METZINGEN. Leicht angespannt wirkte der 26 Jahre alte Mann, der eine Woche nach dem Prozessauftakt (wir berichteten) erneut auf der Anklagebank des Reutlinger Amtsgericht saß. Er musste sich nach einem gefährlichen Unfall auf der B28 zwischen dem Dreieck Metzingen und der Anschlussstelle Sondelfingen wegen eines unerlaubten Autorennens verantworten. »Dem Angeklagten wird vorgeworfen, [...] durch maximale Beschleunigung (durchgedrücktes Gaspedal) mit seinem Mercedes C400 auf 238 Stundenkilometer beschleunigt zu haben. Dabei soll er die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren (gegen den Randstein gestoßen) und seitlich mit einem Pkw kollidiert sein«, hieß es vom Gericht. Verletzt wurde bei dem Vorfall niemand.
Die Höchstgeschwindigkeit auf dem besagten Abschnitt der B 28 liegt bei Tempo 120. Der Angeklagte hatte zuletzt bereits eingeräumt, zu schnell gefahren zu sein. Verantwortlich für den Unfall sei aber nicht seine enorm hohe Geschwindigkeit, sondern ein plötzlich geplatzter Reifen gewesen. Das Gericht forderte ein Gutachten ein.
Reifenplatzer soll zu Kontrollverlust geführt haben
»Wir sind gefahren, und plötzlich hat es geknallt. Wir wurden dann nach links gegen die Leitplanke, nach rechts gegen ein Auto und wieder zurück geschleudert«, schildert der Beifahrer das Geschehen und untermauert damit die Aussage seines Freundes, »danach ging der Airbag auf und ich habe nichts mehr gesehen.« Einen Reifen habe er zuvor noch nie platzen gehört, es müsse aber das gewesen sein, war sich der 25-Jährige sicher. Die Polizistin, die an diesem Tag als zweite Zeugin angehört wurde, schätzte die Ereignisse jener Nacht anders ein.
Vor Ort sei ihr von Zeugen mitgeteilt worden, dass der Angeklagte schon vor dem Unfall gedrängelt habe, sehr schnell und eng überholt hätte. Als der Mann dann aus seinem Wagen ausstieg, sei er sehr aufgebracht gewesen und habe auf sein Auto eingeschlagen. Zudem habe er immer wieder beteuert, nur 120 Stundenkilometer gefahren zu sein. Bei der Begehung des Unfallortes stellten die Beamten auf der linken Fahrbahnseite einen stark beschädigten Randstein fest.
Angeklagter fuhr rücksichtslos
Der dritte Zeuge, ein 22-jähriger Kfz-Lehrling, hat den Unfall zwar nicht mit eigenen Augen beobachtet, konnte aber wichtige Informationen zur Fahrweise des Angeklagten geben: »Ich bin ganz normal nach Vorschrift gefahren. Dann ist der Herr mir recht dicht aufgefahren, sodass ich die Scheinwerfer im Rückspiegel schon nicht mehr sehen konnte. Bevor es zweispurig wurde, noch auf der schraffierten Fläche, hat er mich dann überholt. Auch an meinem Kumpel, der circa 500 Meter vor mir fuhr, ist er vorbeigezogen.« Am Unfallort angekommen habe der Angeklagte ihm wiederholt gesagt, er solle nicht verraten, wie schnell er gefahren sei. »Nicht auf eine drohende Art und Weise, aber mehrfach. Auf mich hat das sehr verzweifelt gewirkt.«
Anhand des verunfallten Mercedes, der Reifenanalyse, den Fahrzeugdaten aus dem Event Data Recorder (EDR) - einer Art Blackbox für Autos -, sowie Polizeibildern und Protokollen legte der Dekra Kfz-Sachverständige Matthias Fischer ein Gutachten zum Unfallhergang vor. Das Ergebnis: Die Schilderung des Angeklagten entspreche weitestgehend der Wahrheit. Demnach war der hintere linke Reifen tatsächlich geplatzt und habe zum Kontrollverlust geführt. Dieser habe dann zu denn Kollisionen mit dem Wagen einer 57-Jährigen, der Leitplanke und des Randsteins geführt.
Gutachter bringt Licht ins Dunkle
Ein zufriedenes Lächeln machte sich auf dem Gesicht des 26-jährigen Angeklagten breit. Doch er sollte sich zu früh gefreut haben. »Ab dem Zeitpunkt des von Zeugen drei geschilderten Überholvorgangs spricht alles dafür, dass der Angeklagte bis zum Zeitpunkt des Unfalls, circa einen Kilometer später, maximal beschleunigt hat«, führte der Gutachter aus.
»Das Fahrzeug war mit Winterreifen, sogenannten H-Reifen (High-Speed), ausgestattet, die bis zu einer Maximalgeschwindigkeit von 210 Stundenkilometern zulässig sind. Für höheres Tempo sind diese Reifen nicht geeignet. Die Belastung durch die hohe Geschwindigkeit in Kombination mit einer leichten Schieflage im Kurvenbereich, war für den Reifen einfach zu viel. Es ist vollkommen schlüssig, dass dieser aufgrund von Überbelastung gebrochen ist«, fasste der Experte zusammen.
Freiheitsstrafe auf Bewährung
Ob der Reifen, wie vom Angeklagten behauptet, auch bei erlaubten 120 Stundenkilometern geplatzt wäre, bezweifelte der Gutachter: »Man müsste dazu wissen, ob er bereits vorbelastet oder beschädigt war. Zu 100 Prozent lässt sich das nicht ausschließen. Was man aber sicher sagen kann: Bei Tempo 120 wäre das Schadenausmaß jedenfalls nicht so groß gewesen. Ich gehe aber eher nicht davon aus, dass er überhaupt geplatzt wäre«, so Fischer abschließend. Von der Maximalgeschwindigkeit der Reifen möchten der Angeklagte und sein Vater nichts gewusst haben.
Richterin Dr. Selina Domhan hatte genug gehört und sprach das Urteil: Vier Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung. Außerdem wurde der 26-Jährige als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen eingestuft und muss deshalb weiterhin auf seinen Führerschein verzichten. Im Anschluss erwartet ihn eine 18-monatige Sperrfrist zur Wiedererlangung.
Kraftfahrzeugrennen gegen sich selbst
»Man rast so schnell man kann, man versucht die absolute Geschwindigkeit auszureizen. Für die 238 Stundenkilometer gab es keinen vernünftigen Grund. Was Sie da geritten hat - ich weiß es nicht«, sagte Richterin Selina Domhan nach dem Urteil zu dem 26-Jährigen, »ich hoffe, Ihnen ist bewusst, wie gefährlich das war. Sie können ihrem Schutzengel danken, dass niemandem etwas passiert ist. Das war unverantwortlich und ja, auch strafbar.«
Positiv müsse man dem Angeklagten anrechnen, dass er ein Teilgeständnis abgelegt, und einräumt hatte, zu schnell gefahren zu sein. Auch habe er sich um die schnelle Schadensregulierung der 57-jährigen Unfallgegnerin bemüht. »Auf der anderen Seite sind Sie bereits zuvor wegen einer Verkehrsstraftat in Erscheinung getreten und haben ihren Führerschein abgeben müssen. Dass so etwas dann noch einmal passiert, zeigt mir nur, dass Sie nicht daraus lernen. Wenn man all das in die Waagschale wirft, finde ich die geforderte Strafe der Staatsanwaltschaft gerechtfertigt«, schloss die Richterin die Sitzung.
Im Gerichtssaal:
Richterin: Dr. Selina Domhan, Staatsanwältin: Tabea Hill, Verteidiger: Markus Weiß-Latzko