REUTLINGEN/BAD URACH. Beleidigungen, Bedrohungen und mehrere Körperverletzungen: Der angeklagte Reutlinger, der eigentlich aus Berlin stammt, hat »sehr viel Scheiße« gebaut, wie er es in seinem Schlusswort recht kurz und bündig auf den Punkt bringt. Das Schicksal des 54-jährigen Opfers ändert diese Rechtfertigung jedoch nicht mehr. Am Morgen des 9. März 2024 nahm dieses im Reutlinger Listpark seinen Lauf. Der Park, der neben dem Bahnhof liegt, ist in der Regel einem »bestimmten Klientel zuzuordnen«, so ein Beamter im Zeugenstand. Drogen – und Alkoholkonsum seien hier keine Seltenheit. Auch dass es zu Auseinandersetzungen kommt, sei nicht besonders ungewöhnlich. So geschah es auch an jenem Tattag.
Im Verlauf einer Auseinandersetzung mit dem späteren Opfer – der zu diesem Zeitpunkt noch kein verurteilter Brandstifter, sondern lediglich ein Straßenmusiker war – habe der 47-jährige Beschuldigte diesem »zweimal wuchtig mit der Faust auf das linke Auge geschlagen«, so heißt es in der Anklageschrift. Zuvor sollen die beiden Männer im Park gemeinsam Alkohol getrunken haben. Warum der Angeklagte dann plötzlich zugeschlagen habe, das können beide Parteien im Nachgang nicht mehr beantworten. Der 47-Jährige, der seit seiner Jugend an ADHS und einer Alkohol - und Drogensucht leidet, gibt lediglich an, dass ihm das Geklimper des Musikers auf seiner Gitarre nicht gefallen habe.
»Das Auge ist aufgeplatzt wie eine Weintraube«
Welche Folgen die Schläge noch haben sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt keiner ahnen. »Es hieß nur, dass ein Musiker geschlagen worden sei«, erzählt einer der Beamten Richter Eberhard Hausch. »Als ich mich mit dem Opfer unterhalten habe, hat sein Auge geblutet. Von einem Sehproblem hat er aber nichts gesagt.« Dies könne im Nachgang allerdings auch auf den geistigen Zustand des 54-Jährigen zurückzuführen sein, der – ebenso wie der Angeklagte – unter erheblichem Alkoholeinfluss gestanden sei. Eine Sachverständiger gab nun Aufschluss über die schweren gesundheitlichen Folgen des Zwischenfalls.
»Das linke Auge wurde durch die Schläge so komprimiert, dass es aufgeplatzt ist wie eine Weintraube, auf die man mit dem Fuß tritt«, erklärt der Augenarzt vor Gericht. Die Verletzung, die der Angeklagte seinem Gegenüber zugefügt hat, sei »eigentlich die schlimmste Verletzung, die einem Auge passieren kann«. Zwei Operationen hat das Opfer bis zum Gerichtstermin bereits hinter sich gebracht und doch, so der Sachverständige, wird er auf seinem linken Auge nie wieder sehen können. Im Gegenteil: Die Gefahr, dass auch das verbleibende gute Auge irgendwann an Sehkraft verliert, und der Mann völlig erblindet, sei gegeben.
»Er hat keine Erinnerung an das Geschehen mehr«
Dass man mit einem Auge zwar leben, aber nicht unbedingt gut leben kann, das zeigte sich nur drei Wochen nach dem folgenschweren Faustschlag: In seiner Dachgeschosswohnung in der Uracher Altstadt legte der 54-jährige Deutsche – der unter einer bipolaren Störung leidet – Feuer und brachte damit nicht nur sich selbst, sondern viele weitere Menschen in dem Mehrparteienhaus in Gefahr (wir berichteten). »Er hat keine Erinnerung an das Geschehen mehr«, sagte Verteidiger Christian Niederhöfer in jenem Prozess im September. Seitdem sitzt der Brandstifter aus Bad Urach – wie zukünftig auch sein Peiniger– hinter Gittern.
Letzterer wurde nun aufgrund mehrmaliger Körperverletzungen (nicht nur im Falle des erblindeten Urachers) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. »In mehreren Straftaten haben Sie ordentliche Verletzungen herbeigeführt. Hier kann man also nicht mehr mit sonderlicher Milde reagieren«, erklärt Richter Eberhard Hausch das Urteil, das doch recht beträchtlich war. Die Staatsanwaltschaft hatte nämlich auf nur zwei Jahre und zehn Monate plädiert. (GEA)
Im Gerichtssaal
Richter: Eberhard Hausch, Schöffen: Thomas Gaugele, Michael Donth, Staatsanwalt: Valentin Rebstock, Verteidiger: Sebastian Gauss