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Hoodie über Hoodie: Bewährungsstrafe für Metzinger Outletdieb

Der 22-Jährige hatte zudem Falschgeld bei sich. Beim zweiten Diebstahl in der Outletcity wurde er gestellt - und klaute Stunden später weiter. Fünf Security-Kräfte hielten ihn schließlich am Boden fest.

Die Nike- und Adidas-Stores der Outletcity Metzingen am Lindenplatz. Unter anderem hier hat ein Ladendieb  sein Unwesen getriebe
Die Nike- und Adidas-Stores der Outletcity Metzingen am Lindenplatz. Unter anderem hier hat ein Ladendieb sein Unwesen getrieben. Foto: Markus Pfisterer
Die Nike- und Adidas-Stores der Outletcity Metzingen am Lindenplatz. Unter anderem hier hat ein Ladendieb sein Unwesen getrieben.
Foto: Markus Pfisterer

METZINGEN/REUTLINGEN. Vier gut gefüllte Leitzordner stapeln sich auf der Reutlinger Richterbank - so hoch, dass Eberhard Hausch, der Vorsitzende des Schöffengerichts am Amtsgericht, Staatsanwalt Maurizio Ruoff kaum noch sehen kann. »Im September kommt die elektronische Akte«, kündigt Hausch an, der diese Umstellung auf seine letzten Dienstjahre noch mitmachen muss. Ruoff, ungleich jünger, wird wie seine Amtskollegen und die gegenübersitzenden Verteidiger zum Plädoyer trotzdem weiterhin aufstehen.

Ebenso gründlich wie stimmkräftig hat er es am Freitag getan. Ein Jahr und zehn Monate fordert der Ankläger für den eher kleinen Angeklagten mit seinen dunklen Haaren, Teint und Bart. Tritt der im Gerichtssaal geläutert bis ruhig auf - »ich entschuldige mich und bitte um eine weitere Chance« - hat er es am 2. Januar in der Outletcity Metzingen umso auffälliger angehen lassen.

»Ich entschuldige mich und bitte um eine weitere Chance«

Drei Tage vorher war der junge Mann bei seiner Freundin in Gelsenkirchen rausgeflogen. »Ich hatte kaum noch was anzuziehen.« Um dem abzuhelfen, ging er in Metzingen, wo er früher schon jahrelang gewohnt hatte, »einklauen«, wie es Hausch formuliert. Los geht's nachmittags im Adidas-Outlet. Der junge Mann trennt Preisschilder aus zwei Pullis, einem Hoodie und einem Trainingsanzug, zieht sich eins der Teile über und türmt.

Er läuft zum nahen Nike-Store am Lindenplatz, wo er weitere Trainingsklamotten und einen Hoodie abgreift. Zwei Ladendetektive stellen ihn, haben sein Unwesen über eine Überwachungskamera beobachtet. Das hält den Täter allerdings nicht davon ab, zweieinhalb Stunden später im Hugo-Boss-Outlet weiterzuklauen. Wieder zieht er eine Jacke und einen Hoodie übereinander, trägt jetzt insgesamt drei Oberteile.

»Eine perfide kriminelle Energie«

Doch auch hier hat die Security aufgepasst und ebenso eine "City-Streife". Der Dieb will fliehen. Zwei Sicherheitskräfte packen ihn draußen links und rechts an den Armen, eine Frau sichert nach hinten ab. Doch der dünne kleine Mann entwickelt Bärenkräfte und versucht sich ein ums andere Mal loszureißen. "Er wollte nur noch weg", begründet Verteidiger Steffen Kazmaier das zunehmend vehementere Tun seines Mandanten. Angst vor Strafe. Verletzt wurde niemand. Staatsanwalt Ruoff sieht im Gesamtgeschehen trotzdem »Eine perfide kriminelle Energie«.

Fünf Mann liegen schließlich auf dem Hugo-Boss-Platz auf dem Kleiderdieb und drücken ihn zu Boden. Bis die Polizei kommt. Die findet in seinem Portemonnaie nicht nur 40 echte Euro und zwei EC-Karten, sondern auch 300 Euro »Theatergeld«: täuschend echt aussehende Scheine, die zwar den Aufdruck »Prop copy« tragen, dies allerdings so klein, dass die Beamten ihn bei ihren Ermittlungsfotos für Staatsanwaltschaft und Gericht farbig einkreisen, um deutlich zu machen, dass es sich um Falschgeld handelt.

Wie auf den Abbildungen der Deutschen Bundesbank (rechts) trugen auch Euro-Scheine des Metzinger Outletdieb Euro-Scheine den Auf
Wie auf den Abbildungen der Deutschen Bundesbank (rechts) trugen auch Euro-Scheine des Metzinger Outletdieb Euro-Scheine den Aufdruck »Prop copy«. Foto: Bundesbank
Wie auf den Abbildungen der Deutschen Bundesbank (rechts) trugen auch Euro-Scheine des Metzinger Outletdieb Euro-Scheine den Aufdruck »Prop copy«.
Foto: Bundesbank

Dass jemand solches in seinem Geldbeutel mit sich herumträgt, ist für den Gesetzgeber schon ein Verbrechen und somit mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bedroht. Das Schöffengericht und Verteidiger Kazmaier sehen es bei dem 22-Jährigen weniger dramatisch und gehen anders als Staatsanwalt Ruoff von einem minder schweren Fall aus.

Trotzdem setzt es für den geständigen, aber schon einschlägig vorbelasteten jungen Mann, der vor allem zusammen mit anderen kriminell geworden war, eine satte Verurteilung: ein Jahr und sechs Monate, die näher an der Forderung des Staatsanwalts liegt als an der des Verteidigers - »nicht mehr als ein Jahr«.

»Wenn Sie den Unterhalt für Ihre Tochter nicht zahlen, fahren Sie ein«

Alle Urteilenden glauben, dass sich der in seiner Persönlichkeit augenscheinlich noch nicht voll ausgereifte Angeklagte, der Brüche in seiner Lebensgeschichte hinter sich hat, aber auch sozial eingebunden ist, schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und von weiteren Straftaten abhalten wird. Also setzen Hausch und die Schöffinnen Kathrin Ungerer und Ankica Dragicevic die Strafvollstreckung zur Bewährung aus. Aber verhängen auch eine ganze Latte von Auflagen, darunter 300 gemeinnützige Arbeitsstunden, die der junge Mann aber erst antreten muss, wenn er nicht Vollzeit arbeitet. Derzeit tut er es bei einem Callcenter, bald will er eine Lehre zum Maler und Lackierer machen.

Geld hat er also schon bisher, es aber immer wieder auch für Marihuana ausgegeben. Dabei hat er 4.000 Euro Schulden und muss Unterhalt für seine acht Monate junge Tochter leisten. »Wenn Sie den nicht zahlen, fahren Sie ein«, macht Hausch dem frisch Verurteilten klipp und klar, »und im Gefängnis in Gelsenkirchen gibt es weniger Auswahl an Freundinnen.« 500 Euro für einen gemeinnützigen Zweck sowie die Gerichts- und Anwaltskosten muss der im Verhandlungssaal so zurückhaltend wirkende Mann auch noch berappen.

Daneben nehmen sich die gut 500 Euro, die die Outletbeute wert war, fast bescheiden aus. Die Aktenberge türmen sich dagegen noch, auch die vier Pappmappen aus der strafrechtlich relevanten Vergangenheit des reuigen Diebs und Falschgeldinhabers. Richter Hausch macht deutlich, dass die von vielen als glorios propagierte digitale Zukunft auch nicht immer viel anders aussieht als die analoge Vergangenheit. Er hat eine E-Akte ausgedruckt. Ergebnis: weit über hundert DIN-A-4-Seiten. Papier ist geduldig und das am Freitag ergangene Urteil bereits rechtskräftig, nachdem Verurteilter, Verteidiger und Staatsanwalt darauf verzichtet haben, Berufung oder Revision einzulegen. (GEA)

Im Gerichtssaal

Vorsitzender Richter: Eberhard Hausch. Schöffinnen: Kathrin Ungerer, Ankica Dragicevic. Staatsanwalt: Maurizio Ruoff. Verteidiger: Steffen Kazmaier.