BAD URACH-HENGEN. »Windkraft ist ein sehr entscheidendes Thema bei der Energiewende«, sagt der Uracher Bürgermeister Elmar Rebmann, »von überragendem öffentlichen Interesse - wie's im Bundesgesetz steht.« Im »Wind-an-Land-Gesetz« wird vorgeschrieben, dass bis Ende 2032 mindestens 1,8 Prozent der Landesfläche von Baden-Württemberg als Vorranggebiet für Windenergie ausgewiesen werden muss. Die restlichen 0,2 Prozent sind für Freiflächen-Fotovoltaik vorgesehen. Bad Urach macht jetzt in Sachen Windenergie einen ersten Schritt.
Im Windvorranggebiet RT-17 bei Hengen, das vom Regionalverband Neckar-Alb ausgewiesen wurde, sollen vier Windräder entstehen. Die Stadt hat jetzt den Projektentwickler und den Betreiber vorgestellt, mit denen sie den Mini-Windpark umsetzen wollen. Das Gesamtangebot der Sowitec operation GmbH, kurz: Sowitec (Sonnenbühl-Willmandingen) in Kooperation mit den Stadtwerken Tübingen hat die Bewertungskommission der Stadt und der Kommunalberatung endura kommunal GmbH (Freiburg) einstimmig überzeugt - sie schlugen drei Mitbewerber aus dem Rennen.
Noch vor der Vorstellung der Details äußert sich Bürgermeister Elmar Rebmann grundsätzlich positiv zu dem, was Sowitec und Stadtwerke Tübingen in Hengen realisieren wollen. Aus zwei Gründen: Beides sind lokale Akteure, beide haben schon etliche Projekte erfolgreich zusammen gestemmt. Und: Die Stadtwerke Tübingen will den Windpark nach dem Bau übernehmen.
Die Brüder Gerd und Frank Hummel haben Sowitec 1993 gegründet, ein Jahr später bauten sie auf dem Himmelberg bei Melchingen den ersten Windpark Süddeutschlands. 2002 hatte das Unternehmen schon über 50 Windturbinen in ganz Deutschland installiert, nach dem Schritt Richtung Südamerika 2003 ist Sowitec mittlerweile auf der ganzen Welt unterwegs. 2019 stieg der börsennotierte dänische Windkraftanlagen-Hersteller Vestas zu 25,1 Prozent bei Sowitec ein. Inzwischen hat Sowitec 32 Windparks mit insgesamt 105 Windrädern mit einer Gesamtleistung von 136 Megawatt in ganz Deutschland entwickelt.

Im September 2023 war der Spatenstich für den 18-Megawatt-Windpark Hohfleck auf der Gemarkung Sonnenbühl. Wie in Hengen geplant, arbeiten auch hier Sowitec und die Stadtwerke Tübingen zusammen. Hier entstehen fünf Windräder mit einer installierten Leistung von 4,2 Megawatt. In und um Hengen weht ein guter Wind: Ganz in der Nähe - in der Nachbargemeinde Grabenstetten - baut Sowitec auch einen Windpark. Hier sind vier Anlagen mit einer Leistung von 7,2 Megawatt vorgesehen.
Die Stadtwerke Tübingen haben sich schon länger einen Namen im Bereich der erneuerbaren Energien gemacht: Das Unternehmen mit gut einer halben Milliarde Umsatz und 600 Mitarbeitern hat 13 Windparks und 25 Solarparks im Bestand und verzeichnet 244 Gigawattstunden regenerative Stromerzeugung, wie Joachim Glauer, der Abteilungsleiter Erneuerbare Energien im Uracher Gemeinderat darlegte.
Im Windpark Hengen sind vier Windräder vom Typ Vestas V172 geplant. Das Beste, was gerade auf dem Markt ist, wie Sowitec-Geschäftsführer Gerd Hummel betonte. Die Hightech-Anlagen haben eine Nabenhöhe von 175 Metern, die Rotorblätter sind 86 Meter lang sodass die Windräder insgesamt 261 Meter hoch sein werden. Die installierte Leistung liegt bei 28,8 Megawatt.
Eine zentrale Frage bei Windrädern sind die Abstände zu den Ortschaften. Im Fall von Hengen sind's nach Strohweiler zwei Kilometer, nach Wittlingen 2,2 Kilometer, nach Böhringen 1,3 Kilometer, nach Hengen zwischen 840 und 600 Meter. Am dichtesten steht Windrad 1 zum Aussiedlerhof auf dem Weg nach Grabenstetten: Hier sind's 530 Meter. Zwei Anlagen stehen auf Freiflächen, zwei im Wald. Geschäftsführer Frank Hummel hebt hervor, dass dafür keine neuen Wege gebaut werden müssen. »Die vorhandenen müssen nur verbreitert werden.«
»Beim Schall halten wir alle Grenzwerte ein«, sagt Sowitec-Projektleiter Steffen Mauser. Nachts werden die Leistung der Windräder heruntergeregelt, damit sie leiser sind. »Das ist in ganz Süddeutschland so«, so der Projektleiter. Offshore-Windräder können Tag und Nacht die volle Leistung fahren. Auch der Schattenwurf von Windkraftanlagen wird berücksichtigt. »Sie werden Schatten werfen, aber nicht sehr oft«, so der Projektleiter. In einer Worst-Case-Berechnung - der des schlimmsten Falls also - geht man davon aus, dass die Sonne einen ganzen Tag lange scheint, die Rotorfläche senkrecht zur Sonneneinfallsrichtung steht und das Windrad durchgehend läuft. Sollte das 30 Minuten pro Tag (oder 30 Stunden im Jahr) der Fall sein, wird die Anlage bei Erreichen dieses Grenzwerte abgeschaltet.
Die Kommunen im Umkreis von zweieinhalb Kilometern werden mit 0,2 Cent pro Kilowattstunde der eingespeisten Strommenge beteiligt. In diesem Fall bekommt Lenningen, 0,5 Prozent, Grabenstetten 10,5 Prozent - aus dem Windpark der Nachbargemeinde fließt natürlich auch Geld nach Bad Urach zurück -, Bad Urach 40 Prozent, Römerstein 40 Prozent und der Gutsbezirk Münsingen 9 Prozent. Die Hengener selbst kommen in den direkten Genuss einer gewissen Ausschüttung: Projektleiter Steffen Mauser sprach von jährlichen Direktzahlungen in fünfstelliger Höhe. Nicht an Einzelne, wie Ortsvorsteher Gerhard Stooß witzelte, sondern als das Dorf insgesamt. Die Details stehen noch nicht, der Grundsatz als solcher aber schon. Auch mit Bürgerbeteiligungs-Modellen in Form von Energie-Genossenschaften haben die Stadtwerke Tübingen schon viele Erfahrungen gesammelt.
Zum Zeitplan: 2025 stehen diverse naturschutzrechtliche Gutachten an, 2025/26 sind die Träger öffentlicher Belange mit ihren Stellungnahmen dran, 2026 geht's um das Ausschreibungsverfahren und wird die Bank ausgewählt, die das Projekt finanzieren kann und will. 2027/28 könnten dann schon die ersten Bagger anrollen und die ersten Bäume gefällt werden - und der Bau des Windparks starten.