RÖMERSTEIN. Wer in der vergangenen Zeit auf der Landstraße zwischen Böhringen und Donnstetten unterwegs war, dem dürfte das schnuckelige Heim der kleinen Wichtel aufgefallen sein. Seit Montag kann hier am Römersteinturmparkplatz - inmitten von Bäumen und Feldern - getobt, entdeckt und gelernt werden. Die fehlenden Plätze in der Kinderbetreuung stellte die Kommune - gerade in der aktuellen Zeit - vor große Herausforderungen. Mit dem Baustart im Juni hat sich nicht nur Römersteins Bürgermeisterin Anja Sauer eine Vision erfüllt. Auch für die Erzieherinnen Karin Beck, Jessica Hildebrand, Yvonne Rittler und Anja Niethammer wird ein Traum Wirklichkeit.
»Wie Pflanzen Licht brauchen zum Wachsen, braucht ein Kind Liebe, Freiheit und Wurzeln« beginnt Anja Sauer ihre Rede vor dem Publikum, bestehend aus zahlreichen Besuchern, der Landtagsabgeordneten Cindy Holmberg, einigen Ortsvorstehern, Gemeinde- und Ortschaftsräten, sowie Handwerkern und Grundstückseigentümern. »Mit diesem Leitsatz unserer Konzeption des Naturkindergartens, starten wir hier in Römerstein in ein neues Zeitalter der Bildung und Betreuung«, verkündet die Bürgermeisterin stolz. Trotz des Regens ist die Stimmung heiter. Freude liegt in der Luft. »Ich freue mich am allermeisten darüber, dass es jetzt endlich losgeht«, sagt Erzieherin Karin Beck. Drei Bürgermeister hatte sie zuvor schon von einem Naturkindergarten überzeugen wollen - ohne Erfolg. Erst mit Anja Sauer nahm das Projekt Fahrt auf.
Weniger ist mehr
Nachdem viele Tatkräftige mit angepackt haben, steht die Schutzhütte, die Kinder und Betreuerinnen vor extremem Wetter schützt. Nur zehn Zentimeter dick sind die Holzwände des Häuschens, das der Architekt Jochen Stüber geplant hat. Auf dem Dach, das mithilfe von Holzwolle gedämmt wurde, befindet sich eine Solaranlage, die den Strom gewährleisten soll. Auch Sitzmöglichkeiten und Toiletten gibt es hier. Die sind entsprechend der Umstände nicht ganz klassisch, denn im freistehenden Toilettenhäuschen gibt es keine Spülung. Hier wird ganz biologisch gearbeitet: »Geschäft verrichten, einen Becher Einstreu drauf geben, Deckel schließen«, klärt die von den Kleinen buntillustrierte Anleitung an der Tür auf.
Sechs Kids haben am Montag in das etwas andere Abenteuer Kindergarten gestartet. Zum Ende des Jahres sind es dann bereits doppelt so viele, und auch die Zukunftsprognose fällt durchweg positiv aus: »Wenn sich das erst einmal herumgesprochen hat, werden Sie ausgelastet sein«, mutmaßt Karin Becks Mann, der das Projekt als freiwilliger Helfer tatkräftig unterstützt hat. Im Naturkindergarten sieht er viele Vorteile: »Die klassischen Kindergärten sind völlig überladen. Da haben die Kinder kaum Platz, der Lagerkoller bricht aus. Hier ist das anders. Die Kleinen können sich austoben, sind dabei ständig an der frischen Luft. Die kommen heim, haben Hunger und sind müde. Für die Eltern ist das doch das Allerbeste.«
Optimale Vorbereitung auf die Schule
Ein weit verbreitetes Vorurteil gegenüber Naturkindergärten ist, dass Kinder dort den ganzen Tag nur im Wald spielen und daher nicht ausreichend auf die Schule vorbereitet werden. In der Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall, klärt der Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten auf. So würden die Kids im Outdoor-Kindergarten eine große Lernfreude, eine ausgeprägte Konzentrationsfähigkeit sowie ein breites Spektrum an Kompetenzen wie Motorik, Sprache, Kreativität und Kognition entwickeln. Auch seien sie stärker auf gegenseitige Unterstützung angewiesen, was die Kooperations- und Teamfähigkeit fördert und somit das Sozialverhalten verbessert. Im Vergleich zu anderen Kindern sei aufgefallen, dass Waldkinder sich demnach leichter in Gruppen einfinden, rücksichtsvoller sind und deutlich weniger aggressives Verhalten zeigen.
Ebenso sei die Angst, dass die Sprösslinge bei der Daueraction im Freien ständig mit Schniefnase nach Hause kommen, unbegründet. »Die, die in der ersten Woche nur frieren und jammern, kriegst du in der zweiten Woche gar nicht mehr nach drinnen. Die bewegen sich wie selbstverständlich auf Stock und Stein und bekommen eine ganz andere Kondition«, weiß Herr Beck, der die Erfahrungen seiner Frau kennt. Auch aus medizinischer Sicht, besteht keinerlei Grund zur Sorge, heißt es vom Bundesverband: »Kinder in Waldkindergärten stärken durch den langen Aufenthalt an der frischen Luft ihr Immunsystem. Krankheiten, die in geschlossenen, geheizten Räumen schnell weitergegeben werden, bleiben im Wald bei Einzelnen.«
Da werden Erwachsene neidisch
Dass der Naturkindergarten eine echte Chance ist, sehen auch viele der neugierigen Besucher so, die an diesem verregneten Freitag den Weg nach Römerstein gefunden haben. "Mir gefällt besonders gut, dass die Kids draußen richtig abgehärtet und robust werden, erklärt eine Besucherin. "Ich denke die Kinder lernen, Probleme zu lösen, mit dem was sie vor sich haben", vermutet eine andere. "Wenn ich die Möglichkeit noch hätte, dann würde ich auch hierher wollen. Jetzt noch einmal Kind sein, ja das wäre schön".
Bei allem Glück der Kinder, müssen Eltern allerdings eine bittere Pille schlucken: Wer keine Dreckwäsch-Wanne ins Auto packt, der darf wohl erst einmal gründlich säubern. Ein vergleichsweise kleines Übel, das man für ein ausgeglichenes und glückliches Kind doch gerne auf sich nimmt.