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»Traube« in Glems: Zeitreise ins 19. Jahrhundert

Seit mehr als 150 Jahren serviert das Glemser Gasthaus schwäbische Spezialitäten. Für Besitzer Ernst Eugen Fauser ist es ein ganz besonderes »Hobby«.

»anno 1875« steht auf dem Glemser Urgestein. Dabei ist das Gebäude sogar noch älter.
»anno 1875« steht auf dem Glemser Urgestein. Dabei ist das Gebäude sogar noch älter. Foto: Jürgen Meyer
»anno 1875« steht auf dem Glemser Urgestein. Dabei ist das Gebäude sogar noch älter.
Foto: Jürgen Meyer

METZINGEN-GLEMS. Ein antikes Thermometer neben der Eingangstür, hölzerne Fensterläden, die Aufschrift »anno 1875« an der Fassade des Gebäudes: Das Glemser Gasthaus »zur Traube« an der Ortsdurchfahrt, der Neuhauser Straße, sticht Autofahrern und Fußgängern zwischen den üblichen Wohnungen, einem Quad-Verkauf und der Freiwilligen Feuerwehr sofort ins Auge. Wer das Haus betritt, begibt sich auf eine Zeitreise. Altertümliche Lampen hängen von der Decke, während eine Pendeluhr immer zur vollen Stunde schlägt. Selbst die Stühle und das Geschirr »sind original von 1872«, erzählt Gastwirt Ernst Eugen Fauser, der im Stock über dem urigen Speisesaal lebt. Über die Stadtarchive fand der 77-Jährige heraus, dass seine »Traube« drei Jahre älter ist als bisher vermutet - bald soll die richtige Jahreszahl am Eingangsbereich zu sehen sein.

Gebaut wurde die laut Fauser »einzig original erhaltene Wirtschaft in Baden-Württemberg« von seinem Urgroßvater, einem Zimmermann. Mit Ausnahme der Kriegsjahre in den 1940ern, als der Speisesaal zur Lagerhalle eines Textilunternehmens umfunktioniert wurde, servieren die Fausers seit nun mehr als 150 Jahren schwäbische Speisen in Glems. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs machte sich Ernst Eugens Mutter, Dora Fauser, bis 1992 einen Namen als legendäre Gastwirtin in der Ortschaft. »Meine Mutter hat hier oft alleine gearbeitet, da haben meine Frau und ich sie häufig unterstützt«, erinnert sich der Gastwirt, der sogar in der Traube geboren wurde.

Die meiste Zeit verbrachte Ernst Eugen Fauser als ausgebildeter Kfz-Mechaniker aber im Autohaus nebenan, das sein Sohn Eddy inzwischen zu einem Quad Shop umfunktioniert hat. In der Küche wurde der Ur-Glemser erst nach dem Tod seiner Ehefrau vor 13 Jahren tätig: »Davor habe ich noch nie gekocht«, gibt Fauser zu. Wie er Spätzle, Schnitzel und Braten zubereiten kann, hat er sich alles durch »aufmerksames Zusehen« bei seiner Mutter und Ehefrau selbst beigebracht.

Gäste kochen auch mal selbst

Das Kochen ist für den 77-Jährigen heute »nur noch ein Hobby.« Feste Öffnungszeiten hat die Traube nicht mehr - ab Anmeldungen von mindestens vier Personen tischt der Gastgeber Spezialitäten wie seine »Glemser Wurstspätzle«, eine Vorspeise aus Spätzlesteig, Schinkenwurst, Lyoner und Petersilie, auf. »Das findet man sonst nirgends«, erzählt Fauser stolz. Für Vegetarier gibt es zum Beispiel Kässpätzle, »da muss aber jeder seinen eigenen Käse mitbringen, weil jeder einen anderen möchte«, erklärt der Gastgeber lachend. Vor einer Weile war eine Gruppe junger Frauen mit ihrem eigenen Käse zu Gast und kochte sich ihr Abendessen dann gleich selbst.

Seit 13 Jahren ist Ernst Eugen Fauser als Gastwirt tätig.
Seit 13 Jahren ist Ernst Eugen Fauser als Gastwirt tätig. Foto: Jürgen Meyer
Seit 13 Jahren ist Ernst Eugen Fauser als Gastwirt tätig.
Foto: Jürgen Meyer

Für die Gäste der Wirtschaft ist der Speisesaal wie ein zweites Zuhause. Getränke und das passende Glas nimmt man sich selbst aus dem Kühlschrank an der Bar. An sonnigen Tagen schauen Fahrradfahrer und Spaziergänger spontan auf ein kühles Bier vorbei. Das Ambiente ist besonders bei Geburtstagen oder Stammtischen beliebt: »Viele Leute wollen einfach ihre Ruhe und im kleinen Kreis ungestört zusammensitzen können«, erklärt Fauser.

Im Speisesaal hat sich seit der Eröffnung kaum was geändert.
Im Speisesaal hat sich seit der Eröffnung kaum was geändert. Foto: Jürgen Meyer
Im Speisesaal hat sich seit der Eröffnung kaum was geändert.
Foto: Jürgen Meyer

Der Gastwirt setzt sich immer wieder an die Tische dazu, unterhält sich mit den Menschen und lernt dabei die unterschiedlichsten Persönlichkeiten kennen. »Von der Prominenz bis zum normalen Bürger war schon alles bei mir da«, erzählt der Glemser. Immer wieder treffen sich Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck und der ehemalige Astronaut Ernst Messerschmid zum Stammtisch. Zu Lebzeiten von Mutter Dora war sogar das Ensemble einer russischen Oper zu Gast. Egal ob jung oder alt, Fauser genießt den Austausch mit den Besuchern - und geht dabei mit der Zeit: Er diskutiert über Datenschutz im Internet oder berichtet von Einkäufen auf Ebay Kleinanzeigen. »Wer mitschwimmen will, muss sich damit beschäftigen. Ich bin zwar kein Internet-Experte, aber mir bleibt nichts anderes übrig«, sagt der Traube-Besitzer.

Zukunft der Traube ist unklar

Hat sich niemand zum Essen angemeldet, schaut Fauser gerne seinem Enkel Nils beim Motocross zu oder im Laden seines Sohnes vorbei. Zu seinem Lebensunterhalt trägt das Gasthaus nur noch wenig bei. »Wenn es ums Geld ginge, dann müsste ich gar nicht mehr aufmachen. Das sind vielleicht 50 Euro Umsatz«, sagt der Glemser, »ich mache das nur, weil ich die Tradition des Hauses erhalten will.« Solange er sich fit genug fühlt, wolle er die Traube weiterleiten. Wenn die Arbeit zu viel wird, unterstützt ihn seine Nachbarin in der Küche.

Wie die Zukunft der Traube aussieht, ist ungewiss. »Nach mir wird wahrscheinlich niemand mehr die Wirtschaft übernehmen«, erzählt Fauser. Ob das ihn traurig stimmt? »Das ist mir egal«, antwortet er mit einem Grinsen, »ich habe schon zu viel erlebt, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.« Fest stehe die Entscheidung ohnehin noch nicht und »man weiß ja nie, was im Leben noch so kommt.« (GEA)