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Unfallflucht und Nötigung: Steht falscher Angeklagter vor Reutlinger Gericht?

30-Jähriger aus dem Ermstal vor dem Amtsgericht wegen Nötigung im Straßenverkehr. Jetzt gab es eine  überraschende Wende nach der Anklageverlesung.

Ein 30jähriger Mann aus dem Ermstal bestreitet vor dem Reutlinger Amtsgericht, dass er einen Unfall verursacht haben soll.
Ein 30jähriger Mann aus dem Ermstal bestreitet vor dem Reutlinger Amtsgericht, dass er einen Unfall verursacht haben soll. Foto: Norbert Leister
Ein 30jähriger Mann aus dem Ermstal bestreitet vor dem Reutlinger Amtsgericht, dass er einen Unfall verursacht haben soll.
Foto: Norbert Leister

ERMSTAL/REUTLINGEN. Am 17. Oktober vergangenen Jahres war gegen 19 Uhr 45 ein Audi A6 auf der B 28 von Metzingen in Richtung Reutlingen auf der linken Spur unterwegs gewesen. »Mit mindestens 130 Stundenkilometern«, verlas Staatsanwältin Selina Domhahn die Anklage am gestrigen Mittwochmorgen im Reutlinger Amtsgericht. Der angeklagte Fahrer habe zum Überholen von drei Fahrzeugen angesetzt, als eines der Autos von der rechten Spur auf die linke wechselte.

War das knapp? Musste der 30-jährige Angeklagte stark abbremsen? Fühlte er sich provoziert? Auf diese Fragen gab es zunächst keine Antworten. Der Fahrer habe auf jeden Fall die Lichthupe betätigt. Nachdem das andere Auto wieder auf die rechte Spur gewechselt war, überholte der Audi A6 auch dieses Fahrzeug, fuhr davor rüber auf die rechte Spur, bremste ab, es kam zur Kollision, bei der glücklicherweise nicht mehr als Blechschaden entstand. Aber: Der A6-Fahrer fuhr weiter, ohne sich um das andere Fahrzeug zu kümmern.

»Mein Mandant hat das Fahrzeug nicht geführt, er war nicht einmal in dem Auto.«

Die Überraschung im Gerichtssaal war groß, als Verteidiger Stephan Lohrmann nach der Verlesung der Anklage erklärte: »Mein Mandant hat das Fahrzeug an diesem 17. Oktober nicht geführt, er war nicht einmal in dem Auto.« Wie kam es dann aber zu der Unterschrift des Angeklagten unter der polizeilichen Vernehmung an diesem Abend, die eindeutig belegte, dass der 30-Jährige sich als Fahrer des Audi A6 ausgegeben hatte?

»Ich wurde an diesem Abend von einem Bekannten angerufen, der mir schon ein paar Mal geholfen hatte«, versuchte der gebürtige Bulgare am Mittwoch vor Richterin Celine Eich zu erklären. Der Bekannte sei in der Klemme, er brauche Hilfe. Der Angeklagte, weil er ja grundsätzlich sehr hilfsbereit sei, fuhr zu dem Mann im Ermstal und habe dort erfahren, dass der Bekannte mit seinem Audi A6 einen Unfall hatte. Er sei nicht schuld, aber betrunken. Und einen Führerschein habe er auch nicht.

»Ich habe doch nur ganz leicht gebremst, der andere ist mir dann aufgefahren«

Der Bulgare sei dann überredet worden, sich als am Unfall beteiligter Fahrer auszugeben, was ja kein Problem darstelle – weil doch der Gegner die Schuld am Unfall trage. Der Bulgare ließ sich überreden, die Polizei wurde benachrichtigt, beide fuhren zu der Unfallstelle, der 30-Jährige unterschrieb das Protokoll. Und er erhielt am 20. Dezember 2024 einen Strafbescheid, in dem auch stand, dass sein Führerschein eingezogen werde.

»Mein Mandant fiel aus allen Wolken«, sagte Rechtsanwalt Lohrmann. Am 22. Dezember habe sich der Angeklagte mit dem Bekannten getroffen, er sprach mit ihm über den Unfall, über die Folgen, und dass der hilfsbereite Bulgare seinen Führerschein abgeben müsse.

Dieses Gespräch hatte der Angeklagte mit dem Handy aufgenommen, zu hören sei in dem Audiofile eindeutig, dass der Bekannte aus dem Ermstal zugab, er habe den Audi A6 – der ihm schließlich auch gehört – an diesem 17. Oktober selbst gefahren. Aber: Er könne das vor der Polizei nicht zugeben, weil er doch betrunken gewesen sei. Und keinen Führerschein hatte.

»Ich habe doch nur ganz leicht gebremst, der andere ist mir dann aufgefahren«, hatte der Bekannte noch gesagt. So leicht kann die Berührung zwischen den beiden Fahrzeugen aber nicht gewesen sein: Der Gegner hatte Schäden von mehr als 5.000 Euro gehabt, der Audi-A6-Fahrer gar mehr als 12.000 Euro, wie er sich von einem Gutachter seiner Versicherung bestätigen ließ.

»Er hat sich fünf Minuten vor Verhandlungsbeginn krank abgemeldet«

»Ich war mir an diesem Abend nicht bewusst, dass ich als Fahrer des Audi die Unfallstelle nicht hätte verlassen dürfen«, sagte der Angeklagte, der wie ein Häufchen Elend im Gerichtssaal saß. »Wann war Ihnen denn klar, dass Sie mit Ihrem Hilfsangebot einen Fehler begangen hatten?«, fragte die Staatsanwältin. »Na, als ich das Schreiben vom Gericht bekam, dass ich meinen Führerschein abgeben muss«, so der Angeklagte. »Ich brauche den doch.«

Nun gehe es doch vorrangig darum, so der Anwalt, dass sein Mandant so bald wie möglich wieder seinen Führerschein erhalte. So eindeutig bewiesen sei allerdings noch nicht, dass der Angeklagte an diesem 17. Oktober nicht das Unfallfahrzeug lenkte, betonte Domhahn. Und der Eigentümer des Audi? Was sagte der zu all dem vor Gericht?

»Er hat sich fünf Minuten vor Verhandlungsbeginn krank abgemeldet«, berichtete Celine Eich. Somit war klar, dass ein neuer Gerichtstermin angesetzt werden musste. Bei dem dann der Audi-Eigentümer – sollte er wieder nicht erscheinen – polizeilich vorgeführt werde, versprach Richterin Eich. (GEA)