METZINGEN/STANFORD. Vor drei Jahren war Steven Dillmann auf der Spur der Mars-Wolken. Mit Maschinen, Künstlicher Intelligenz. In Diensten der US-Weltraumbehörde Nasa. Jetzt hat der junge Wissenschaftler, der in Bad Urach geboren und in Metzingen aufgewachsen ist, mit einem Forschungsteam der Stanford University eine spektakuläre Entdeckung im Weltall gemacht: eine rätselhafte kosmische Explosion.
Auch auf die Spur des Strahlungsausbruchs kam das Team mithilfe von KI. Dillmann und seine Mitstreiter befassten sich mit Daten aus dem Archiv des Weltraumteleskops Chandra der Nasa. Beim Scannen der Daten kam maschinelles Lernen zum Einsatz. »Die KI isoliert besonders schnelle, extragalaktische Röntgenstrahlen vom Rest der großen Datenmengen«, erklärt Steven Dillmann, »das entdeckte Phänomen war Teil dieser isolierten Daten und ist seit einigen Jahren unbemerkt geblieben - bis jetzt durch KI!«
»Es war ein unglaublich energiereicher Ausbruch, der nur zehn Sekunden andauerte «
Das Team war überrascht. »Haben Sie schon einmal in alten Fotoalben geblättert und plötzlich etwas Faszinierendes im Hintergrund eines Bildes entdeckt, das niemandem zuvor aufgefallen war?«, zieht der Mittzwanziger einen Vergleich, »stellen Sie sich das einmal im kosmischen Maßstab vor.«
Dillmann und seine Crew haben »einen starken Röntgenstrahl von einem Objekt außerhalb unserer eigenen Galaxie entdeckt«, berichtet Dillmann und freut sich: »Es ist ein echtes Nadel-im-Heuhaufen-Ereignis«. Am 15. Mai 2020 hatte Chandra die Überreste eines explodierten Sterns in der Großen Magellanschen Wolke beobachtet, einer kleinen Satellitengalaxie der Milchstraße. Dabei erfasst das Nasa-Teleskop versehentlich auch den Röntgenstrahl unbekannter Herkunft.
Worum es sich bei dem hellen Strahl handelt, ist dem Forschungsteam noch unklar. Möglicherweise war es ein Röntgen-Burster, ein Ausbruch im Bereich der Röntgenstrahlung. Es könnte sich aber auch um den seltenen Ausbruch eines Magnetars (ein Neutronenstern) handeln oder um ein bisher komplett unbekanntes Phänomen. Fest steht für Steven Dillmann und sein Team, dass es sich um ein kurzes Geschehen handelte: »Ein unglaublich energiereicher erster Ausbruch, der nur zehn Sekunden andauerte - während andere Ausbrüche Minuten oder Stunden dauern«.
Bedeutsam ist Dillmanns Anteil am Ganzen. »Die KI und die Entdeckung sind aus meiner Thesis (wissenschaftliche Abschlussarbeit, Anm. d.Red.) hervorgegangen, die ich als Austausch-Student an der Harvard University geschrieben habe«, blickt er auf das erste Halbjahr 2023 zurück. Die Arbeit hat mittlerweile auch in einem wissenschaftlichen Artikel gemündet. Die weiteren Mitglieder von Dillmanns Forschungsteam sind Wissenschaftler am Center for Astrophysics (Teil der Harvard University) und dem Nationalen Institut für Astrophysik in Italien. Sie waren seine Betreuer - was die KI-Entwicklung und was die Astronomie angeht.
»Unsere Entdeckung erinnert uns daran, dass der Weltraum sich ständig verändert«
Die Verbindungen nach Metzingen hält der junge Weltraumforscher nach wie vor lebendig. Das war während seiner Zeit als 23-jähriger Forschungspraktikant bei der Nasa im Sommer 2022 so und ist es bis heute. Seine Oma und sein Opa, Margarita (»Rita«) und Stanislav Lasevic, wohnen bis heute in der Sieben-Keltern-Stadt. Sie sind zu ihrem Enkel geflogen, als der 2023 seinen Abschluss »MEng in Aeronautica with Spacecraft Engineering« am Imperial College London ablegte.
Es folgte das Masterstudium »MPhil in Data Intensive Science« an der University of Cambridge, das er 2024 abgeschlossen hat: Dillmann entwickelte KI-Methoden für die Gravitationswellen-Physik. Seine anschließende Doktorarbeit hat den Ex-Metzinger zurück nach Kalifornien geführt, an die Stanford University. Auch hier liegt sein Forschungsschwerpunkt auf KI-Modellen, »um neue wissenschaftliche Entdeckungen zu ermöglichen und zu beschleunigen« - in der Biologie genauso wie in der Astronomie oder den Neurowissenschaften.
Die KI, ist Steven Dillmann sicher, wird weitere Funde in archivierten astronomischen Daten mit sich bringen. »Unsere Entdeckung erinnert uns daran, dass der Weltraum dynamisch ist und sich ständig verändert«, sagt er zum ersten Fund. Dynamisch immer wieder auch mit Phänomenen wie dem Strahlungsausbruch, den die Forschenden im Nasa-Archiv entdeckt haben. (GEA)