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Stadtspaziergang Metzingen: Der schwierige Übergang vom Krieg zum Frieden

Bei einer historischen Führung durch Metzingen erklärte der Stadtarchivar Rolf Bidlingmaier, wie die Bewohner den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit erlebt haben. Bis heute bleiben viele Schicksale ungeklärt.

Rund 30 Leute haben Stadtarchivar Rolf Bidlingmaier auf einem historischen Spaziergang durch die Stadt Metzingen begleitet.
Rund 30 Leute haben Stadtarchivar Rolf Bidlingmaier auf einem historischen Spaziergang durch die Stadt Metzingen begleitet. Foto: Bernd Ruof
Rund 30 Leute haben Stadtarchivar Rolf Bidlingmaier auf einem historischen Spaziergang durch die Stadt Metzingen begleitet.
Foto: Bernd Ruof

METZINGEN. Auf starke Resonanz stieß am Samstagnachmittag der Stadtspaziergang im Rahmen der Metzinger Friedenswochen: »Metzingen 1945 – Vom Krieg zum Frieden«. Rund 30 Interessierte hatten sich am Rathaus eingefunden, um mit Archivar Rolf Bidlingmaier auf Tour durch die Stadt zu gehen. »Es wurde zwar nicht mehr geschossen, aber der Übergang vom Krieg zum Frieden war ein schwieriger«, erklärte der Stadtarchivar. Metzingen wurde von zwei Seiten von den Alliierten besetzt. Von Reutlingen kamen laut Bidlingmaier die Franzosen, aus Richtung Nürtingen die Amerikaner.

Amtierender Bürgermeister war zu dieser Zeit Otto Dipper (1938 bis 1946), ein Zögling Wilhelm Carls (1910 bis 1934). Nach den Worten Bidlingmaiers arbeitete Dipper seit 1921 auf dem Rathaus und war ein ausgewiesener Verwaltungsfachmann. Zwar sei er Mitglied der NSDAP gewesen, habe auch deren Anordnungen ausgeführt, aber in der Bevölkerung bestanden keine Ressentiments gegen ihn. »Ansonsten wäre er nicht bis 1946 im Amt geblieben und 1954 wiedergewählt worden.«

»Verbrannte Erde« sollte hinterlassen werden

Die Situation stellte sich im März 1945 problematisch dar: Beim Näherrücken der alliierten Truppen gab es den Befehl, Panzersperren zu errichten, Brücken oder Fabriken zu zerstören, um dem Feind »verbrannte Erde« zu hinterlassen, wie es die Propaganda forderte.

Am 20. April verließen die strammen Parteigenossen Metzingen - Dipper blieb -, um das Schlimmste für seine Heimatstadt zu verhindern und schickte eine zehnköpfige Delegation nach Reutlingen, wo die Franzosen bereits einmarschiert waren. »Nur drei kamen an, einen behielten die Franzosen in Gewahrsam, die zwei anderen wurden zurückgeschickt, die sieben anderen waren schon vor Reutlingen umgekehrt«, erzählte der Archivar. Doch die Botschaft kam bei den Franzosen an: Metzingen wird nicht verteidigt. »Dipper wurde ein Stellvertreter an die Seite gestellt. Das war der Kommunist Albert Fischer Senior, der zusammen mit seinem Sohn aus dem Konzentrationslager entlassen wurde«, so Bidlingmaier.

Metzingen ist glimpflich davongekommen

Absolute Priorität hatte zunächst die Versorgung der Metzinger mit Lebensmitteln. Ein Ernährungsamt wurde eingerichtet. Außerdem fehlte es im Herbst an Brennholz zum Heizen, sodass Holz in Meßkirch eingekauft werden musste. Einen Gemeinderat gab es in den ersten Monaten nach Kriegsende nicht. Dieser wurde erst 1946 nach der Entnazifizierung gewählt, ebenso wie der Bürgermeister. Hier setzte sich Gottlob Prechtl gegen Albrecht Fischer durch.

Vom Rathaus als Startpunkt des Stadtspaziergangs ging es zur Martinskirche, auf deren Turm zu Kriegszeiten zwei Beobachter saßen und den Luftraum kontrollierten, wie aus alten Protokollen hervorgeht. Doch die Gefahr aus der Luft betraf eher Stuttgart. Metzingen wurde nur zwei Mal von Bomben getroffen: Am 9. April fielen welche auf die Schlossstraße und bei Gaenslen und Völter. Am 19. April ging eine Bombe hinter der Martinskirche nieder, eine andere in der Lederfabrik Bräuchle. »Wir sind glimpflich davongekommen«, sagte Bidlingmaier.

Viele Schicksale ungeklärt

Station drei war das Kriegerdenkmal auf dem Friedhof, wo der Stadtarchivar schilderte, was die Leute zum Kriegsende umtrieb: »Wo sind die Väter und Söhne geblieben, die in den Krieg zogen und zu denen mit dem Zusammenbruch der Post keine Verbindungen mehr bestanden? Ein sehr emotionales Thema, das in fast jeder Familie existierte«. 431 Gefallene im Krieg registrierte die Sieben-Keltern-Stadt, 212 Vermisste wurden gezählt. »Bis heute sind einige Schicksale ungeklärt«, betonte er.

Während die Metzinger Familien auf die Kriegsheimkehrer warteten, wollten 1241 Zwangsarbeiter, die zum Großteil in der kriegswichtigen Gesenkschmiede Henning, bei der Firma Boss, aber auch in der Landwirtschaft oder in den Familien arbeiten, wieder zurück in ihre Heimatländer - sei es nach Belgien, Niederlande, Frankreich, aber auch nach Polen, Ukraine oder Russland. Einige wenige blieben in der Stadt und bauten sich eine Existenz auf. »Die Rückkehrer hatten es oftmals schwerer, sie wurden in der Heimat als Kollaborateure geächtet.«

An der Eisenbahnbrücke veranschaulichte Bidlingmaier den letzten Versuch der Nationalsozialisten, die Verkehrsverbindung zu unterbrechen, was teilweise gelang. Bis 1950 konnte die Strecke zwischen Stuttgart und Tübingen nur eingleisig befahren werden. Die Unterführung in der Ulmer Straße sei damals noch sehr schmal gewesen. Sie sollte von deutschen Soldaten noch verteidigt werden: »Aber Otto Dipper hat sie weggeschickt und Schlimmeres verhindert.«

Das Luna-Theater spielte im und nach dem Krieg eine wichtige Rolle: Zuerst zu Propagandazwecken der Nazis, dann zur Aufklärung über deren Gräuel durch Vorträge oder die Wochenschau: »Das war, was das Fernsehen heute für uns ist.« Auch eine wichtige Rolle spielte das Hotel Sprandel am Bahnhof, das von den Franzosen als Verwaltungssitz in Beschlag genommen wurde. Von berechtigten Ängsten der Metzinger Frauen sprach Bidlingmaier, die Angst hatten, von den Schwarzen aus den französischen Kolonien vergewaltigt zu werden. »Es wurde sogar über die Einrichtung eines Bordells nachgedacht«, erzählte Bidlingmaier.

Die Amerikaner, die über die Grafenberger Straße nach Metzingen gekommen waren, requirierten in der Schillerstraße Wohnungen für ihre Soldaten und die Verwaltung: »Die Leute hatten gerade mal 15 Minuten Zeit, ihre Häuser zu verlassen.« Während Metzingen dann aber französische Zone blieb, zogen sich die Amerikaner nach Grafenberg zurück, Riederich war ebenfalls noch französisch, während Bempflingen wieder amerikanische Zone war. »Es gab Passierscheine und der Schwarzhandel blühte, viele nutzten die grüne Grenze, um Waren aus der amerikanischen Zone nach Metzingen zu bringen«, endete sein Vortrag. (GEA)