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Aktuell Prozess

Tik-Tok-Video als Auslöser für nächtlichen Angriff im Ermstal

Das Landgericht verurteilt einen Mann in Abwesenheit zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe.

Vor dem Amtsgericht musste sich ein Mann wegen eines Angriffs auf seine getrennt lebende Partnerin verantworten. Er ist zu einer
Vor dem Amtsgericht musste sich ein Mann wegen eines Angriffs auf seine getrennt lebende Partnerin verantworten. Er ist zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Foto: Cordula Fischer
Vor dem Amtsgericht musste sich ein Mann wegen eines Angriffs auf seine getrennt lebende Partnerin verantworten. Er ist zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Foto: Cordula Fischer

REUTLINGEN/ERMSTAL. Der angeklagte Mann Anfang 40 sitzt am Montagnachmittag nicht im Reutlinger Amtsgerichtssaal. So wird der Mann aus dem Ermstal in Abwesenheit zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung der Vorsitzende Richter Eberhard Hausch nicht zur Bewährung aussetzt. »Er hat keine Reue und Einsicht gezeigt und seine Tat nicht aufgearbeitet«, begründet Hausch. Außerdem sei es zur Verteidigung der Rechtsordnung sinnvoll, die Strafe nicht mehr zur Bewährung auszusetzen. Wann der Mann vom Amtsgericht von seiner Strafe auf dem offiziellen Weg erfährt, ist unklar. Er sei offenbar aktuell nicht in Deutschland, sagt Hausch. Somit ist das Urteil nicht rechtskräftig, die Frist für Rechtsmittel hat noch nicht begonnen, und es gibt keinen Haftbefehl gegen ihn.

Die Staatsanwältin Lisa Schall warf dem aus Iran stammenden Mann beim Prozessauftakt im Dezember 2024 vor, seine von ihm getrennt lebende frühere Partnerin aufgesucht und mit einem Beil die Terrassentür eingeschlagen zu haben. Er soll dann versucht haben, mit dem Werkzeug in das Kinderzimmer zu gelangen, in das sich der neue Freund der Frau und deren jüngster Sohn geflüchtet hatten. Dann soll er seine nach islamischem Recht noch verbundene Partnerin, die sich aber von ihm getrennt habe, angegriffen haben.

Tik-Tok-Video als Auslöser

Der Angeklagte bestritt in seiner Aussage im Dezember vor Gericht, seine Partnerin gewürgt und mit einem Beilstiel geschlagen zu haben. Ein Kollege habe ihm in der Pause der Nachtschicht ein Tik-Tok-Livevideo gezeigt, auf dem seine Frau und ihr Freund zu sehen seien. Was im Video sichtbar gewesen sein soll, darüber gab es unterschiedliche Angaben. »Sie saß bei ihm auf dem Schoß. Er berührte ihre Brüste. Sie tauschten Zärtlichkeiten aus. Als ich das sah, hat in mir ein Feuer gebrannt«, berichtete der Angeklagte. Seine Partnerin sagte hingegen aus, sie sei ganz zu sehen, ihr Freund aber nur halb. Sie habe nicht auf seinem Schoß gesessen, sondern neben ihm. Ihr Freund berichtete, er habe während der Aufnahme seinen Arm um sie gelegt.

Dass der Angeklagte darüber so in Aufruhr geriet, schob er auf die Wirkung von Medikamenten. »Die sechs Tabletten sind viel schlimmer als Alkohol. Man kann die Kontrolle verlieren«, sagte er im Dezember. Am Montag führt allerdings der Rechtsmediziner Professor Dr. Frank Wehner als Gutachter aus, dass die Medikamente eher dämpfend wirkten. »Es sind Schmerzmittel. Wenn man die nimmt, bekommt man aber noch mit, was los ist«, sagt Wehner. Dass der Angeklagte nicht so durch die Medikamente beeinträchtigt gewesen sei, habe man auch daran gemerkt, dass er den Anweisungen der Polizisten habe folgen können. »Es war ein unauffälliges Zustandsbild.« Dass der Angeklagte von seiner Partnerin abgelassen habe, sei im Kräfteverlust begründet. »Sein Blutverlust war nicht ausschlaggebend.« Der Angeklagte hatte sich verletzt, als er die Terrassentür eingeschlagen hatte und in die Wohnung der Frau eingedrungen war.

Keine verminderte Schuldfähigkeit

Die Staatsanwältin Lisa Schall sah die Anklage gegen den Mann Anfang 40 bestätigt. »Die Angriffe wären schlimmer ausgefallen, wenn er sich nicht verletzt hätte und das Beil nicht kaputt gegangen wäre.« Der Stiel des Beils war beim Schlagen auf die Kinderzimmertür abgebrochen. Durch das Gutachten ließe sich eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten durch Medikamente ausschließen. Strafmindernd sieht Schall, dass der Angeklagte nicht einschlägig vorbestraft ist, verschärfend sei hingegen, dass sein bei der Mutter lebender Sohn unter dem nächtlichen Eindringen in die Wohnung noch leide, der Angeklagte völlig uneinsichtig sei und seiner Partnerin keinen neuen Partner gönne.

Der Verteidiger Urs-Gunther Heck plädierte auf einfache Körperverletzung und forderte eine Geldstrafe für seinen Mandanten. Die Verletzungen der Frau seien nicht gravierend. Die Frage, ob der Angeklagte ihr noch weitere Verletzungen zugefügt hätte, wenn er nicht entkräftet gewesen sei, sei spekulativ. »Es ist nicht mehr passiert und es ging wechselseitig hoch her.« Dass sein Mandant »in Feuer« geraten sei, stimme so und habe womöglich mit der familienrechtlichen Situation der Trennung und seinem Sohn zu tun. »Das rechtfertigt aber nie Gewalt. Das regeln wir in Deutschland anders«, sagte Heck. (GEA)

Im Gerichtssaal

Vorsitzender Richter: Eberhard Hausch. Schöffen: Annette Jung, Thomas Hirsch. Staatsanwältin: Lisa Schall. Verteidiger: Urs-Gunther Heck. Nebenklage: Eva Wagner-Tietz. Gutachter: Professor Dr. Frank Wehner. Dolmetscher: Ali Safie. (GEA)