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Nackter Mann rastet in Neuffen aus: Was dahinter steckt

Ein psychisch kranker Mann lief nackt durch Neuffen und ging Passanten an. Boulevardmedien und rechte Blogs machten daraus eine Angstgeschichte. Polizei, Bürgermeister und Zeugen widersprechen.

Ein nackter und aggressiver Mann in der Neuffener Ortsmitte sorgte bundesweit für Schlagzeilen.
Ein nackter und aggressiver Mann in der Neuffener Ortsmitte sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Foto: Mara Sander
Ein nackter und aggressiver Mann in der Neuffener Ortsmitte sorgte bundesweit für Schlagzeilen.
Foto: Mara Sander

NEUFFEN. Unfreiwillig ist das beschauliche Neuffen bundesweit in die Schlagzeilen geraten. »Kleinstadt hat Angst vor nacktem Flüchtling«, titelte die Bild-Zeitung über einen Vorfall vom vergangenen Donnerstag. Laut dem Bericht soll in der 6.000-Einwohner-Gemeinde »schon länger« Angst vor dem Mann herrschen, der sich auf der Straße auszog und randalierte. Bürgermeister Matthias Bäcker und Bürger, die ihn kennen, nennen das übertrieben und falsch.

Mittendrin im Geschehen war Alexander Spring, Wirt des Hotel-Restaurant Traube. »Er stand plötzlich am frühen Morgen vor unserer Haustür, schrie herum und sprang auf Autos«, erzählt er im Gespräch mit dem GEA. »Eine Frau wollte ihn beruhigen, aber er war völlig außer sich. Ich habe sie gebeten, schnell reinzugehen und die Tür zuzumachen.«

Dann zog sich der Mann aus, warf sein Handy in einen Brunnen und rannte »wie wild« durch die Ortsmitte. Spring rief die Polizei. Kurz darauf hörte er Hilferufe: Ein älterer Passant lag am Boden, der nackte Mann hatte einen Fuß auf ihn gestellt. Spring ergriff die Initiative. Zusammen mit einem weiteren Augenzeugen zog er den aggressiven Mann von seinem Opfer weg. Sie hielten ihn fest, bis die Polizei wenige Minuten später eintraf.

»Das ist der größte Schwachsinn, den ich hier erlebt habe«

Die Beamten nahmen den 36-Jährigen ohne Widerstand fest. Gegen ihn wird wegen des Verdachts der Körperverletzung ermittelt, weil er den Passanten gestoßen haben soll. »Ob es wirklich Körperverletzung war, entscheidet ein Gericht«, erklärt Polizeisprecher Christian Wörner. Zuvor habe der Mann Passanten sowie Schul- und Kindergartenkinder in aggressiver Weise angesprochen, heißt es im Polizeibericht. Der psychisch auffällige Mann wurde in eine Fachklinik gebracht und dort stationär aufgenommen. Niemand wurde verletzt, auch Sachschäden sind nicht bekannt.

Für die Beteiligten war die Geschichte damit beendet – bis ein Video des nackten Mannes in sozialen Medien auftauchte. Die Bild-Zeitung machte daraus eine große Geschichte über einen »Flüchtling, der immer wieder zuschlage«. Rechte Blogs griffen das auf, forderten die Abschiebung des Mannes und sprachen von kollektivem Politik- und Behördenversagen.

Tatsächlich hatte es im Januar bereits einen Vorfall gegeben: Der Mann war damals laut Polizei »in einem psychischen Ausnahmezustand«. Er hatte Gegenstände aus dem Fenster seiner Wohnung in einem Mehrfamilienhaus geworfen, war auf ein Vordach eines benachbarten Geschäfts geklettert und schließlich heruntergesprungen – ohne sich schwer zu verletzen. Ansonsten, so die Pressestelle, sei der 36-Jährige nicht polizeilich auffällig geworden.

Auch Bürgermeister Bäcker bestätigt: Bis dahin sei er dem Ordnungsamt »nicht negativ aufgefallen«.
Dass der Mann seit Langem Angst verbreite, wie Bild behauptet, sei eine Lüge. »Das, was da gerade durch die überregionalen Medien geht, ist der größte Schwachsinn, den ich hier erlebt habe«. In Neuffen gehe keine Angst um, betont er: »Niemand muss sich bei uns unsicher fühlen.«

»Der Mensch ist krank. Ihm muss geholfen werden, statt gegen ihn zu hetzen«

In der Bild behauptet ein Nachbar, der Mann habe auch bei ihm nackt vor der Tür gestanden und immer wieder Passanten belästigt. Mehrmals habe man die Polizei rufen müssen. Ein anderer Nachbar bestätigt das auf GEA-Anfrage nicht: »Uns ist außer den zwei Vorfällen nichts zu Ohren gekommen.« Mehrere Anwohner berichten der Nürtinger Zeitung, der Mann gehe einer geregelten Arbeit nach und sorge selbst für seinen Lebensunterhalt. Einer beschreibt ihn als »anständigen Menschen«, der selbst wisse, dass er Hilfe brauche.

In den sozialen Medien fordern manche, den Mann abzuschieben oder polizeilich zu überwachen. Dafür gibt es laut Polizei keinen Anlass. »Er ist ein Mann, der hier ganz normal wohnt und arbeitet. Es gibt keinen Grund, ihn zu überwachen«, sagt Wörner.

Für Augenzeuge Alexander Spring steht fest: »Natürlich kann es ein Problem werden, wenn er wieder ausrastet. Aber das Ganze wird zu sehr aufgebauscht. Man kann Menschen nicht an den Pranger stellen, ohne ihre Geschichte zu kennen.« Er ist überzeugt: »Der Vorfall hat nichts mit seiner Herkunft zu tun. Der Mensch ist krank. Ihm muss geholfen werden, statt gegen ihn zu hetzen.«

Was ihn am meisten ärgert: »Dass die meisten nur gegafft haben und lieber ihr Handy gezückt haben, als zu helfen.« Große Gefahr habe ohnehin nicht bestanden: »Er war ja nackt – da konnte er keine Waffe bei sich haben.« (GEA)