»Es braucht mehr als die kurze Aussage eines kleinen Mädchens«
Mit dem Urteil setzte die Richterin einen vorläufigen Schlusspunkt unter einen Prozessmarathon über sechs Verhandlungstage. Verteidiger Volker Anhalt hatte nicht nur mit außergewöhnlich intensiven, umständlichen Zeugenbefragungen auf sich aufmerksam gemacht, sondern auch das Gericht mit einer Flut von immer neuen Beweisanträgen eingedeckt. Eine Geduldsprobe ohnegleichen.
Zwei Mal soll sich der 36-Jährige dem Kind auf unsittliche Art und Weise genährt haben: ein Mal in seiner Wohnung, ein Mal in der Wohnung der Mutter. Nach Überzeugung des Gerichts hat der Mann mit seiner Hand in die Unterhose des Mädchens gefasst, ein anderes Mal es aufgefordert, ihre Hand auf sein Geschlechtsteil zu legen.
Verteidiger Volker Anhalt stellte den Missbrauchs-Vorwurf als einen Racheakt der Mutter dar. Die hat dem Angeklagten über längere Zeit bei Behördengängen und Arztbesuchen mit ihren Sprachkenntnissen zur Seite gestanden. Im Gegenzug habe sie von ihm Geld gefordert - zumal sie wusste, dass der 36-Jährige einige Tausend Euro erhalten würde.
Die Aussage des Kindes stellte er als zu dürftig dar. Das Mädchen könne sich nicht mehr daran erinnern, was vor und nach dem angeblichen Vorfall los war und sei auch sonst nicht gerade gesprächig: Die Sechsjährige könne sich nicht mehr erinnern, ob sie am Tag X mit oder ohne Unterhose unterwegs war, merkte der Jurist an, wisse nicht mehr genau, ob der Mann seine Hand auf die Unterhose gelegt oder in sie hineingeschoben habe, wisse nicht einmal, ob er von oben oder von der Seite hineingefasst habe. Anhalts Fazit: »Es braucht mehr als die kurze Aussage eines kleinen Mädchens.«
Im Gegenzug wollte er durch die Vernehmung von zwei Erzieherinnen des Kindes beweisen, es sei in sexuellen Dingen seinem Alter voraus und deshalb für ein- und zweideutige Andeutungen sexueller Art leicht zu haben. Eine Theorie, die die Erzieherinnen - der Anwalt hatte sie als Entlastungszeugen eingeplant - empört zurückgewiesen hatten. Auch die Kripo-Beamtin, die das Kind kurz nach der Anzeige verhört hatte, schilderte die Sechsjährige als absolut glaubwürdig.
Die Fachfrau ist ebenso wie Richterin Mechthild Weinland davon überzeugt, dass die Mutter ihre kleine Tochter nicht dafür instrumentalisiert hat, den Mann mit einer erfundenen Geschichte zu belasten. »Das Kind hat bei der Vernehmung manches mit Gesten genau gezeigt«, so Weinland, »ich halte es für ausgeschlossen, dass so etwas nachträglich antrainiert wurde.« Der Versuch des Verteidigers, das Kind als »verdorbenes, frühreifes Früchtchen darzustellen«, sei »voll in die Hose gegangen«, merkte Nebenkläger-Vertreter Horst Epple an.
»Sexueller Missbrauch ist Mord an Kinderseelen«
Es könne durchaus sein, dass das Mädchen eine derbe Bemerkung habe fallen lassen, so Weinland. »Aber so etwas schnappen Kinder schon mal auf und geben’s weiter«, so die Richterin. Es könne auch sein, dass die Mutter des Kindes an den Mann und dessen Frau mit Geldforderungen herangetreten sei, meinte Weinland, »sie ist eine sehr impulsive Frau und lebt nicht gerade in rosigen finanziellen Verhältnissen«. Sie glaubt aber nicht, dass die junge Frau wegen der Geldforderung ihr Kind für eine große Lügengeschichte instrumentalisiert hat.
Am fünften Verhandlungstag war die Diskussion um einen Schrank gekreist, den der Angeklagte nach Aussage seines Verteidigers in der Wohnung der Mutter des Kindes repariert haben will - nach der angeblichen Tat. Was sowohl aus Sicht des Angeklagten (er verlies die Wohnung nicht, obwohl ihn die Mutter mit dem schweren Vorwurf belastet hatte) als auch aus Sicht der Mutter (sie warf den Mann trotz des schlimmen Verdachts nicht hinaus) einigermaßen rätselhaft bliebt. »Ich habe mich zwischenzeitlich gefragt, ob’s um Schränke oder um sexuellen Missbrauch geht«, betonte Richterin Mechthild Weinland am letzten Verhandlungstag.
»Sexueller Missbrauch ist Mord an Kinderseelen«, sagt die Richterin. Im vorliegenden Fall gehe es »um keinen ganz gravierenden Fall, aber eben auch um keinen leichten«. In ihrem Urteil habe sie berücksichtigt, »dass versucht wurde, das Mädchen negativ darzustellen«. Weinland: »Ein Kind als ein kleines Luder darzustellen - das ist nicht schön.«
Die Amtsrichterin schloss sich in ihrem Urteil dem Plädoyer von Staatsanwältin Bettina Winckler an, die eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten für die beiden Taten gefordert hatte - auszusetzen zur Bewährung. Der Mann ist nicht einschlägig vorbestraft, hat eine Familie und auch darüber hinaus eine günstige Sozialprognose, sind die Juristinnen überzeugt. (GEA)