BAD URACH/CARRACAS. Die Freiheit ist ein hohes Gut,
d’rum seid stets voller frohem Mut,
glaubt fest an sie, gebt niemals auf,
doch bleibt nicht steh‘n und wartet drauf."
Mit diesen vier Zeilen endet eine Weihnachtsgeschichte, die Nicolas Fandrey für seine gute Freundin Katharina Maichle geschrieben hat. Die gebürtige Bad Uracherin sitzt nach wie vor in einem Gefängnis in Venezuela. Wegen angeblichen Besitzes von 561 Gramm Marihuana waren sie und ihr Freund Ende 2021 im Grenzgebiet zu Kolumbien verhaftet worden. Später wurden sie von einem Amtsgericht zu zwölf Jahren Haft verteilt. Die Richterin stützte sich auf eine einzige belastende Zeugenaussage, die per WhatsApp-Videocall im Gericht auftauchte. Es gab auch etliche andere.
Den Glauben an die Freiheit hat Maichle, die im August 30 Jahre alt geworden ist, nicht verloren. Ihre Unterstützer, zu denen in erster Linie ihre Eltern und Margit Amon gehören, ebenso wenig. »Wir hoffen immer noch, dass sie bis Weihnachten frei ist«, sagt Amon im Gespräch mit dem GEA. Fast wortgleich klang die Hoffnung schon vor einem Jahr. Sie gründet sich auf die anhaltenden diplomatischen Bemühungen, die Gespräche zwischen dem Auswärtigen Amt in Berlin und Vertretern der venezolanischen Regierung. Auch wenn die Verbindungen zwischen den beiden Staaten kompliziert sind. Aber: »Weihnachten ist ein Topos für Gnade.« Um Gnade in Form von einer humanitären Lösung ginge es, für eine in den Augen der venezolanischen Gerichte Schuldigen, die ihre Unschuld beteuert. »Wir warten auf Antworten aus Caracas«, sagt Margit Amon, die regelmäßig im Austausch mit dem Auswärtigen Amt in Berlin steht, derzeit wöchentlich.
»Weihnachten ist ein Topos für Gnade - Margit Amon aus Katharina Maichles Unterstützerkreis«
Den Rechtsweg beschreiten Maichles Verbündete auch weiterhin. Den Supreme Court haben sie über einen neuen venezolanischen Anwalt angerufen, das höchste Gericht Venezuelas, nachdem das Berufungsgericht »zu aller Schock« monatelang nach der Verhandlung mit seinem Anfang Juni veröffentlichten Urteil die Amtsrichterin bestätigt hatte. Zwölf Jahre Haft stehen weiterhin auf dem Papier und im Raum. Seit zwei Jahren und ein paar Tagen sitzt die in Steinhilben Aufgewachsene schon hinter Gittern.
Erst seit vergangener Woche haben sich die Haftbedingungen der Dreißigjährigen verbessert, nach etlichen Bitten darum. »Sie hat jetzt ein eigenes Bett,« informiert ihre Unterstützerin. In einer Dreierzelle im Frauengefängnis Inof bei Caracas. Vorher hatte Katharina Maichle sich ein 80 bis 90 breites Singlebett mit einer anderen Inhaftierten zu teilen, lag die eine mit dem Kopf an einem Bettende, die andere am anderen. »Sie konnten sich nicht leiden.« An Schlaf war wenig zu denken. Zumal »die Latinas öfter bis drei Uhr nachts Party machen«. Was sie nicht dürfen, aber trotzdem tun.
Wie kommt Maichle mit den Nichtnächten, mit dem ständigen Hoffen und Bangen und ihrer unsicheren Zukunft, mit der Inhaftierung trotz Unschuldigfühlen klar? »Es gibt psychische Auf und Abs«, offenbart Margit Amon, die selbst Resilienzseminare gibt und Burn-out-Prävention betreibt, »aber sie hat eine Grundstärke, große Kraft und Disziplin.« Ist eine Kämpferin, die sich im Kampf schon als Jugendliche geübt hat: »Sie hat im Karate an internationalen Meisterschaften teilgenommen.«
»Es gibt psychische Auf und Abs, aber sie hat eine große Grundstärke - Margit Amon«
Im Inof-Gefängnis bei Caracas zeigt sich Maichles Disziplin im Tagesablauf. Um 6 Uhr morgens steht sie auf, gibt im Lauf des Tages Mitgefangenen Englisch-Stunden. »Dadurch kann sich ihre Strafe verkürzen.« Die Deutsche füllt und strukturiert ihre Tage, so gut es geht. Auch durch immer mehr Musizieren. »Sie lernt jetzt Cello.« Die Querflöte hat die 30-Jährige seit ihrer Jugend begleitet, sie spielt sehr gut, ist schon solistisch mit Orchesterbegleitung in Konzerten aufgetreten. Die Haftanstalt legt viel Wert auf die Musik, nicht ohne positive Absicht. »Sie wollen aus jeder Gefangenen einen besseren Menschen machen.« Klänge und Instrumentalspiel vernetzen ganze Gehirnregionen, verknüpfen Menschen, entfalten Kräfte, führen in die Harmonie, in die eigene innere Mitte. Auch bei Inhaftierten wie Katharina Maichle, die sich freilich gar keiner Schuld bewusst ist.
Auch ihr Freund, mit dem sie Ende 2021 im Grenzgebiet zwischen Venezuela und Kolumbien aus einem Bus heraus verhaftet wurde, sitzt weiterhin in Haft, in einem Männerknast. »Ein Urteil für beide mit zwölf Jahren Haft hieße doch eigentlich, maximal sechs Jahren für jede und jeden«, rechnet Margit Amon herunter. Doch so ist es nicht in dem südamerikanischen Staat. Stattdessen steht bei beiden die zwölf. Es ist nicht der einzige Verfahrensfehler, den die Unterstützer der Deutschen beklagen. Zur Verfolgung ihrer Rechte hat die Familie inzwischen den weithin bekannten Anwalt Dr. Nikolaos Gazeas eingeschaltet, der auch den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny verteidigt und »gut vernetzt mit der Politik ist.«
Sollten alle gerichtlichen und diplomatischen Bemühungen nicht weiterführen, könnten Maichles Vertraute immer noch deren Auslieferung zur Strafvollstreckung nach Deutschland beantragen. Dazu müsste sie allerdings eine Schuld einräumen und eine Tat gestehen, die sie nach eigenem Bekunden nicht auf sich geladen hat. Und sie müsste auch hierzulande weiterhin bis zu zehn Jahre Strafe absitzen. (GEA)
Spendenaufruf, Weihnachtsgeschichte und Musik
Zur Finanzierung der hohen Anwaltskosten im Verfahren vor dem Supreme Court sind Katharina Maichle und ihre Unterstützer weiterhin auf Spenden angewiesen. Nähere Infos gibt es im Internet. Im Raum steht ein zukünftiger Betrag von 30.000 Euro. 60.000 Euro Anwaltsgebühren sind bereits bisher angefallen. Die Webseite führt per Link auch zur Weihnachtsgeschichte, die Nicolas Fandrey eigens für Maichle geschrieben hat, und zu einem Video von einem Gefängnis-Konzert, in dem sie mitgespielt hat. (pfi)