KREIS REUTLINGEN. Ein ziemlich dicker Schmöker ist der Nahverkehrsplan, den der Kreistag in seiner jüngsten Sitzung in der Wannweiler Uhlandhalle einstimmig gebilligt hat. Detailliert wird im Plan aufgelistet, wie der öffentliche Personennahverkehr der Zukunft aussehen soll im Landkreis Reutlingen, der die Ziele Klimaschutz und Nachhaltigkeit ganz weit oben auf seine Fahne geschrieben hat.
Die Wünsche der ÖPNV-Nutzer sind klar: ein flächendeckendes Angebot, ein möglichst enger Takt bei den Fahrzeiten und eine gute Anbindung auch des ländlichen Raums. Der Erfüllung aller Wünsche stehen indes die Kosten im Weg. Um beides bestmöglich unter einen Hut zu bringen, haben Kreisräte, Vertreter der Städte und Gemeinden, Verkehrsunternehmen und Experten aus der Verwaltung plus ein externes Beratungsunternehmen viel Hirnschmalz investiert. Weitere Anregungen kamen in der öffentlichen Anhörung, die anlief, nachdem der Kreisausschuss für technische Fragen und Umweltschutz im November den Plan gutgeheißen hatte. Zum Teil wurden Vorschläge schon eingearbeitet, andere kommen noch in Detailplanungen zum Tragen.
Umfangreiches Werk
»Da steckt richtig viel Arbeit drin«, sagte Landrat Dr. Ulrich Fiedler zu dem »umfangreichen Werk«. Es enthält nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen des ÖPNV samt Finanzierungsmöglichkeiten sowie eine Bestandsaufnahme aller Schienen- und Buslinien im Kreis inklusive kommunaler Angebote wie Bürgerbusse, sondern blickt auch in die Zukunft: auf die Nachfrageentwicklung zum Beispiel, aber auch auf technische Fortschritte und die Digitalisierung. Themen wie autonomes Fahren oder On-Demand-Verkehr könnten langfristig auch im Kreis eine (größere) Rolle spielen. Der Nahverkehrsplan, so Fiedler, setze mit »habhaften Empfehlungen« den Rahmen für die Entwicklung der Mobilität in den nächsten Jahren, besitze aber genug Offenheit, um auf Veränderungen reagieren zu können.
Hans-Jürgen Stede, Leiter des Nachhaltigkeitsdezernats, nannte den Plan einen »Kompass für die nächsten Jahre«, der den Landkreis in Sachen nachhaltige und zukunftsweisende Mobilität auf Kurs halten soll. Dazu gehören Mindestbedienstandards für den Umfang der ÖPNV-Angebote und auch für deren Qualität. Barrierefreiheit ist dabei genauso ein Kriterium wie der Abgasausstoß der eingesetzten Fahrzeuge: Hier werden die Anforderungen höher geschraubt.
40 Arbeitsaufträge
Konkret sind im Plan 40 Arbeitsaufträge enthalten, die die Verwaltung abarbeiten muss und will. Nicht alles kann sofort erledigt werden – auch aus Kostengründen. Denn dass ein verbesserter ÖPNV teurer wird, steht außer Frage. Um beispielsweise die Bushaltestellen barrierefrei zu machen, ist eine Menge Geld nötig. Hier wird man eine Priorisierung vornehmen, welche zuerst dran sind.
Nicole Reichardt vom Kreisamt für nachhaltige Entwicklung ging auf Details des Plans ein. Welche Strecken müssen wie oft bedient, welche Haltestellen in welchem Takt angefahren werden? Im Nahverkehrsplan sind die ÖPNV-Achsen des Kreises in drei Kategorien eingeteilt: Die Kategorie 1 wird unter der Woche tagsüber im Halbstundentakt bedient, die anderen abgestuft weniger oft. Zur Kategorie 1 gehören die Achsen Reutlingen– Lichtenstein – Engstingen und Reutlingen – Eningen. Für die besseren Standards müssen insgesamt pro Jahr im Regionalbusverkehr rund 176.000 Kilometer mehr gefahren werden, weitere 608.000 Kilometer kommen im Anmeldeverkehr hinzu.
Sechs Linienbündel
Die Busstrecken im Kreis sind in sechs Linienbündeln zusammengefasst, die wirtschaftlich starke und schwache Linien umfassen. Damit will man »Rosinenpickerei« seitens der Verkehrsunternehmen verhindern, aber auch die Laufzeiten der Verträge harmonisieren.
Die Fraktionen im Kreistag lobten den Nahverkehrsplan. Die Mobilität sei ein »politisch sehr spannendes Thema«, sagte Bad Urachs Bürgermeister Elmar Rebmann (SPD). Für die anstehende kostspielige Verbesserung des ÖPNV, der auch große Bedeutung für den Tourismus habe, hofft er auf finanzielle Hilfestellung von Bund und Land. Ein wichtiges Teil im Mobilitätspuzzle sei die Regionalstadtbahn: Es müsse alles getan werden, um dieses Projekt zügig umzusetzen.
Silke Höflinger, die Walddorfhäslacher Bürgermeisterin, attestierte dem Plan im Namen der Freien Wähler »Ausgewogenheit«. Es gelte, die Nachfrage bei den unterschiedlichen Nutzergruppen von Schülern über Berufspendler bis zu den Senioren im Blick zu haben und eine bessere Vernetzung über die Kreisgrenzen hinaus anzustreben. Der nördliche Landkreis brauche eine gute Anbindung an den Raum Stuttgart. Hagen Kluck (FDP) pflichtete dem bei. Eine S-Bahn-Verlängerung bis zum Schönbuch wäre ein Meilenstein, und: »Wir brauchen Schienen auf die Alb«.
Interregionale Zusammenarbeit
Rainer Blum (Grüne) wies auf die Veränderungen hin, die die Corona-Pandemie dem ÖPNV beschert habe. Die Grünen fordern, »schnell und mutig« die Verkehrswende anzugehen. Florian Weller (CDU) findet es wichtig, innovative Ideen in die Entwicklung der Mobilität im Kreis einzubeziehen:»Was tut sich abseits der Technologien, die wir heute kennen?« Ingo Reetzke (AfD) sprach das »Entwicklungspotenzial im Norden« an. Viele quälten sich mit dem Auto auf vollen Straßen zum Arbeitsplatz im Großraum Stuttgart, »die Leute würden gerne auf die Schiene umsteigen«. Die interregionale Zusammenarbeit sei beim ÖPNV wichtig. (GEA)

