt Hawaiihemden stilvoller auf der Bühne als Jürgen von der Lippe. FOTO: RUOF
Niemand sonst trägt Hawaiihemden stilvoller auf der Bühne als Jürgen von der Lippe. FOTO: RUOF

METZINGEN. Vermutlich auf leere Stühle hätten die Veranstalter in der Metzinger Stadthalle geblickt, wenn sie eine Lesung mit Hans-Jürgen Dohrenkamp angekündigt hätten. Der Mann, der unter diesem Namen im Juni 1948 in Bad Salzuflen geboren wurde, der Germanist im Hawaiihemd wie er auch genannt wird, führt den jedoch den Namen Jürgen von der Lippe. Er hat den Nachnamen von seiner Mutter übernommen, die aus dem Lippe stammen soll.

Er ist ein deutsches Phänomen – ob als Dauergast im TV mit Shows wie »So isses« oder »Donnerlippchen«, die allesamt Renner waren oder er füllt als Solist die Theatersäle der Republik. »Ich bin zum ersten Mal hier, sie auch?« begrüßt Jürgen von der Lippe in seinem klassischen Outfit die Zuschauer, die alterstechnisch im mittleren Segment anzusiedeln sind.

Seine Thema an diesem Abend sind die zwei großen S: Sex und Sprache. Und er beginnt gleich mit dem Jugendwort des Jahres 2025: »das crazy«. Neben der sprachlichen Verballhornung fällt ihm dazu sofort ein, warum ein mehrfacher Lottomillionär ein Jahr gewartet hat, bis er seinen Gewinn abholte: »Der hat sich vorher in Ruhe in scheiden lassen – das crazy.«

Kritik an Ampel-Regierung

Wer sein Buch "Sextextsextett" nicht nur in die Hand nimmt, sondern auch liest, wird es unterhaltsam finden, doch ein bisschen ist es wie "fast food", der Geschmack, sprich die Erinnerung, ist von kurzer Dauer. Wenn der Meister humoristischer Feinarbeit jedoch direkt vor einem sitzt und selbst noch sichtlichen Spaß bei seinen Auftritten hat, das Publikum mit einbezieht und sich über jeden unvorhergesehenen Lacher oder Kiekser freut, erlebt von der Lippe "at ist’s best.

Die knapp vier Jahre Ampelregierung sind auch an dem inzwischen vom Standup-, zum Sitdown-Comedian mutierten von der Lippe nicht spurlos vorübergegangen. »Beim folgenden Dialog habe ich sofort Annalena Baerbock vor Augen: «Mein PC schreibt nur noch Großbuchstaben. Haben sie die Feststelltaste gedrückt? Nein, da bin ich ganz alleine darauf gekommen.»« Auch Robert Habeck, Armin Laschet oder der drei Mal von seiner Bettina geschiedene Christian Wulff bekommen ihr Fett weg.

Schwerpunkt ist und bleiben seine genitalreferenziellen Einlassungen – der eigentliche Brennpunkt des Willens, wie er es formuliert. Zum großen Vergnügen des Publikums, analysiert von der Lippe, wie viele Bedeutungen der Satz »ich habe einen Finger im Po« haben kann: den eigenen im fremden, den fremden im eigenen, den eigenen im eigenen und den Finger im Fluss mit Namen Po.

Seine Texte spiegeln seine Liebe zu Fremdwörtern wider, die er dann gern anhand von Witzen erklärt, wie zum Beispiel den Malapropismus, die Verwechslung von ähnlich klingenden Fremdwörtern: »Gestern Nachmittag bin ich defloriert worden. Du meinst konfirmiert! Nein, das war vormittags.«

Intensiv arbeitet der Bambi-Preisträger mit Doppeldeutigkeiten in der deutschen Sprache, mal mehr mal weniger sexuell orientiert, mal mehr mal weniger originell, mal mehr mal weniger lustig. Die Unterschiede zwischen Männlein und Weiblein und die daraus resultierenden Missverständnisse präsentiert er als gepflegte Herrenwitze. Was das Ganze erträglich macht, ist dass von der Lippe keine Partei für Männlein oder Weiblein ergreift, höchstens dem männlichen Geschlecht Ratschläge bei der Konversation mit der Gattin erteilt, ansonsten bedauert, dass Paare, die verheiratet sind, nie frei haben.

Beste Unterhaltung

Sein Markeneichen ist, sich selbst auf die Schippe zu nehmen, wenn er, den seiner Frau missfallenden ausufernden Hubschrauberlandeplatz auf Hauptesmitte beschreibt oder seine Zangengeburt, bei der die gesamte naturwissenschaftliche Abteilung vernichtet worden sei. Nur die Sprachabteilung blieb unversehrt. Gottseidank. Dies wird deutlich, wenn er den Unterschied von Sie und Du auf den Punkt bringt: »Ich bin ein großer Freund der Unterscheidung zwischen Sie und Du. Wenn jemand auf der Straße ruft: Äh Jürjen, wie jeht et dich?«, dann lasse ich das durchgehen, denn die Person hat dringendere Sprachprobleme. Aber wenn mir beim Radio so ein hipper Moderator sagt: »Hi Jürgen, ich bin der Stulle, ist es ok, wenn wir uns duzen?«, dann sage ich: »Negativ, Herr Stulle. Ich habe Socken, die älter sind als Sie, also warten Sie bitte ab, bis ich Ihnen das Du anbiete, vielleicht in ein paar Jahren, wenn Sie dann im Heim mein Pfleger sind«.

Einigen im Saal werden die vielen schlüpfrigen Witze, die an der Gürtellinie entlangstreifen, in Zeiten des Genderns und von »Political Correctness« missfallen, aber die Mehrheit des Publikums honoriert, dass der Wahl-Berliner, der schon in den Siebzigern aus einer Radiosendung wegen seinen zu häufig erzählten sexuellen Witzen rausgeschmissen wurde, eben bis heute der politischen Korrektheit trotzt. (ber)