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Sollen einsame Ältere in Metzingen Jüngeren helfen?

Mit dem Projekt "Sorgende Gemeinschaft" (Caring & Sharing Community) will die Stadt Angebote für Senioren mehr bekanntmachen, Menschen vernetzen und Isolation vorbeugen. Es war im Gemeinderat umstritten.

»Viele ältere Menschen in der Stadt werden nicht gesehen«, sagt OB Carmen Haberstroh. Geschweige denn berührt. Darunter leiden a
»Viele ältere Menschen in der Stadt werden nicht gesehen«, sagt OB Carmen Haberstroh. Geschweige denn berührt. Darunter leiden aber etliche. Mit dem Projekt »Sorgende Gemeinschaft« will die Stadt Senioren mehr in die Gesellschaft führen - nach dem Motto Teilhabe und Teilgabe. Foto: Mascha Brichta/dpa
»Viele ältere Menschen in der Stadt werden nicht gesehen«, sagt OB Carmen Haberstroh. Geschweige denn berührt. Darunter leiden aber etliche. Mit dem Projekt »Sorgende Gemeinschaft« will die Stadt Senioren mehr in die Gesellschaft führen - nach dem Motto Teilhabe und Teilgabe.
Foto: Mascha Brichta/dpa

METZINGEN. Nur selten meldet sich Neuhausens Ortsvorsteher Günter Hau im Metzinger Gemeinderat zu Wort. In der jüngsten Sitzung tat er es vehement. »Ein Viertel der Bevölkerung ist über 60. Wir erreichen maximal 30 Prozent von ihnen«, mahnte er. Mit dem Projekt »Sorgende Gemeinschaft« (Caring & Sharing) will die Stadt Metzingen deutlich mehr ältere Einwohner ansprechen, deren Zahl durch den demografischen Wandel noch steigen wird. Und sie will sie mit den Jüngeren vernetzen. Zum beiderseitigen Nutzen.

  • Worum es bei Caring & Sharing geht

Die Stadt will unter fachlicher Begleitung des in Freiburg ansässigen Vereins Spes (Studiengesellschaft für Projekte zur Erneuerung der Strukturen) erheben, welche Bedarfe ältere Menschen in Metzingen haben. Dazu will man sie unter anderem an der Haustür aufsuchen und bei Bedarf mehr ins gesellschaftliche Leben einbinden. Bestehende Angebote, etwa den Treff am Nachmittag im Klosterhof, das Projekt TrauDe der Diakonischen Bezirksstelle oder die Gruppen des Metzinger Bürgerengagements MoBiLe, sollen bekannter gemacht werden, ältere und jüngere Generationen vernetzt, möglicherweise neue Angebote und »neue Formen eines Hilfemix von Professionellen und Ehrenamtlichen geschaffen werden«, wie Peter Nißle von der Stadtverwaltung erläutert. Teilhabe und Teilgabe sind angesagt.

  • Was die Befürworter sagen

»Die über Sechzigjährigen haben in der Vergangenheit nicht so viele Fürsprecher gehabt«, sagt OB Carmen Haberstroh. Das soll sich ändern. Auch zum Wohl der Jüngeren und der Vereine. Die haben oft Personalbedarf. Günter Hau, der auch Vorsitzender des Liederkranzes Neuhausen ist, gibt ein Beispiel: »Für das Offene Singen im Bindhof bräuchten wir Leute, die Kuchen backen und Stühle aufstellen.« Dann könnte der beliebte Treff, der während der Pandemie eingeschlafen ist, vielleicht wiedererwachen. »Mir ist es unglaublich wichtig, dass wir auf die Veränderungen gut vorbereitet sind«, betont die Rathauschefin, die bis 2035 knapp ein Drittel der Metzinger Einwohner über 60 sieht - 1.100 oder 17 Prozent mehr als heute.

Auch das generationenübergreifend geliebte Neuhäuser Weinfest will erstmal gestemmt werden.  Karl Schäfer (links), Günter Hau un
Auch das generationenübergreifend geliebte Neuhäuser Weinfest will erstmal gestemmt werden. Karl Schäfer (links), Günter Hau und Gerhard Fritz vom Liederkranz Neuhausen haben jahrelange Erfahrung in der Organisation des Festes. Foto: Mara Sander
Auch das generationenübergreifend geliebte Neuhäuser Weinfest will erstmal gestemmt werden. Karl Schäfer (links), Günter Hau und Gerhard Fritz vom Liederkranz Neuhausen haben jahrelange Erfahrung in der Organisation des Festes.
Foto: Mara Sander

»Es ist eine Investition in die Zukunft von älteren Menschen«, findet Grünen-Rat Klaus Rümmelin, »viele vereinsamen, brauchen im Alter Sozialkontakte.« Und viele Vereine brauchen jede helfende Hand, was Rümmelin, der im Neuhäuser Posaunenchor mitbläst, aus eigener Erfahrung weiß. »Jeder Verein hat das Problem, Nachwuchs-Verantwortliche zu finden.« Fitte Senioren könnten einspringen, auch solche, die bisher noch nicht im Verein sind.

  • Was Skeptiker meinen

FWV-Rat Hans-Joachim Polte sah zunächst wenig Bedarf für das neue Projekt. »Wir sind in Metzingen sehr gut aufs Alter vorbereitet.« Zum Beispiel durch das Haus Matizzo, MoBiLe (»dort gibt es von Hilfe bis zu Spaziergängen alles«), die Nachbarschaftshilfe, die IG Neugreuth, das TrauDe-Projekt der Diakonischen Bezirksstelle, das speziell Ältere mehr aus den eigenen vier Wänden holen möchte, oder »den tollen Seniorenwegweiser«. Die »unglaubliche Angebotsvielfalt in der Stadt« bestreitet der Erste Bürgermeister Patrick Hubertz nicht, wagt aber einen Blick in die Zukunft: »Auf der einen Seite werden es weniger, auf der anderen mehr.« Gemeint sind die Anbietenden und die Angebotsempfänger. Die Alt-Jung-Schere geht auf.

Poltes Fraktionskollegin Sofie Basagiorgis-Digel hatte »Angst um die bestehenden Organisationen. Wir müssen gucken, was WIR machen und sollten erstmal in den eigenen Reihen suchen.« Schauen, welche Angebote nicht (mehr) angenommen werden, nachdem etwa in der Corona-Zeit viele ältere Gruppenmitglieder oder Besucher weggeblieben sind. Und sie gegebenenfalls aus eigener Kraft neu ausrichten.

Auch das Projekt TrauDe kann noch bekannter werden. Anja Beck von der Diakonischen Bezirksstelle  berät Seniorinnen und Senioren
Auch das Projekt TrauDe kann noch bekannter werden. Anja Beck von der Diakonischen Bezirksstelle berät Seniorinnen und Senioren unter anderem zu gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten, Hilfe in materiellen Lebenslagen und beruflichen Fragen. Foto: Markus Pfisterer
Auch das Projekt TrauDe kann noch bekannter werden. Anja Beck von der Diakonischen Bezirksstelle berät Seniorinnen und Senioren unter anderem zu gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten, Hilfe in materiellen Lebenslagen und beruflichen Fragen.
Foto: Markus Pfisterer
  • Wie abgestimmt wurde und wie es weitergeht

Die kritischen Stadtratsstimmen führten letztlich nicht zu einer Ablehnung des Caring-&-Sharing-Projekts: Bei zwei Enthaltungen aus den Reihen der Freien Wähler stimmte die große Ratsmehrheit dafür. Polte zog sein angekündigtes Nein nicht durch. Auch im Ortschaftsrat Glems hatte sich eine Mehrheit gefunden, das Ergebnis im Ortschaftsrat Neuhausen fiel sogar einstimmig aus. Nach dem Gemeinderatsbeschluss werden quartiersbezogen Initiativgruppen gebildet, die ältere Menschen aufsuchen und ihre Bedarfe ermitteln sollen. Diese sollen später zusammengefasst und zu einem Leitbild der städtischen Seniorenpolitik werden.

  • Wie es mit den Kosten aussieht

135.000 Euro kostet das Projekt, mit 85.000 Euro sind über die Hälfte davon für die externe fachliche Begleitung durch den Verein Spes gedacht. Die Stadtverwaltung will beim Land einen Antrag auf Förderung stellen. Diese könnte bei 85.000 Euro liegen. Losgehen soll es im Mai. Das Projekt »Sorgende Gemeinschaft« ist vorerst auf zwei Jahre befristet. (GEA)