DETTINGEN. Nachfolger verzweifelt gesucht: Seit 2017 versuchte Eugen Kramer jemanden zu finden, der die Leitung der Ortsgruppe Bad Urach des Schwäbischen Albvereins übernimmt. Bislang vergeblich. Also hat er weitergemacht wie seit seinem Amtsantritt 1998: Mit voller Kraft, energiegeladen und ideenreich. »Ich wollte die Ortsgruppe ja nicht im Stich lassen«, begründet er sein stetes Weitermachen. Den Bettel einfach hinzuschmeißen, wie der Schwabe so sagt, sei noch nie sein Ding gewesen – er habe ja die Verantwortung für die Ortsgruppe gehabt: »Wir sind ja ein Traditionsverein, den gibt man nicht einfach so aus der Hand«. Nun ist’s so weit: Der im August 75-Jährige kann loslassen, seine Nachfolge ist geregelt und ein im Grund langgehegter Wunsch erfüllt sich damit.
Doch seine Gefühle seien durchaus ambivalent und sein Innerstes aufgewühlt, wie er zugibt. »Ich kann nun auch mal etwas beenden«, erklärt Eugen Kramer, das werte er als positiv. Vor allem mit Blick auf seine angeschlagene Gesundheit, er müsse kürzertreten. Doch der »personifizierte Albverein«, wie er mal von Bürgermeister Elmar Rebmann bezeichnet wurde, ist sich noch nicht sicher, wie er mit dem »Nicht-mehr-gebraucht-Werden« umgehen wird: »Ich weiß, dass es etwas mit mir machen wird, aber ich kann noch nicht einschätzen, was.«
Ein Leben ohne den Albverein? Daran kann sich Eugen Kramer kaum erinnern. Schon als kleiner Steppke nahm seine Tante ihn und seine Schwester mit auf Ausflüge der Ortsgruppe, da die Eltern berufsbedingt wenig Zeit hatten – sie führten die Bahnhofsgaststätte. Von dort aus war es nicht weit bis zum Tiergartenberg, wo sich Klein Eugen mit den Nachbarsbuben das ganze Jahr spielend aufhielt – da sei wohl seine Liebe zur Natur entfacht worden. Auch kann sich Eugen Kramer noch ganz genau erinnern, wann der »Albvereins-Virus« endgültig und intensiv auf ihn übergesprungen sei: 1962 war’s bei einem Albvereins-Zeltlager. Er hat die großen Wanderungen, das Zusammensein am Lagerfeuer oder auch die Volkstänze nie vergessen: »Das hat mir unheimlich gut gefallen und hat mich auch geprägt.«
Über 50 Jahre Ehrenamt
Was folgte, war ein bis heute andauerndes Engagement für die Ortsgruppe, den Ermsgau und den Gesamtverein, das seinesgleichen sucht und 2021 mit der selten verliehenen Landesehrennadel des Ministerpräsidenten für über 50-jährige ehrenamtliche Tätigkeit durchaus einen Höhepunkt fand. Vor etwa sechs Jahren sei er bewusst in sich gegangen und habe seine vielseitigen Tätigkeiten aufgelistet: »Ich war selbst überrascht, wie viel es ist und seither kam immer wieder etwas dazu«, meint er lachend. 1972 war’s als Eugen Kramer den Posten des Jugendgruppenleiters in der Ortsgruppe übernahm, von 1973 bis 1986 wirkte er in dieser Position im Ermsgau. 1981 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden in Bad Urach gewählt, das mündete 1998 in die Vereinsführung. In diesen Jahrzehnten organisierte er so vieles und vor allem völlig unterschiedliches. Unter anderem Wanderungen, Ausflugsfahrten, Ausstellungen, Mundartabende, Vorträge – gerne über Trachten, diese Abende sind legendär - und Jubiläen. Persönlicher Höhepunkt sei das dreitägige Landesfest 2011 gewesen.
Kreative Ideen umsetzten, neue Akzente setzten: Von Eugen Kramer gingen immer viele Impulse aus. Doch eines ließ dabei nie nach: Die große Lust am Wandern. Bis heute ist er gerne auf Schusters Rappen unterwegs. Und so wird der engagierte Albvereinler auf jeden Fall noch dieses Jahr unter dem Dach der Ortsgruppe weiterhin Wanderführungen anbieten, wenn gewünscht auch das kommende. Aus der regionalen und landesweiten Verantwortung hat er sich bereits nach und nach zurückgezogen, die von ihm 2010 initiierte Landeswimpelwanderung werde er auf jeden Fall weiterführen.
Viele Leidenschaften
Eugen Kramer bekommt ein Mehr an Freizeit dazu, aber die weiß er auszufüllen. Die Interessen des noch 74-jährigen ehemaligen Bankangestellten sind nämlich breit gefächert: »Die Lust, etwas zu tun ist noch da«, gibt der Macher zu, »Ich bin einfach ein Organisator und will etwas bewegen.« Seit 42 Jahren organisiert der bekennende Opern- und Ballettfan Konzert- und Theaterfahrten, er fotografiert leidenschaftlich gerne und setzt sich viel lesend mit zeitgeschichtlichen Themen, Kunstgeschichte, aber auch Religion und Psychologie auseinander. Da wäre auch noch Hans Helfersdorfer, seit seiner Kindheit bis zu dessen Tod hatte Kramer eine enge Beziehung zu dem Uracher Künstler. Unzählige Werke und Skizzen sind in Krames Besitz, die gilt es zu sichten und – das sei nicht auszuschließen – es könne durchaus eine Ausstellung dabei rauskommen. Er hoffe, dass die Gesundheit stabil genug für Reisen bleibe. Indien, Jordanien und ein dreimonatiger Sprachaufenthalt in Kapstadt hätten seine Neugierde auf die weite Welt geweckt, die Seychellen oder auch Japan und Australien und Neuseeland würde er gerne noch besuchen.
Eine Mammutaufgabe werde das Erstellen des weit verzweigten Stammbaums seiner Eltern werden. Bereits seit dem 13. Jahrhundert habe die Familie seines Vaters in Urach gelebt und auch wenn er seit 39 Jahren in Dettingen lebe, sei er im Herzen eines geblieben: Uracher. Diese Heimatliebe habe ihn stets motiviert, sich ehrenamtlich einzubringen: »Ich wollte auch für die Stadt als gesamtes etwas tun.« Seinen Nachfolgern übergibt er eine geordnete Ortsgruppe, deren Aktivitäten in den vergangenen Jahrzehnten von ihm akribisch und bildreich dokumentiert wurden. Derzeit ordnet Kramer sämtliche Unterlagen, die vielen Plakate und was noch alles angefallen ist: »Da werde ich durchaus wehmütig.« Eines sei ihm wichtig für die Zukunft der Bad Uracher Ortsgruppe: »Die Seele des Albvereins darf nicht verloren gehen. Natur, Heimat, Wandern und Kultur sollen weiterhin eine Rolle spielen.« Er wisse, dass er große Fußstapfen hinterlasse und er habe seinen Nachfolgern geraten, ihren eigenen, individuellen Weg zu finden. Wenn er um Rat gefragt werde, unterstütze er das Vorstands-Team gerne. Doch ansonsten sei er künftig eines: ein ganz normales Mitglied, aber ein bekennendes. »Der Albverein ist mein Leben.« (GEA)